Das Elfenbeinkind. Henry Rider Haggard

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Das Elfenbeinkind - Henry Rider Haggard

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Ragnall, der Scheck hier ist die Deckung für eine Schuld, die ich schon längst als verloren abgeschrieben habe. Beim Frühstück sprachen Sie heute von einem Hospital, für das Sie einen Fonds sammeln wollten, und auf eine diesbezügliche Frage von Ihnen sagte Sir Junius Fortescue, daß er bis jetzt noch nichts für den Fonds gezeichnet hätte. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen hiermit Sir Junius' Zeichnung, die auf seinen Namen eingetragen werden mag, zu übergeben?« Und ich reichte ihm den Scheck, der auf mich oder Überbringer ausgestellt war.

      Er warf einen Blick auf den Scheck und errötete, als er sah, daß er nicht auf fünf, sondern auf zweihundertfünfzig Pfund lautete. Dann fragte er:

      »Was sagen Sie zu diesem Akte von Freigebigkeit seitens Herrn Quatermain, Sir Junius?«

      Es erfolgte keine Antwort. Sir Junius war verschwunden. Ich habe ihn niemals wiedergesehen. Wie ich einige Jahre später hörte, wurde der Scheck doch nicht unter seinem, sondern unter meinem Namen dem Hospital übergeben. Und zwar errichtete man von dem Gelde einen kleinen Extraraum zur Unterbringung kranker Kinder; er erhielt den Namen »Allan-Quatermain-Saal«.

      Damit habe ich die Geschichte von jenem Dezemberschießen erzählt. Seit jenem Tage datiert meine lange und innige Freundschaft mit Ragnall.

      3. Kapitel

       Fräulein Holmes

      Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, in dem mir angewiesenen Zimmer meine Schulter, die durch den Rückstoß der Gewehre wund geworden war, einzureiben und mein Kopfweh zu beseitigen, das ich durch das hitzige Schießen und durch den Sturm bekommen hatte. Hernach erschien, wie vereinbart, Scroope und führte mich durch die langen, verschlungenen Gänge dieses alten Schlosses hinunter in den großen Salon.

      Das war ein prachtvoller Raum, der nur bei besonderen Anlässen benutzt wurde. Wenigstens zwei- bis dreihundert Wachskerzen warfen einen sanften Schimmer über die getäfelten, bilderbehangenen Wände, über die kostbaren alten Möbel und die juwelengeschmückten Damen, die hier versammelt waren. Die Gesellschaft war zahlreich; es waren wohl gegen dreißig Personen, die sich an jenem Abend zu dem Diner, das der Nachbarschaft zur Einführung von Lord Ragnalls zukünftiger Gemahlin gegeben wurde, niedersetzten.

      Fräulein Manners, die sehr glücklich und anmutig aussah, gesellte sich sofort zu uns und unterrichtete Scroope, daß »sie« soeben eingetroffen wäre; das Mädchen in der Garderobe hätte es ihr mitgeteilt.

      »So, kommt sie?« antwortete Scroope gleichgültig. »Nun, solange du nur da bist, sind mir alle anderen gleichgültig.«

      Dann sagte er ihr, daß er sie wunderschön fände. Er starrte sie so verzückt an, daß ich ein paar Schritte zurücktrat und mich in die Betrachtung eines Bildes vertiefte, einer Darstellung der Judith, die angestrengt damit beschäftigt schien, Holofernes den Kopf abzuhacken.

      Dann wurden die Türen geöffnet, und der tadellose Wild, der so etwas wie den Zeremonienmeister repräsentierte, kündigte mit wohlerzogener, aber durchdringender Stimme »Lady Longden und das ehrenwerte Fräulein Holmes!« an. Ich starrte hin wie alle anderen, aber eine Zeitlang füllte nur ihre Ladyschaft meine Augen aus. Sie war eine korpulente und, wenigstens nach meinen Begriffen, schrecklich aussehende, in schwarze Seide gekleidete und mit großen Diamanten behängte Dame. Sie war Witwe. Ihr Haar war weiß, ihre Nase krumm, ihre dunklen Augen blitzten durchdringend, und sie schien bös erkältet. Ich hatte Zeit, das alles an ihr festzustellen. Dann kam ihre Tochter in meinen Gesichtskreis.

      Sie war wahrhaftig eine liebliche Erscheinung von etwa zwei- oder dreiundzwanzig Jahren. Ihr nicht sehr großer Körper war weich und edel geformt, und ihre Bewegungen waren so anmutig wie die eines Rehes. Sie hatte überhaupt viel Ähnlichkeit mit einem Reh, besonders durch die graziösen Formen ihres Äußeren und durch ihre großen, feuchtschimmernden Augen. Sie war eine dunkle Schönheit mit reichem braunlockigen Haar, klarem Oliventeint, wunderschön geformtem Mund und sehr roten Lippen. Ihrem Äußeren nach schien sie mir mehr der italienischen oder spanischen als der angelsächsischen Rasse anzugehören, und ich glaube auch, daß sie von ihres Vaters Seite her wirklich etwas südliches Blut in den Adern hatte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid, und ihre einzigen Schmuckstücke bestanden in einer Perlenkette und einer einzelnen roten Kamelie.

      Nur einen einzigen Makel, wenn es überhaupt als Makel zu bezeichnen war, konnte ich an ihrer vollkommenen Schönheit entdecken: und das war ein seltsames weißes Mal auf ihrer Brust, genau in der Form des zunehmenden Mondes.

      Der tiefe Eindruck, den ihr Gesicht auf mich machte, rührte aber nicht von seiner physischen, sondern von seiner psychischen Beschaffenheit her. Es war strahlend, intelligent und augenblicklich glücklich. Aber es war noch mehr, es war mystisch. Ihre Mutter sagte etwas zu ihr, wahrscheinlich über ihre Kleidung, und da verschwand ihr Lächeln für einen Moment, und wie von innen heraus erschien ein Schatten von angeborener Mystik auf ihrem Antlitz. In der nächsten Sekunde war er wieder weg, und sie lachte; aber ich, der ich zu beobachten gewöhnt bin, hatte es bemerkt.

      Lord Ragnall, in seinem Abendanzuge mehr denn je einem prachtvollen van Dyck ähnlich, begrüßte seine Verlobte und ihre Mutter mit einer höflichen Verbeugung. Da hörte ich eine süße und durchschauernde Stimme dicht neben mir fragen:

      »Welcher ist es? Oh! Du brauchst nicht zu antworten, Lieber. Ich erkenne ihn nach der Beschreibung.«

      »Ja,« antwortete Lord Ragnall, »du hast ganz recht, dieser ist's. Ich werde dich ihm sofort vorstellen. Aber, Liebste, wer soll dich zu Tische führen? Ich komme nicht in Frage – du weißt, deine Mutter –, und da heute abend keine Würdenträger hier sind, so kannst du selbst wählen. Möchtest du den alten Doktor Jeffreys, den Geistlichen?«

      »Nein,« antwortete sie mit großer Bestimmtheit, »ich kenne ihn; er hat mich schon einmal geführt. Ich wünsche Herrn Allan Quatermain als Tischherrn. Er ist interessant, und ich möchte ihn über Afrika erzählen hören.«

      »Ausgezeichnet,« antwortete er, »er ist auch interessanter als alle anderen zusammengenommen. Aber, Luna, warum denkst und sprichst du immerfort von Afrika? Man könnte sich vorstellen, daß du dort leben wolltest.«

      »Das könnte auch eines Tages der Fall sein«, antwortete sie träumerisch. »Wer weiß, wo ich schon einmal gelebt habe oder ich noch einmal leben werde!« Und wiederum sah ich jenen mystischen Ausdruck auf ihrem Gesichte.

      Ich hörte nichts weiter von dieser Unterhaltung, die übrigens wahrscheinlich für keinen, dessen Ohren nicht ein Leben lang durch das Hineinlauschen in die große Stille der Natur geschärft worden waren, überhaupt zu verstehen gewesen wäre. Um die Wahrheit zu sagen, ich zog mich in der Hoffnung, den freundlichen Absichten von Fräulein Holmes zu entgehen, in den Hintergrund des großen Raumes zurück. Ich hasse es, mich an einen Platz gestellt zu sehen, an den ich nicht gehöre, und ich fühlte, daß es unschicklich wäre, wenn unter all diesen einheimischen Größen und bei einer Gelegenheit wie dieser gerade ich erwählt werden würde, die zukünftige Braut zu Tisch zu führen. Aber es war zwecklos. Denn im gleichen Moment stöberte mich Lord Ragnall, begleitet von der jungen Dame, auf.

      »Darf ich Sie Fräulein Holmes vorstellen, Quatermain?« sagte er. »Es liegt ihr daran, von Ihnen zu Tisch geführt zu werden, wenn Sie die Güte haben wollen. Sie interessiert sich sehr für – für – –«

      »Afrika«, suggerierte ich.

      »Für Herrn Quatermain, der, wie mir gesagt wird, einer der größten Jäger in Afrika ist«, korrigierte sie mich mit einem blendenden Lächeln.

      Ich verbeugte mich,

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