Bern ... aus einer anderen Sicht. Peter Baumgartner
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Isidor skizzierte ihm nun seine Vorstellungen. Er habe die Lektoren bereits angewiesen, sich Gedanken zu machen. Auch den Werbetexter habe er beauftragt, Titelvarianten auszuarbeiten und erste Vorschläge seien ihm schon unterbreitet worden. Einer der Titel laute zum Beispiel wie folgt:
Unvorstellbar
… wie schnell selbst ein Polizeichef in Verruf geraten kann
… welche Abgründe sich auch bei einem Politiker auftun können
und
… was die Strafverfolger an ihre Grenzen stossen lässt
Für seine Mitarbeiter sei absolut denkbar, dass die Kurzgeschichten eins bis drei zusammengefasst und in einem Band erscheinen könnten. Auch hielten sie dafür, dass im Anschluss daran in einem zweiten Band das Thema «Unvorstellbar» weitergeführt werden könnte, beispielsweise mit folgenden Untertiteln:
Unvorstellbar
… wer hinter der Pandemie Covid-19 stecken könnte
und
… weshalb der Bundesanwalt in die Enge getrieben wurde
Natürlich seien auch andere Varianten denkbar, und der Vorschlag eines anderen Texters gefalle ihm ebenfalls gut und dieser laute wie folgt:
Dubiose Machenschaften
Die Bücher würden in einer Art Trilogie und Dilogie zusammengefasst und so auf den Markt gebracht. Seine Erfahrung habe ihn einfach gelehrt, dass sich Bücher im Umfang von 200 bis 300 Seiten besser verlaufen liessen als Erzählungen in Kurzform. Viel umfangreicher sollten die Romane dann doch wieder nicht sein, da sie ansonsten nicht gekauft würden.
Was aus seiner Sicht jetzt einfach noch fehle, sei eine «knackige» Einleitung, die den beiden Bände, oder wie das Erscheinen auch immer sein möge, beigelegt werden könnte. Das Thema sollte die Revision der Strafprozessordnung in der Schweiz sein mit all seinen Schattierungen, so wie Philippe es bereits angetönt habe, einfach noch ein wenig ausführlicher.
Philippe hörte seinem Gegenüber aufmerksam zu und er konnte oder wollte Isidor nicht widersprechen. Isidor hatte sich richtig gehend in Fahrt geredet und sein Enthusiasmus war deutlich spürbar. Selber konnte er die Vorschläge nachvollziehen und sie waren für ihn nicht aus dem «Tierbuch».
Isidor ging noch einen Schritt weiter und er offerierte Philippe gar eine «Schreibstube», wo er sich zurückziehen und sich dort voll und ganz der Arbeit zuwenden könnte. Sie hätten vom Verlag zwei Adressen, die sie hoffnungsvollen Schriftstellern unentgeltlich zur Verfügung stellen würden und eine davon befinde sich in der Schweiz, die andere in Südfrankreich. – Beides klang für Philippe verlockend.
Isidor zeigte Philippe ein Bild des einen Hauses, jenem in der Schweiz, und dieser war begeistert: klein, aber fein und genau das, was sich Philippe schon lange für sein Tun gewünscht hatte.
«Und wo befindet sich denn dieses Schmuckstück?», so die drängende Frage von Philippe.
«In St. Peter im Kanton Graubünden, etwa auf halber Distanz zwischen Chur und Arosa auf circa 1250 m ü. M. gelegen», so die Antwort von Isidor.
«Die Aussicht ist schlichtweg fantastisch und aus meiner Sicht unvergleichbar.» «Sieh nur», und Isidor zeigte Philippe ein weiteres Bild.
«Dies ist der Blick von der Terrasse aus; ist er nicht traumhaft?» Philippe war fasziniert und er sah sich bereits am Schreiben. Den Schlüssel zum Häuschen würde er von einem älteren Herrn im Dorf erhalten und er könne dort solange bleiben wie er wolle. Dies die wohlwollenden Worte von Isidor.
Philippe sah sich wie in einem Film und er konnte gar nicht glauben wie ihm geschah. Auf einmal schienen all seine Wünsche und Träume in Erfüllung zu gehen und er konnte es kaum fassen. – Beide, er und Isidor, kamen darin überein, dass sich Philippe das Ganze noch einmal überlegen soll und dass er dann Isidor seinen Entscheid bekannt gebe. Philippe wollte der Bitte gerne nachkommen.
Die Stunden vergingen, und Philippe konnte pünktlich seinen Zug heimwärts besteigen. Isidor begleitete ihn sogar auf den Bahnhof und sie winkten einander zu.
Frédéric
Bernard hatte den Termin mit dem Vermieter der Lokalität festgemacht, und so sollte Désirée noch im Verlauf des Nachmittags die Räumlichkeiten besichtigen dürfen. Sie war schon ganz aufgeregt, und natürlich wollte Isabelle auch mit dabei sein. Francesco wollte noch kurz etwas erledigen, und so stellte Bernard die beiden Damen dem Vermieter vor.
In der Zwischenzeit waren «die Kinder» von Valras-Plage zurückgekehrt, jedoch trafen sie niemanden im Haus an. Dies kam ihnen etwas seltsam vor, und so griff Michelle zum Telefon und versuchte ihre Mutter zu erreichen. Diese klärte sie auf und sagte, dass sie vermutlich in gut einer Stunde wieder zuhause sein werden. «Ah, schön, dann werden wir für uns alle etwas zu essen vorbereiten», und sie freuten sich bereits darauf, sich bald wieder zu sehen.
Bernard wollte mit Frédéric, dem Zeitungsverkäufer vom Kiosk nebenan, noch einen kleinen Schwatz machen. Er verabschiedete sich vom Vermieter und vereinbarte mit Isabelle und Désirée, dass er sie in gut einer halben Stunde wieder treffen werde. Bernard besorgte sich zwei Kaffee im nahe gelegenen Take Away und er wollte Frédéric damit erfreuen. Dies gelang ihm voll und ganz, waren die Temperaturen doch nach wie vor so, dass man sich nur mit einem warmen Getränk einigermassen bei Temperaturen halten konnte. «Eh ça va, mon cher?» «Oh, so lala. Wenig Kundschaft bei diesem Wetter, und trotzdem muss ich den Laden offenhalten.» So die Antwort von Frédéric. «Und was gibt’s Neues?» Dies die interessierte Frage von Bernard. «Pas grande chose.»
Heutzutage konnte man den Medien ja nicht mehr viel Neues entnehmen. Überall dieser Einheitsbrei, wo die einen den andern alles abschreiben und übernehmen, zumeist ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob die Angaben überhaupt stimmten. Vor allem, was das lokale Geschehen betraf, war weder dem «Var-matin» noch dem «midi-libre» für Bernard Brauchbares zu entnehmen. Da wendete er sich doch lieber an Frédéric, der wahrscheinlich der bestinformierte Bürger in dieser Kleinstadt war.
Und tatsächlich wusste Frédéric so einiges zu berichten: So seien an Silvester zwei Jugendliche von der Polizei angehalten worden, die einen Einbruch in die nahe gelegene Apotheke verübt hätten. Gestohlen worden sei zwar nicht viel, der Sachschaden sei aber doch beträchtlich. Frédéric wusste natürlich auch, um wen es sich da handelte und er nannte Bernard die beiden Namen. «So, der Sohn vom Bürgermeister», dies die erstaunte Antwort von Bernard. «Das wird ihn aber gar nicht freuen.» Auch ein Vandalen Akt gehe auf ihr Konto. Die Schmierereien am Rathaus müssten ebenfalls den beiden angelastet werden. Schliesslich habe er auch gehört, dass die Tochter des Bürgermeisters ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann habe und auch dies dürfte dem «Maître» ganz und gar nicht passen. «Ja ok, aber das kommt in den ‘besten Familien’ vor.» «Ja schon, aber wenn man den Bürgermeister so reden hört, dann passt dies schon nicht ganz in sein Weltbild, wo alles doch so gesittet und geordnet ablaufen soll.»
Bernard nahm dies so zur Kenntnis, und es kam ihm der folgende Spruch in den Sinn, von dem er nicht mehr so genau wusste, von wem er stammte – von ihm selber? – er wusste es nicht: