Das Elfenbeinkind. Henry Rider Haggard

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Das Elfenbeinkind - Henry Rider Haggard

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Polonaise die große Halle und gelangten in den Bankettsaal, einen herrlichen Raum mit einer Art Kirchendach, der noch in den Zeiten der Plantagenets gebaut sein sollte. Herr Wild, der augenscheinlich nach ihrer zukünftigen Ladyschaft Ausguck gehalten hatte, geleitete uns zu unseren Plätzen. Wir saßen links von Lord Ragnall, der oben an der breiten Tafel mit Lady Longden zur Rechten präsidierte. Dann sprach Dr. Jeffreys, ein muffiger, alter, kirchlicher Herr, das Tischgebet – in jenen Tagen war das Tischgebet bei solchen Festen noch üblich –, indem er den Himmel bat, uns für das Mahl, das wir einnehmen wollten, dankbar zu machen.

      Sicherlich war auch, was Essen und Trinken betraf, Ursache genug, dankbar zu sein. Aber ich erinnere mich an all das nur wenig. Aber an eins erinnere ich mich genau! An Fräulein Holmes und an niemand anders als Fräulein Holmes; an die Charme ihrer Unterhaltung, an den Glanz ihrer schönen Augen, an den Duft ihres Haares, an ihr schmeichelhaftes Interesse für meine geringe Person. Um die Wahrheit zu sagen, es kam über uns wie »Feuer übers Wintergras«, wie die Zulu sagen, und als das Diner vorbei war, brannte das Gras immer noch.

      Ich glaube kaum, daß das Lord Ragnall sehr angenehm war, aber glücklicherweise war Lady Longden eine überaus gesprächige Dame. Zuerst unterhielt sie ihn über ihre Erkältung, wobei die arme Seele in Intervallen nieste. Dann ging sie zu geschäftlichen Dingen über, nach dem Ausdrucke gequälter Langeweile auf ihres Gastgebers Gesicht zu schließen. Ich glaube, es handelte sich um eine Schlichtungsangelegenheit; dreimal hörte ich, wie er ihr empfahl, sich an einen Anwalt zu wenden. Zuletzt, als er schon dachte, er wäre ihr entschlüpft, ließ sie sich mit Dr. Jeffreys in eine ziemlich lebhafte Debatte über kirchliche Angelegenheiten ein, wobei sie darauf bestand, daß Seine Lordschaft den Schiedsrichter spielte.

      Da Fräulein Manners und Scroope, den keine zukünftige Schwiegermutter mit Beschlag belegte, einander völlig in Anspruch nahmen, waren Fräulein Holmes und ich uns selbst überlassen.

      Sie begann:

      »Ich hörte, Sie haben heute Sir Junius Fortescue bei einer Schießwette geschlagen und einen Haufen Geld von ihm gewonnen, das Sie dem Hospital übergeben haben. Ich liebe das Schießen nicht, und ich liebe das Wetten nicht; es ist merkwürdig; daß Sie auch gar nicht aussehen wie ein Mensch, der wettet. Aber ich verabscheue Sir Junius Fortescue, und hierin treffen sich unsere Gefühle.«

      »Ich habe niemals gesagt, daß ich ihn verabscheue.«

      »Nein, aber ich bin sicher, daß es so ist. Ihr Gesicht veränderte sich, wie ich seinen Namen nannte.«

      »Sie haben recht. Aber, Fräulein Holmes, Sie haben auch darin recht, als Sie sagten, ich sähe nicht aus wie ein Mensch, der wettet.« Und ich erzählte ihr die Geschichte von van Koop und den zweihundertfünfzig Pfund.

      »Ah«, sagte sie, als ich fertig war. »Ich hatte schon immer das richtige Gefühl, daß er ein ganz schäbiger Kerl ist.«

      Dann gratulierte ich ihr zur bevorstehenden Hochzeit. Ich sagte ihr, daß es erfreulich wäre, etwas, was sonst nur in Romanen vorkomme, einmal in Wirklichkeit zu sehen, nämlich: Schönheit bei Mann und Frau, beide vereinigt durch Liebe, hohen Rang, Reichtum, gute Freunde, Gesundheit – einen lieblichen und altertümlichen Wohnsitz in einem Lande, wo es keine Gefahren gab – wenigstens augenblicklich –, Aussicht auf eine glänzende Karriere, noch dazu eine solche, wie sie gewöhnlichen Sterblichen verschlossen bleibt, kurzum alles, was Menschen, wenn sie nicht gerade Könige sind, nur wünschen und erreichen können. Nach meinem zweiten Glas Champagner wurde ich geradezu beredt, bewegt durch den Gedanken an all das Elend, das es in der Welt gibt, und das einen so großen Kontrast zu dem Los dieses ausgezeichneten und glänzenden Paares bildete.

      Sie hörte aufmerksam zu und antwortete:

      »Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Wünsche und Gedanken. Aber kommt es Ihnen nicht vor, Herr Quatermain, als ob in solch einer Lobeshymne eine üble Vorbedeutung läge? Ich glaube, es ist so. Und Ihnen selbst kam, als Sie endigten, der Gedanke, daß trotz allem die Zukunft vor uns allen so verschleiert liegt – wie das Bild in Lord Ragnalls Arbeitszimmer hinter seinem Vorhang von roter Seide.«

      »Wie konnten Sie das wissen?« fragte ich mit unterdrückter Stimme. Denn durch ein seltsames Zusammentreffen war mir, als ich meine kleine, ein wenig altmodische Rede abschloß, tatsächlich gerade dieselbe Überlegung und damit die Erinnerung an das verhängte Gemälde in den Kopf gekommen.

      »Ich kann es nicht sagen, Herr Quatermain, aber ich wußte es. Sie haben an das Bild gedacht?«

      »Und wenn dem so wäre?« fragte ich, eine direkte Antwort vermeidend. »Was ist dabei? Wenn es auch vor jedermann verborgen ist, man braucht doch nur an dem Vorhang zu ziehen und sieht – Sie.«

      »Nehmen wir an, jemand würde eines Tages an dem Vorhang ziehen und dahinter nichts finden, Herr Quatermain?«

      »Dann würde das Bild eben gestohlen worden sein, das ist alles, und man würde es suchen müssen, bis man es wiedergefunden hat, was zweifellos früher oder später der Fall sein wird.«

      »Ja, früher oder später. Aber wo? Vielleicht haben Sie in Ihrem Leben auch einmal ein Bild verloren oder zwei, Herr Quatermain, und sind besser imstande, die Frage zu beantworten als ich.«

      Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen; denn dieses Gespräch über verlorene Bilder erweckte in mir Erinnerungen, die mich beengten.

      Dann begann sie wieder zu sprechen, tief, rasch, mit unterdrückter Leidenschaft, aber mit einer wundervollen Mimik. Sie wußte, daß vieler Blicke auf ihr ruhten, ihre Gesten und der Ausdruck ihres Gesichtes waren aber so, wie der einer jungen Dame, die über Alltagsangelegenheiten, über Bälle, Blumen oder Juwelen spricht. Sie lächelte, und gelegentlich lachte sie sogar auf. Sie spielte mit dem goldenen Salzfaß vor ihr, und als sie ein wenig von seinem Inhalt verschüttet hatte, warf sie Salz über ihre linke Schulter und tat, als fragte sie mich, ob auch ich Anhänger dieses Aberglaubens wäre.

      Aber während sie so heiter schien, sprach sie von tiefen Dingen, von Dingen, von denen ich niemals gedacht hätte, daß sie sie beschäftigten. Folgendes ist die Quintessenz dessen, was sie sagte:

      »Ich bin nicht wie andere Frauen. Irgend etwas zwingt mich, Ihnen das zu sagen, irgend etwas, was sehr stark und real ist. Es ist seltsam, ich habe niemals zu irgend jemandem von diesen Dingen gesprochen, zu meiner Mutter nicht und sogar zu Lord Ragnall nicht. Keiner von ihnen würde mich verstehen. Ihr Mißverstehen würde allerdings verschieden sein. Meine Mutter würde mir raten, zu einem Arzt zu gehen – und wenn Sie erst diesen Arzt kennenlernten! Er«, und sie nickte nach Lord Ragnall hin, »würde denken, daß meine Verlobung mich ein wenig unvernünftig gemacht hat, oder daß ich religiöser bin, als ich meinem Alter nach eigentlich sein sollte, und daß ich wohl zuviel über – nun, über das Ende aller Dinge nachgedacht habe. Von Kind an wußte ich, daß ich ein Mysterium inmitten vieler anderer Mysterien bin. Es kam in einer Nacht ganz plötzlich über mich. Ich war damals ungefähr neun Jahre alt. Mir war es, als könnte ich die Vergangenheit und die Zukunft sehen, trotzdem ich beide nicht begreifen konnte. Solch eine lange Vergangenheit und solch eine endlose Zukunft! Ich weiß nicht, was ich dabei sah und manchmal noch sehe. Es kommt wie das Zucken eines Blitzes und ist blitzschnell wieder fort. Mein Verstand kann es nicht festhalten. Es ist zu gewaltig für meinen Geist. Ebensogut könnten Sie versuchen, Doktor Jeffreys da in dieses Weinglas zu stopfen. Nur zwei Tatsachen bleiben mir ins Herz geschrieben. Die erste ist, das mir Unheil droht, seltsames und ungewöhnliches Unheil; und die zweite ist, daß fortwährend, in jedem Augenblick, ich oder ein Teil von mir irgend etwas mit Afrika zu tun hat, einem Erdteil, von dem ich außer ein paar Tatsachen aus sehr langweiligen Büchern nichts weiß. Und nebenbei – dies ist meine neueste Erkenntnis –, daß ich sehr viel zu tun habe mit Ihnen. Das ist's, warum ich mich so für Afrika und

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