Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Mittelalter – I. Römisches Reich Deutscher Nation –. Ricarda Huch
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Mittelalter – I. Römisches Reich Deutscher Nation – - Ricarda Huch страница 8
Überall und zu allen Zeiten sind von den Menschen, die ein Gesetz ausführen sollen, viele, ja die meisten voller Mängel und Schwächen, so dass der Wille des Gesetzgebers selten rein zur Geltung kommt. Dasselbe ungünstige Verhältnis von Guten, Minderguten und Schlechten besteht natürlich in allen Schichten des Volkes und bestand bei den zu Bekehrenden wie bei den Siegern. Der Art der Bekehrung entsprach die Gesinnung, mit welcher die Taufe empfangen wurde, wie die folgende Anekdote erzählt. Als einmal um Ostern fünfzig Heiden zugleich sich zur Taufe meldeten, waren am Hof des Kaisers nicht so viele leinene Gewänder vorrätig, mit denen man die Täuflinge zu beschenken pflegte, und die fehlenden wurden schnell aus grobem Stoff zusammengenäht. Entrüstet sagte der eine der Heiden, als man ihm einen solchen Kittel reichte: „Zwanzigmal schon habe ich mich hier gebadet und immer habe ich gutes neues Gewand bekommen; dieser Sack passt höchstens für einen Sauhirten, nicht für einen Krieger. Wenn ich mich nicht meiner Nacktheit schämte, könntet ihr das Kleid mitsamt dem Chrisam behalten.“
Seit ihren Anfängen hatte die Kirche eine wesentliche Veränderung erfahren: als der Glaube des herrschenden Volkes gehörte sie nicht mehr in erster Linie den Armen und Sklaven, sondern den Großen. Bei allen germanischen Stämmen wurden die Könige und Herzöge zuerst Christen, und ihnen schloss sich der Adel an; was sie zum Übertritt bewog, war die Hoffnung, dass der Christengott ihnen Sieg verleihen werde. In den ersten Jahrhunderten hatte man die Armen beschenkt, wenn man die Kirche beschenkte; was der Kirche gehörte, gehörte den Armen, die Tätigkeit der christlichen Kirchenvorsteher bestand hauptsächlich in der Armenpflege. Allmählich, wie der Aufgabenkreis der Kirche sich erweiterte, wurde es üblich, dass die Bischöfe ihr Vermögen in vier Teile teilten und davon einen Teil für sich, einen für die Kanoniker, einen für die Instandhaltung und Verschönerung ihrer Kirche und einen für die Armen verwendeten. Almosen wurden noch immer reichlich verteilt, und Almosengeben von der Kirche dringend empfohlen; aber die Armen wurden doch als untergeordnete Leute und gewiss oft mit Geringschätzung behandelt. Es wurde erzählt, Widukind habe als Gefangener Karls, während sie, ein jeder an einem besonderen Tisch, speisten, gegen Karl bemerkt: „Euer Christus sagt, in den Armen werde er selbst aufgenommen. Mit welcher Stirn redet denn ihr uns zu, dass wir unsere Nacken beugen sollen vor dem, welchen ihr so verächtlich behandelt und dem ihr nicht die geringste Ehrerbietung beweist?“ Der Kaiser, so heißt es weiter, erschrak und errötete; denn die Armen saßen demütig am Boden.
Das Missverhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit, das immer besteht, drängte sich sicher gerade den Heiden auf, die der neuen Lehre zweifelnd gegenüberstanden. Indessen die Armen und Sklaven waren nur ein Teil des Volkes, und die Beziehung zur Armut ist nur ein Teil des Christentums. Erschüttert durch das ungeheure Erlebnis des mehr als dreißigjährigen Kampfes beugten sich die Besiegten, wie Widukind getan hatte, dem fremden Gott, der seine Übermacht an ihnen bewiesen hatte. Von ihm erwarteten sie nun Sieg im Kampf, Gedeihen der Äcker, Glück und Gelingen in allen Angelegenheiten, bereit, ihm dafür mit grenzenloser Ergebenheit zu dienen. Der alte Götterglaube, ob er nun dem nordischen ähnlich war, wie er sich in der Edda darstellt, oder ob er bei den deutschen Stämmen sich anders entwickelt hatte, sicherlich hatte er nicht mehr die quellende Frische eines neuen oder erneuerten Glaubens.
Edda ist der Name zweier Werke des 13. Jahrhunderts aus Island. In diesen beiden Werken werden skandinavische Sagen über die nordische Mytholokie und der Asen erzählt. Dabei ist die Snorra-Edda in Prosa geschrieben, während in der Lieder-Edda alte Lieder niedergeschrieben wurden. Obwohl beide Werke denselben Namen tragen und ähnliche Geschichten liefern, hängen sie nicht direkt miteinander zusammen. Die Lieder-Edda ist eine Sammlung altisländischer Lieder, die sich im Laufe der Jahrhunderte im Volksmund gesammelt hatten. Die Snorra-Edda hingegen stellt einen Überblick des damaligen nordischen Glaubens dar, der wirklich erst im 13. Jahrhundert durch Snorri Sturluson entstanden ist. Snorri Sturluson bedient sich mehrerer, heute unbekannter Quellen und beinhaltet teilweise auch Lieder, die in der Lieder-Edda niedergeschrieben sind.
Man weiß aus den Klagen des Bonifatius, dass sich die Religiosität der heidnischen Deutschen hauptsächlich in abergläubischen Bräuchen und Beschwörungen äußerte, im Wählen glückbringender Tage, im Los werfen, im Zwingen des Wetters oder menschlichen Willens; in solchen Formeln war der einst sinnvolle, lebendige Glaube erstarrt. An dem christlich abgewandelten Aberglauben festzuhalten, genügte dem religiösen Bedürfnis vieler. Weise Päpste ordneten an, dass soviel wie möglich der christliche Kult an heidnische Feste, Gebräuche, Gewohnheiten angeknüpft werde; so traten denn Heilige an die Stelle der Götter, und die das Leben Christi und der Heiligen bezeichnenden Feste an die Stelle der heidnischen, die den Sonnenlauf, das Erwachen und Hinsterben der Natur begleiten. Unter den Sachsen und Friesen, den zuletzt bekehrten Stämmen, waren wohl viele Bauern, die, wenn sie sich auch an die neuen Namen gewöhnten, doch der Kirche und den Priestern im Herzen feindlich blieben auf eine verbissene, schweigsame, gefährliche Art. Aber auch bei diesen schwand die Erinnerung an den alten Glauben, selbst wenn sich die alten Zaubersprüche im Gedächtnis erhielten. Die, welche die Pfaffen hassten, fühlten sich trotzdem als gute Christen.
(Die meisten Menschen in deutschen Landen wurden nicht missionisiert, sondern nur christianisiert.)
Ein ganzes Volk kann sich nicht plötzlich wesentlich verändern. Für die große Menge änderten sich zunächst nur die Namen und die Formeln. Einzelne religiös Begabte erfuhren durch die Berührung mit dem Christentum ein erschütterndes Erlebnis und eine Wandlung, und von solchen ging allmählich umbildender Einfluss auf das Volk aus. Es war nicht so, dass das Christentum seine Bekenner sofort auf eine hohe moralische Stufe gehoben hätte; aber das unergründliche Bibelwort riss Schluchten in ihrer Seele auf, aus denen heraus sie glühender lebten. Altheilige Vorstellungen verschmolzen mit dem neuen Gottesbild. Jehova (Jahwe – יהוה) war dem alten nordischen Himmelsgott verwandt; wie dieser durchstürmte er die Nacht auf weißem Blitz, Dichterworte, Zauberworte auf den überschwenglichen Lippen. Sie begriffen ihn als den Herrn, die furchtbare Majestät, unnahbar in ewige Glut gehüllt, als den Urton, der die Welt durchsummt. Sein Weg war unerreichbar hoch, sein Wille unerforschlich, unwiderstehlich. Und dieser Allmächtige wurde des Menschen Freund, schloss einen Bund mit ihm, und aus eines menschlichen Mädchens Schoß zeugte er wunderbar sein Ebenbild, den Frühlings- und Liebesgott, dessen Tod Dunkel und unendliche Trauer über die Erde ausbreitet. Den Mittelpunkt des Kultes und des Glaubens bildete das Sakrament des Abendmahls. Man feierte darin ein heiliges Geheimnis, die Vermählung von Gott und Natur, die Entzündung des elementaren Stoffes durch die Flamme Gott. Das Zauberwort des Magiers am Altar presste die durch das Weltall ergossene in einen elektrischen Punkt zusammen und leitete sie zu Segen oder Fluch auf die Lippe des sterblichen Menschen. Die wenigsten hatten das Bedürfnis, das Wunder zu verstehen, da sie es erlebten. Die Hostie war neben den Reliquien der Mittelpunkt der Wundersucht, das schauerlichste Mittel der Zauberei. Die Verehrung der irdischen Überreste von Heiligen, ein edler Brauch, vermischte sich bald mit teils heidnischen, teils weltlichen Vorstellungen, die von wenigen Hochstehenden benutzt, von den meisten geteilt wurden. Jahrhunderte hindurch waren Reliquien ein Zaubermittel, das von den Besitzenden gesammelt, erjagt, wenn es nicht anders ging, gestohlen wurde.
Gerhard vom Berge (* im 14. Jahrhundert; † 15. November 1398) stammte aus dem Hause der Herren vom Berge, die bei Minden ihren Sitz hatten und bis 1397 die Vogteirechte des Bistums Minden wahrnahm, er war Domkantor, dann Domdechant im Minden später das Bischof von Verden und Bischof von Hildesheim.
Als im 14. Jahrhundert Bischof Gerhard von Hildesheim gegen mehrere mächtige Fürsten in die Schlacht ging, versprach er erst der Mutter Gottes ein goldenes Dach auf ihre Kirche für den Fall seines Sieges, während sie sonst mit einem Strohdach sich begnügen müsse,