Der eiserne Gustav. Ханс Фаллада
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der eiserne Gustav - Ханс Фаллада страница 5
Aber Hackendahl steht hilflos vor Zorn und Trauer an dem Bett seines Erich, seines heimlichen Lieblings, dieses raschen, frohen, hellen Jungen, klügeres Gegenstück zur Eva ... Zorn und Trauer, ach, der Junge tut nicht gut, er ist betrunken ... Er ist erst siebzehn, er geht in die Unterprima des Gymnasiums, Liebling seiner Eltern, Liebling der Mitschüler, Liebling der Lehrer – aber er ist betrunken ...
Der Vater steht gedankenverloren da, sein Fuß scharrt mit dem Bettvorleger herum, aber vielleicht ist es etwas anderes, gar kein Bettvorleger?! Jetzt hat er keine Zeit, nachzusehen, er muß in das Gesicht des Sohnes schauen, dieses geliebte Gesicht. Und er versucht, darin zu lesen ...
Aber es ist immer nur erst Dämmern in der Stube. So geht er an das Fenster und schlägt eine Ecke des Vorhangs zurück, damit das schon hellere Licht des Tages voll auf den Schläfer fällt ...
Dabei begegnet sein Blick einem anderen Blick, dem Auge seines ältesten Sohnes Otto, das ihn dunkel und ein wenig trübe anschaut. Zorn steigt in Hackendahl auf, als habe Otto ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Er gibt ganz diesem plötzlichen Zorn nach, vor Otto kann man sich gehenlassen, Otto ist weicher Brei, weder Zorn noch Liebe scheinen einen merkbaren Eindruck in ihm zu hinterlassen. Der Vater hebt drohend die Faust, als wolle er ihn schlagen, er zischt im Flüsterton: »Stille biste! Willst du gleich wieder schlafen!«
Und sofort schließt der Sohn die Augen.
Einen Augenblick sieht der Vater noch in das blasse, weichliche Gesicht mit dem schütteren Bart. Dann wendet er sich wieder zu dem anderen Sohn zurück. Aber das kleine Zwischenspiel hat ihn verändert, er ist gewissermaßen nicht mehr allein im Zimmer, seit er weiß: Der Älteste ist wach. Mit dem ruhigen Nachdenken ist es vorbei, Zorn, Klage, Trauer sind verweht – es muß etwas geschehen ...
Es muß etwas geschehen!
Zuerst bückt er sich. Jawohl, er hat vorhin nicht darauf geachtet, aber er hat sie doch bemerkt, die betrunken verstreuten Kleidungsstücke. Das war kein Bettvorleger, auf dem er gestanden ... Er fängt an, die Kleider aufzusammeln.
Aus der Tasche der Weste gleitet etwas, leise klappernd fällt es zu Boden ...
Der Vater hängt erst die Weste ordentlich über die Stuhllehne. Dann hebt er den Schlüssel auf. Es ist ein ganz gewöhnlicher Schlüssel, ein kleiner Hohlschlüssel, wie man ihn für Schränke und Schubladen verwendet. Ziemlich neu noch, selbst im matten Licht meint der Vater, die Feilstriche am Bart zu erkennen ... Es ist eben kein Fabrikschlüssel, es ist ein vom Schlosser zurechtgefeilter Schlüssel, nichts Besonderes ...!
Der Vater steht so still, so still. Er hält dies Schlüsselchen in der Hand, er meint, die Zeit mit Sekunden und Minuten in den Ohren rauschen zu hören, sie fällt wie ein dichter Regen, sie löscht alle Geräusche aus, alle Geräusche des Lebens. Und das Leben selbst wird hinter diesen Schleiern grau und farblos und ferne ...
Nur ein Schlüsselchen ...
Nein, er sieht nicht mehr nach dem Bett des Trunkenen hin, es ist ihm auch gleich, ob Otto wach ist und ihn beobachtet. Im tiefsten Schmerz ist jeder unfaßbar allein. Nichts reicht mehr zu ihm ...
Mit schweren Füßen, wie über den Boden scharrend, mit Augen, die nur mühsam sehen, als seien sie halb blind, geht der Vater zur Tür, den Schlüssel vor sich in der Hand.
Diesen kleinen Schlüssel!
5
Auf dem Flur hörte Hackendahl wieder den Schimmel mahnend klopfen und rasseln. Das Lieblingstier des Herrn war verwöhnt, es forderte sich sein Extrafutter. Nein, es war nicht in Ordnung mit dem Schimmel und mit dem Erich auch nicht: Es war mit dem Herrn des Hauses nicht in Ordnung! Nach außen peinliche Gerechtigkeit und Pflichttreue, aber eine halbe Stunde früher stand er auf und schüttete dem Schimmel eine Extraration, heimlich, ehe der Futtermeister Rabause kam. Alle seine Kinder galten ihm gleich, aber wenn der Erich schmeichelte und nicht abließ, so lachte er schließlich, lachend gewährte er ihm, was er den anderen brummig abschlug.
Er hatte bei sich gemeint, dies sei nicht schlimm, niemand konnte seinem Herzen befehlen, wen es lieber haben sollte. Aber es war schlimm, es war keine Ordnung, ja, es war sogar wider die Ordnung, die menschliche und die göttliche, den Beweis dessen trug er in der Hand.
Er trug ihn in der Hand, zwischen zwei spitzen Fingern trug er den Schlüssel, wie einen Zauberschlüssel, dessen Wirkung man noch nicht genau kennt, mit dem man vorsichtig umgehen muß. Es ist ein Zauberschlüssel, er schließt dem eisernen Gustav neue Erkenntnisse auf. Kein Vaterherz kann eisern sein, es ist Boden, der immer neu gepflügt wird; manche von den Pflugfurchen vergehen nie wieder.
Hackendahl steht jetzt vor seinem Schreibtisch; er weiß nicht genau, wie er hierhergekommen ist, aber nun ist er hier, und es gibt kein Zurückweichen mehr. Gibt es das überhaupt je? Ein preußischer Unteroffizier weicht nicht zurück, er sieht dem Feind ins Auge, er greift an! Hackendahl blickt auf den Schreibtisch, es ist ein großes Stück aus heller Eiche, viel geschnitzt, die gelben Messingbeschläge zeigen Löwenmäuler.
In solch ein Löwenmaul stößt er den Schlüssel, er dreht ihn im Schlosse, siehe da, der Schlüssel schließt. Es überrascht ihn nicht, er hat es nie anders erwartet, als daß dieser von einem Schlosser angefertigte Schlüssel seine Schreibtischschublade schließen würde. Und er tut es nun also auch – Hackendahl sieht in die Lade. Plötzlich fällt ihm ein, daß früher, als die Kinder noch kleiner waren, rechts vorn immer ein Block aus braunrot gebranntem Zucker lag. Jeden Sonntag, nach dem Essen, traten die Kinder hier vor der Lade an. Der Vater hielt Gericht über die Woche, mit dem Messer schnitt er Stücke von dem Zuckerblock ab, je nach Artigkeit, kleinere und größere. Er hatte das für gut und gesund gehalten; in seiner Jugend war Zucker etwas Kostbares gewesen, man glaubte damals, daß er große Kräfte verlieh. Hackendahl hatte starke Kinder haben wollen ...
Später hatte sich herausgestellt, daß dies falsch gewesen war. Der Zahnarzt hatte erklärt, vieles Zuckeressen verderbe den Kindern die Zähne. Hackendahl hatte es gut gemeint, hatte es aber falsch gemacht. Das war oft so im Leben: Man meinte es gut und machte es doch falsch. Vielleicht wußte man nicht genug, hatte zuwenig gelernt. Mit Erich hatte er es auch gut gemeint und hatte es falsch gemacht. Er war nicht streng genug gewesen, und nun hatte er einen Dieb zum Sohne, das Schlimmste, was es gibt: einen Hausdieb, einen Burschen, der Eltern und Geschwister bestiehlt ...
Der Mann vor der Schreibtischlade stöhnt auf. Sein Stolz ist getroffen, seine Sauberkeit ist schmählich beschmutzt; wenn der Sohn stiehlt, kann der Vater nicht ohne Makel sein! Er hat, während er hier steht, ein sehr genaues Gefühl für die erbarmungslos verrinnende Zeit, er hat es vier Uhr schlagen hören. Er muß hinunter in den Stall, Füttern und Putzen der Pferde beaufsichtigen. In einer halben Stunde kommen schon die ersten Nachtdroschken von ihrer Tour zurück, er muß mit ihnen abrechnen. Er hat keine Zeit, hier tatenlos zu stehen und über einen mißratenen Sohn zu grübeln.
Jawohl, er müßte jetzt das Geld in den Leinwandbeutelchen nachzählen, er müßte den Fehlbetrag feststellen und den Sohn vernehmen. Dann das Füttern beaufsichtigen und das Putzen, anspannen lassen, abrechnen ... Er tut nichts von alledem, er schüttelt nachdenklich ein Leinwandbeutelchen, Sophie hat mit rotem Faden in Kreuzstich »10 Mark« darauf gestickt, das Beutelchen enthält Goldstücke, Zehnmarkstücke ...
Aber er zählt den Inhalt nicht nach, er geht weder zum Sohn noch in den Stall,