Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel
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Kompositionsunterricht war Prinz Friedrich zu der Zeit, als er Zuflucht im bürgerlichen Heim der Familie Ritter suchte, streng vom Vater verboten. Erst in seiner Rheinsberger Zeit (1733 - 1740) sollte es ihm offiziell wieder erlaubt werden, solchen Neigungen nachzugehen. Carl Heinrich Graun würde diesen Unterricht erteilen und zugleich ein kleines Kammerorchester leiten, das dem Prinzen Entspannung und Abwechslung garantierte.
Unter den Geschenken Prinz Friedrichs an Doris und ihre Familie, die ja später protokollarisch genau aufzeichnet wurden, findet sich kein einziger Hinweis auf Noten. Sie gedruckt zu erstehen, war teuer; wer es konnte, ließ sie kopieren oder kopierte sie selbst. Also muss Friedrich, wenn er sich quer über den Alten Markt zu Doris begab, entweder seine eigenen Noten mitgebracht und wieder mit-genommen haben. (Wer hatte sie für ihn besorgt, da ihm doch „die Musik untersagt“ war und in seiner Kasse ständig Ebbe herrschte? Vielleicht hatte der Flötenlehrer J.J. Quantz seinem Schüler entsprechendes Material zurück gelassen. Oder aber die Familie erwies sich als gut ausgestattet mit dem erforderlichen Repertoire. Wir wissen, dass Friedrich sich nichts aus religiöser Musik und frommen Liedern machte - das hätte er täglich im Überfluss am Hof seines Vaters haben können. So bleibt die Antwort, dass die pietistische Familie Ritter weltoffen genug war, auch Stücke ohne geistlichen Anspruch als Noten zu besitzen und dass das gemeinsame Konzert auch als Bindemittel der Zusammengehörigkeit der Familienmitglieder untereinander angesehen wurde. Es war weltliche Musik des Barock, die hier zur Aufführung kam, gewiss auch von Bach, der damals als Thomaskantor in Leipzig wirkte und von dessen Werk Prinz Friedrich viel hielt (1747 wird er den genialen Komponisten, dann schon als König, empfangen).
Dass Friedrich der Große selbst ein begnadeter Pianist gewesen sei, hat keiner je behauptet. Die Flöte war nun einmal das Instrument, das ihm am besten lag. Zumindest aber hatte er bereits als siebenjähriger Einblick gewonnen, als der Berliner Domorganist G. Hayne ihm einen einführenden Unterricht in das Generalbassspiel gewährte - damals noch mit ungetrübter Zustimmung des königlichen Vaters.
Doch damit nicht genug. Weil Doris Ritter über eine Bildung verfügte, die sie über die Altersgenossinnen ihres Standes weit hinaushob, konnte sich der wissensdurstige junge Prinz bestens mit ihr unterhalten. Zeitlebens beklagte Friedrich den einseitigen Unterricht, den ihm der Vater hatte angedeihen lassen. In seinen Rheinsberger Jahren versuchte er durch eifriges Lesen im Selbstunterricht das Versäumte aufzuholen.
Er muss Doris auch Details über das unerquickliche Leben unter der Fuchtel des Vaters anvertraut haben, denn nur so ist erklärlich, weshalb es ihm als König später so peinlich war, nach Allem, was kommen sollte, sich der Jugendfreundin zu erinnern. Mag sein, dass sich Doris ein wenig in den gut aussehenden 18Jährigen verliebte, der es überall verstand, Mitleid mit seinem Schicksal zu erwecken. Auf jeden Fall durfte sie sich durch seine Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlen. Eines aber wollte Friedrich mit Sicherheit nicht von Doris Ritter: ein schnelles sexuelles Abenteuer. Ihre Rolle war, wie wir noch sehen werden, die einer wirklichen Herzensfreundin und Duettpartnerin bei heimlich veranstalteten Hauskonzerten.
Natürlich wussten Doris' Eltern von dieser Freundschaft und taten auch nichts, um sie zu unterbinden. Schließlich war Prinz Friedrich der künftige König des Landes; ihm konnte man schlecht die Tür weisen. Ganz offensichtlich machte der junge Mann auch keine Anstalten, Doris zu verführen. Er besaß daher das Vertrauen des Ehepaars Ritter. Für Vater Matthias, der von jeher Kontakt zum Adel gesucht hatte, muss geradezu ein Traum in Erfüllung gegangen sein.
In rührender Weise versuchte Friedrich, der von seinem Vater lächerlich kurz gehalten wurde, durch kleine Geschenke seine Dankbarkeit zu zeigen. Ständig in Geldnot, muss es für ihn nicht leicht gewesen sein, 50 Kronen (10 Dukaten) aufzutreiben, die er Matthias und Maria Christina Ritter übergab. Sie sollten von dieser Summe „ihrer Tochter einen neuen Anzug machen“ lassen.
Was der Prinz sonst noch teils mitbrachte, teils durch Leutnant von Ingersleben überbringen ließ, wurde Monate später protokollarisch festgehalten:
Ein Schlafrock „von bleumourantem Gros de Tour“, mit silberner Kante eingefasst, dazu ein Geldgeschenk von 11 Dukaten zum Aufarbeiten des - von Friedrich abgetragenen - Stücks. Doris kaufte von dem Geld eine Garnitur Kanten, eine silberfarbige Palatine und einen Latz. Das Unterfutter aus blauem Taft trennte die Mutter heraus und nähte daraus ein Nachthemd für Doris.
Eine grüne Contouche (Nachtgewand) mit darauf gestickten Blumen. Auch dies war von Friedrich getragen - woraus wir übrigens schließen können, dass Doris nicht größer als der Prinz war, der 1,63 Meter maß. „Schon ganz alt [und] aufgeschlagen“, hieß es über das Gewand in den Akten.
Ein paar Armbänder aus mit Gold eingefasstem Perlmutt.
Etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber, das Friedrich selbst aus Sachsen mitgebracht hatte.
Katte, der Doris nie zu Gesicht bekam, äußerte sich während seines Prozesses später schriftlich über das Verhältnis der Beiden: „Ich erinnere mich, dass er ... von einem Mädchen sprach, das er in Potsdam hatte, das er sehr liebte, besagte Kantorstochter, vielleicht ist sie es, für die er sich durch häufige Zuwendungen aus eigener Tasche finanziell schröpfte. Ich habe sie nie gesehen und er hat mir nur eilt Mal davon erzählt - vor seiner Abreise, als er seine Abwesenheit bedauerte.“ (Brief an Grumbkow, 31.8.1730. Original französisch, von der Verf. übers.) Voltaire hingegen, der von 1750-1753 am preußischen Hof lebte, nennt Doris in seinen Memoiren „eine Art Mätresse“ und meint: [Friedrich] „glaubte in sie verliebt zu sein, doch er täuschte sich, diese Neigung hatte nichts Geschlechtliches an sich.“
Fest steht allerdings: niemals mehr verkehrte Friedrich der Große so unmittelbar in bürgerlichen Kreisen. Und niemals mehr wählte er sich eine Vertraute oder gar Mätresse aus diesem Stand. Die Beziehung zu Doris Ritter blieb etwas Einmaliges und Einzigartiges in seinem Leben.
Immer wieder ist in der Literatur von einem ominösen Medaillon die Rede, das Kronprinz Friedrich unter seiner Kleidung versteckt um den Hals getragen habe und das ein Miniaturporträt von Doris Ritter enthalten haben soll. Es sei ihm nach der missglückten Flucht weggenommen worden; die Freundschaft zu der jungen Potsdamerin sei dadurch erst ans Licht gekommen.
Eine rührende Geschichte, nur lassen sich dafür - zumindest nach heutigem Stand der Dinge - keinerlei Beweise finden. In den noch erhaltenen Akten und Protokollen wird nichts dergleichen erwähnt, doch sind andererseits etliche Dokumente abhanden gekommen, die sich mit Hans Hermann von Kalte, Dorothea Elisabeth Ritter und anderen Personen aus Friedrichs Umfeld von 1730 befasst haben.
Beweisbar ist jedoch die Reise des Kronprinzen zu einem Manöver in Sachsen, die zwischen dem 28. Mai und dem 24. Juni stattfand. Wir dürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Friedrich seiner Vertrauten anschließend ausführlich darüber berichtet hat, denn trotz aller aufregenden Ereignisse fand er noch Zeit, für Doris ein Geschenk zu besorgen, dass er ihr persönlich überbrachte. Es handelte sich, wie oben bereits erwähnt, um „etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber“, also eine Kostbarkeit von außergewöhnlicher Farbe.
Das von den Teilnehmern „Lustlager“ genannte Treffen bot jedoch nicht nur den Militaristen unter ihnen viel für Auge und Ohr. Alle Gäste wohnten in rasch errichteten, komfortablen Häusern mit Ziergärten. Für den preußischen König, der als besonders reinlich bekannt war, und seine Begleitung wurde eine extra große Anzahl Badezuber in die Ausstattung mit einbezogen. In den benachbarten Dörfern wurde das leibliche Wohl Aller garantiert; allein 160 Bäcker - die meisten davon aus Dresden — arbeiteten rund um die Uhr. Sie fabrizierten unter anderem einen Stollen von rekordverdächtigen Ausmaßen. Zwanzig Zentner Mehl, 5000 Eier und 326 Eimer Milch wurden dafür benötigt, ein riesiger Backofen eigens hierfür gebaut. Ein Gespann von acht Pferden zog das Kunstwerk ins Lager, wo es zerschnitten