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Asylma schwieg.
Brontes zügelte sein Pferd und Asylma tat es ihm gleich. Er hielt sie fest am Arm und blickte ihr mit der gut gemeinten Strenge eines Vaters in die Augen. Der Blick war fesselnd, ebenso seine feste Stimme, die jede Spur von dem ansonsten mitschwingenden Humor verloren hatte.
„Es werden Tage kommen, in denen du tötest, um zu leben und solche, in denen du tötest, weil du glaubst, töten zu müssen. Doch bedenke eines, du tötest nicht den Soldaten, sondern den Ehemann, den Vater!“
Asylma schwieg.
„Ich habe gesehen, dass du schnell mit dem Messer bist. Bereit zu töten. Doch das erfordert weder Mut noch Weisheit!“
Der Bann zwischen ihren Augen löste sich, als er an ihr herabblickte. Sein Gesicht zeigte wieder die gutmütigen, sanften Züge, die so unpassend zu seinem ansonsten stählernen Körper waren. Aber dennoch blieb er nicht weniger ernst.
„Ich werde dich lehren, dass dein Mitgefühl schneller ist als dein Instinkt und dein Verstand schärfer als dein Messer. Du kannst töten und dennoch verlieren, genauso aber verschonen und siegreich sein.“
Sie ritten eine Weile nebeneinander her.
„Macht ist nicht der Lohn des Tötens, sondern Leben die Gabe der Weisheit.“
Brontes sah sie mit fragenden Augen an, doch Asylma blieb weiterhin stumm.
„Ich kannte deinen Vater!“
Nun war es Asylma deren Augen, jene Brontes suchten und einmal gefunden so fixierten, als versuchten sie ein Geheimnis zu lesen, das tief in ihnen wohnte und nie durch Worte den Weg in die Welt finden konnte.
Sie wollte reden. Sie suchte jemanden mit dem sie über ihre Eltern reden konnte. Und jetzt wo sie einen gefunden hatte, blieb sie stumm. Unfähig ihrer Freude oder Trauer Worte zu schenken, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Die kleinen Perlen rollten auf ihren weichen Wangen herunter und zerrannen an ihren Lippen. Es waren nur wenige Tränen, doch diese waren voll von Gefühlen, die sich mit ihnen den Weg ins Freie suchten.
Ihr Mund öffnete sich mehrmals, während der Wind sanft durch ihr Gesicht streichelte und die nun nicht mehr fließenden Rinnsale trocknete. Die Sonne schien hell, als wollte sie Licht in die finstersten Windungen ihrer Seele bringen. Die Erde schluckte jedes Geräusch, und so herrschte absolute Stille, als würde die Natur selbst darauf warten, dass Asylma sich öffnete.
Langsam formten ihre blassen Lippen Worte. Zunächst stürzten sie brüchig hervor.
„Kanntest … du ihn … gut?“
„O ja. Wir waren zusammen aufgewachsen. Er war immer der Stürmischere von uns beiden.“
„Und warum … habe ich dich nie bei uns gesehen?“
„Du warst noch ganz klein, als ich das letzte Mal bei euch war …“
„Aber warum …“
„Warum ich nicht wiedergekommen bin? – Die Zeit. Sie ändert alles. Zu viele Dinge waren geschehen, grausame Dinge.“
Asylmas Augen drohten abermals überzulaufen und so ertranken ihre Fragen in ihrer Kehle.
„Eines musst du wissen: es zählt nicht nur, was man verloren hat, sondern auch das, was man noch hat!“
Legarus, der merkte, dass Brontes, mit seinem Versuch der Aufmunterung kläglich scheiterte, schaltete sich dazwischen: „Egal wie finster und kalt die Nächte sind, es wird immer einen Ort geben, an dem ein Licht für dich brennt, und immer wird ein warmes Herz für dich schlagen.“
Legarus ließ seine Worte verhallen, bevor er mit seiner sonnengegerbten Hand eine einzelne Perle auf ihrer Wange auffing und mit sanfter Stimme und mitfühlendem Blick weiterfuhr: „Du hast verloren, was nicht zu ersetzen ist, gesehen, was nicht zu beschreiben ist, gehört, was nicht zu ertragen ist, und dennoch lebst du. Du lebst und bist frei! Frei zu hoffen, frei zu lieben. Du musst lernen los zu lassen – loszulassen, aber nicht zu verdrängen, noch zu vergessen.“
„Für jeden kommt die Zeit, wenn man gehen muss. Doch wenn die Zeit gekommen ist, ist es dennoch immer zu früh. Nur die Liebe allein kennt keine Zeit. Sie lebt ewig, aber auch nur dort, wo sie Einlass findet.“
Brontes und Legarus verloren sich in ihren Reden. Mit jedem neuen Satz, den sie immer wieder länger als den vorigen spannen, verloren sie mehr den Hang zur Realität. Versuchten sie zunächst Asylma Mut zuzusprechen, so war es bald schon ein Wettdichten und Philosophieren.
Die Wirkung aber hätte nicht besser sein können. Asylma gewann ihr Lächeln zurück und Wärme fand den Weg in ihr Herz. Es waren nicht die Worte, die sie trösteten, nicht das Gebärden der Freunde, die ihr Kraft schenkten, sondern das Gefühl, nicht allein zu sein. Es war nicht wichtig, wie die beiden sie zu trösten versuchten, wichtig allein war, dass sie es versuchten. Denn in einer Freundschaft zählen nicht die Ergebnisse, sondern das Bemühen, nicht die Worte, sondern das Gefühl.
Auch wenn es eine Flucht war, so bedeutete es Asylma viel in Gesellschaft des geheimnisvollen Legarus und dem redseligen Schmied durch Feld und Flur zu reiten. Wenn der frische Frühlingswind mit ihren Haaren spielte, und die Wolken rätselhafte Figuren über die Erde huschen ließen, dann erinnerte sie sich an die zahllosen Ausflüge mit ihrem abenteuerlustigen Vater, der sie viel über die Natur lehrte. So versank sie bei jeder Spur eines bekannten Tieres, die dieses in dem teils lehmigen Boden hinterlassen hatte, in Geschichten, die sie einst gehört hatte.
Erst in der dritten Woche verringerten sie ihr Tempo und genehmigten sich und ihren Rössern öfter Verschnaufpausen. Auch wenn sie sich mehr Zeit nahmen, war es für Asylma dennoch wenig erholsam. Brontes nahm sich weiterhin ihrem Training an. Er zeigte ihr zu Beginn jeder Lehrstunde neue Stellungen, wie sie ihr Schwert halten sollte, und auf was sie beim Gegner achten musste. Wenn sie dann aber ihre beiden Holzschläger einsetzten, wurde Asylma flau zumute, denn der von ihr liebgewonnene Schmied, zeigte dann keine Gnade mehr. Brontes war zu Beginn überrascht, wie gut sie bereits war, aber dann wurde er sich nochmals bewusst, welches Leben auf dem Land geführt wurde. Es war einfach zu gefährlich, wehrlos zu sein. Doch das machte es für Asylma nun nicht leichter. Eher das Gegenteil war der Fall. Er drosch förmlich auf sie ein, nutzte Deckungsfehler aus, um ihr einen Hieb gegen die Seite zu platzieren. Zwar bremste er den Schlag im letzten Moment ab, doch mit der Zeit gab es keine Stelle die Asylma nicht schmerzte. Aber auch sie nutze jede Gelegenheit auszuteilen. Es lenkte sie ab, da ihr keine Zeit blieb über etwas anderes nachzudenken.
Wenn sie dann erschöpft und leicht mürrisch sich auf eine Pferdedecke fallen ließ, um sich zu sammeln, war Legarus zur Stelle. Er beanspruchte nicht ihre Kräfte, ebenso wenig zog sie sich bei ihm Verletzungen zu. Doch diese Übungen waren nicht minder ermüdend. Es waren banale Geistesübungen, doch Legarus verstand sich meisterhaft in den Künsten der Ablenkung. Dagegen fand sie jedoch schnell eine Abschottung und so schaffte sie es schließlich, unempfindlich für Störungen in ihrer Umwelt zu werden. Deswegen gab Legarus es nach einer weiteren erfolgreichen Stunde auf, ihre Konzentration auf die Probe zu stellen und fuhr damit fort ihre Sinne zu schärfen.
Hier befand Asylma sich in ihrem Element. Abends, wenn die Sonne den Horizont sanft streifte, zogen sich die beiden zurück und setzten sich auf einen höher gelegenen Felsen