Den Tod für Tante Trudl!. Lukas Wolfgang Börner
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Jetzt wirst du gegenfragen: Was war denn mit der extra Portion Kartoffelsalat? Das will ich dir schon beantworten: Das war ein Eimer Mayonnaise!
„Wo sind denn die Kartoffeln?“, habe ich den Kellner gefragt und konnte mich der Tränen bald nicht mehr erwehren. Da hat er nur gelacht und in die Mayonnaise gezeigt. Und tatsächlich! Da schwammen zwei, drei Stückchen herum, die ein wenig an Kartoffeln erinnerten.
Wie mir der Magen knurrt!
*
Tod in Buonasera
Stell dir also vor, du sitzt im Wirtshaus. Du sitzt unter dem Bild des Königs und erfreust dich an einem königlichen Schnitzel und trinkst eine Cola. Oder, wenn du doch schon ein Erwachsener sein solltest, dann trinkst du halt ein Bier oder ein Weißbier. Deine große Familie sitzt um dich herum. Alle sind lustig und feiern und lachen. Dein Onkel trinkt wie immer etwas mehr und beginnt irgendwann auf die Ausländer zu schimpfen. Dann fährt ihm dein Vater über den Mund, der auch schon etwas angetrunken ist. Mit der Zeit bekommen sie rote Köpfe und lassen sich nicht mehr ausreden. Das wiederum belustigt die restliche Familie, man hält sich den Bauch vor Lachen, wie die anfangs spaßige Diskussion immer hitziger wird und irgendwann Kraftausdrücke fallen. Das sind aber keine echten Kraftausdrücke, weil ja Kinder anwesend sind. Es sind Ausdrücke wie: Rindvieh, Vollhirsch, Halbdackel und Hodenkopf. Irgendwann liegen sich Onkel und Vater in den Armen und sinnieren über die guten alten Zeiten.
Und jetzt stell dir vor, die ganze Familie außer dir selbst würde auf einmal wie vom Schlag getroffen umkippen. Von einer Sekunde auf die andere. Als wenn jemand mit den Fingern geschnipst hätte, so plötzlich werden die Augen glasig und die Köpfe fallen auf den Eichenholztisch. Und es wäre mit einem Mal totenstill.
Was würdest du im ersten Moment tun? Richtig. Du würdest lachen! Du würdest selbst den Kopf auf den Tisch schmeißen, aber nicht weil du plötzlich tot bist, sondern weil du etwas entsetzlich Komisches erlebt hast. Ja, du würdest sogar lachen, wenn du genau wüsstest, dass deine ganze Familie, die ganze lustige Gesellschaft von gerade eben jäh verstorben ist.
Und das ist das Fürchterliche daran. Irgendwann wird sich dein Lachen in Weinen verwandeln. Es ist ein fließender Übergang. Du weißt gar nicht, wann du zu weinen begonnen hast. Nach Stunden des Weinens lachst du mal wieder, weil es in all seiner Tragik so lächerlich war. Das ist aber fürchterlich! Denn es ist dir unmöglich, deine Trauer zu verarbeiten. Noch bei der Beerdigung stehst du da und lachst genauso viel, wie du weinst. Und darum hört es niemals auf wehzutun.
Und noch schlimmer: Du kannst niemandem von der Todesart erzählen, weil alle lachen würden. Du könntest zum Psychiater gehen und ihm erzählen, dass keiner den Tod deiner Familie ernst nimmt und er wird dich fragen, wie sie denn gestorben sind. Danach muss die Sitzung abgebrochen werden, weil seinerseits der Psychiater lachend abgebrochen ist.
Dennoch will ich dir die Katastrophe nicht vorenthalten. Verzeih bitte die Änderung meines Schreibstils, aber es muss sein:
Im Jahre Zweitausendundsoundsoviel fuhr die dreiköpfige Familie wie jedes Jahr nach Ligurien, was im Zitronenland liegt. Es ging mal lustig, mal ernst zu, mal harmonisch, mal streitlustig, wie es so in einer Familie abläuft, die nicht weiß, dass sie bald für immer voneinander getrennt sein wird. Man fährt zur Pension, checkt ein, macht noch einen abendlichen Spaziergang um die Bucht und geht dann das erste Mal schön essen. Es gibt Pizza, Pasta oder Costoletta alla milanese. Die kleine figlia heißt Maja und ist gerade zehn Jahre alt, der padre ist groß und dick und hat einen Hang zum Rotwein. Die madre ist eine zierliche Person, ein bisschen weniger charismatisch als der padre vielleicht, aber das liegt an ihrer aufopfernden Liebe zum padre und zur figlia und ist somit nur ein Zeichen ihres besseren Charakters.
Die Tage verbringt die famiglia damit, spät zu frühstücken. Joghurt und geschmacksneutrales Weißbrot, dafür aber den allerbesten Kaffee. Die Sonne scheint jeden Morgen durch das staubige Frühstücksfenster – ein getrübtes wunderbares Licht. Bei diesem guten Kaffee schlägt sogar Maja zu. Sie ist eigentlich noch zu jung für Kaffee und trinkt ihn, wenn überhaupt, nur mit sehr viel Zucker. Aber Latte Macchiato ... ach, ach! Das ist besser als der beste Kakao. Jeden Morgen trinkt Maja eine Tasse Latte Macchiato. Manchmal macht sie ein Foto davon und schickt es umgehend ihren beiden Freundinnen, damit die vor Neid platzen. Dann verlässt die famiglia das Haus und geht zum Strand. Es wird gesonnt, gespielt, geschnorchelt. Dann Siesta. Dann manchmal Kultur – zum großen Leidwesen Majas. Dann wieder Essen gehen: Costoletta alla milanese oder Cozze al pomodori. Der padre trinkt zum Essen Rotwein. Das genügt ihm aber nicht. Wenn er mit madre und Maja in die Pension zurückgeht, will er mehr Wein. Noch mehr Wein. Zu diesem Zweck hat er schon nachmittags eine Flasche Lambrusco gekauft und sie auf den Tisch neben die Vase mit den Plastikblumen gestellt.
Maja macht sich Sorgen. In der deutschen Schule haben sie über Alkohol und Drogen geredet. Und über Abhängigkeiten. Sie meint es gut mit ihrem padre. Sie möchte ihn davon überzeugen, dass er die Flasche Lambrusco an diesem Abend nicht mehr öffnet, sondern aqua minerale oder Aranciata trinkt. „Warum?“, fragt der padre unwirsch.
„Nun, weil Alkohol ungesund ist“, antwortet Maja.
„Er macht dich krank“, antwortet Maja.
„Er macht süchtig“, antwortet Maja.
„Öffne diese Flasche nicht“, antwortet Maja.
Und der padre betrachtet sein Kind mit schäkerndem Blick und wirft den Kopf zurück und lacht. Und er legt den Korkenzieher weg und sagt: „Meinetwegen, dann trink ich halt ... wie heißt das Zeug?“
„Aranciata!“
„Ja, na gut, Aranciata!“
Da lächelt madre und geht auf den Balkon hinaus, um die getrockneten Handtücher hereinzuholen. Wenn die Tür offen ist, bläst der laue Meereswind durch die Gardinen und die Aranciata und das zuckersüße italienische Gebäck schmecken noch besser. Wenn der padre für einen Moment still ist, kann Maja die Brandung hören. Die Wellen peitschen gegen die Felsen, die die Bucht an beiden Seiten begrenzen. Dort leben die größeren Fische und der Boden liegt tief unter den nackten Beinchen. Man wundert sich, wie plötzlich man vom flachen Schnorchelwasser in so tiefblaues Meer gelangen konnte. Und plötzlich sind da Fische, die sind so groß wie man selbst. Und man strampelt und paddelt, bis man wieder kiesigen Sand unter den Füßen hat. Hier leben die kleinen Fische. Seezungen und auf dem Boden sitzende Petermännchen.
Der padre macht Schattenspiele an der Wand. Es ist ein kleiner Teufel, den er mit den Fingern der linken Hand formt. Ein großer Kasperl kommt hinzu. Er will den Teufel vertreiben. Denn dieser hat sich heimlich der madre auf dem Balkon genähert. Er wartet auf der Gardine und hat einen Prügel in der Hand. Er möchte ihr den Prügel auf den Kopf hauen, wenn sie wieder hereinkommt. Doch der Kasperl ist schon da, um ihn daran zu hindern. So rangeln die beiden einige Zeit. Es dauert lange, denn madre lässt sich sehr viel Zeit auf dem Balkon. Vielleicht hat sie die Augen geschlossen und atmet die salzige Luft ein. Vielleicht schaut sie auch einfach nur in den dunklen Abend. Hinüber zu den Lichtern an der Küste. Vielleicht tut sie auch überhaupt nichts. Wer kann das sagen?
Der Teufel hat ihr auf jeden Fall keinen Hieb mit dem Schattenprügel versetzt. Aber nicht etwa, weil der Schattenkasperl ihn gehindert hätte, sondern weil in diesem Augenblick höchster Spannung, höchster Belustigung die Lambruscoflasche explodiert.
PAFF!!! Klirr klirr klirr!
Vielleicht war sie geschüttelt worden. Vielleicht