Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

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Der unheimliche

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Frauen, zu denen Doris ja zählte. Schon mit seiner Mutter Sophie Charlotte, die mit Leibniz diskutierte, hatte ihn eine Art Hassliebe verbunden.

      Voltaire erwähnt in seinen Memoiren ein interessantes Detail: der Vater habe das Mädchen „unter den Augen seines Sohnes“ auspeitschen lassen; erst danach habe man Friedrich (der zuvor in Mittenwalde arretiert saß) in die Zitadelle von Küstrin überführt. Diese Angabe wird durch keinerlei andere Quellen bestätigt, doch würde es zum sonstigen Verhalten des „Soldatenkönigs“ passen. Schließlich musste der Kronprinz nach Weisung des Vaters bald darauf auch der Hinrichtung seines besten Freundes Kalte zusehen. Möglicherweise hat Friedrich zwischen 1750 und 1753, als Voltaire an seinem Hof lebte, dem Literaten dies wie auch andere Einzelheiten anvertraut, jedenfalls zeigt sich Voltaire erstaunlich gut über Doris Ritters Person informiert.

      Leutnant von Ingersleben wurde mit drei Monaten Festungshaft bestraft, weil er den Kronprinzen zur „Unterredung mit des Rectoris Tochter“ noch ermuntert habe und Geschenke Friedrichs überbracht, wo er doch hätte wissen müssen, dass dies dem Willen Seiner Majestät absolut zuwider laufe. Ob Generalauditeur Mylius, der Ingersleben verhörte, daran dachte, dass seine eigene Ehefrau Doris Ritters Taufpatin war?

      Die Familie Ritter musste Potsdam fluchtartig verlassen. Am 9.9.1730 wurde der Vater aus seinem Amt entlassen und man verlor keine Zeit, in Halle beim Sohn des 1727 verstorbenen A. W. Francke eine Empfehlung für einen Nachfolger einzuholen. Währenddessen verließen die Ritters preußisches Hoheitsgebiet und begaben sich in das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz. Dort fanden sie Unterkunft in der Stadt Neubrandenburg. 1735 bekam Vater Matthias endlich eine Stelle als Pastor an der Marienkirche.

      Im Jahr 1686 ließ der Große Kurfürst zu Spandau im ehemaligen Stadtpalais des Grafen Rochus Guerini zu Lymar ein Zuchthaus einrichten. Es lag zwischen Kloster- und Jüdenstraße und besaß eine angegliederte Manufaktur samt Spinnerei. In der Gründungsurkunde war deren Zweck genau beschrieben: mit Hilfe billiger Arbeitskräfte sollte die brandenburgisch-preußische Textilindustrie konkurrenzfähig gemacht werden. Prostituierte, begnadigte Mörderinnen, aufsässige Dienstmägde, aufgegriffene Bettlerinnen und Landstreicherinnen - sie alle waren hier eingesperrt und mussten täglich 10 bis 13 Stunden arbeiten. Während die männlichen Insassen bei verschiedenen Tätigkeiten angelernt wurden, durften die weiblichen sich lediglich dem Spinnrad widmen und hatten am Tag eine festgesetzte Menge Wolle zu verarbeiten. So entstanden Uniformen, Fahnen und Tücher für die Armee des „Soldatenkönigs“.

      Für die meisten Frauen gab es keine bestimmte Strafdauer. Die Aufseher entschieden, wann „eine bessere Arbeitsmoral erzielt“ worden war, worauf die Freilassung erfolgte. Mit einer solchen Vergünstigung konnte Doris Ritter nicht rechnen, war sie doch „auf ewig“ gefangen. Mit Sicherheit hat sie ihre Namensschwester und Mithäftling Dorothea Steffin kennen gelernt, eine 22jährige geisteskranke Müllertochter, die seit 1728 als Opfer des letzten Berliner Hexenprozesses im Spinnhaus einsaß.

      Aufgegriffene Bettlerinnen und Prostituierte waren Doris Ritters Gefährtinnen bei der Zwangsarbeit in Spandauer Spinnhaus. Kupferstich aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts

      Wie hat Doris Ritter diese Situation bewältigt? Welche Hoffnung konnte sie schöpfen, wie überstand sie die kommenden Jahre?

      Zum einen half ihr sicherlich der christliche Glaube, in dem sie aufgewachsen und der in ihrer Familie schon immer praktiziert worden war. Zum anderen wird Doris auf den Tod des - äußerst ungesund lebenden - „Soldatenkönigs“ gehofft haben. Prinz Friedrich würde sie befreien ...

      Ob sie erfuhr, was sich außerhalb der Spandauer Mauern tatsächlich abspielte? Der Thronfolger brauchte selbst Hilfe. Ihm und seinem Freund Katte wurde vor einem Militärgericht der Prozess gemacht. Noch ein Jahr hatte er dann in Küstrin zu verbringen und ein Praktikum als Volkswirt zu absolvieren. Die Heirat mit seiner Cousine Amelia wurde ein für alle Mal verworfen und stattdessen eine Verbindung mit dem Hause Braunschweig ins Auge gefasst. Friedrich fügte sich, denn er merkte, dass er sich nur durch äußerliche Unterwerfung und die vom Vater angeordnete Eheschließung eine gewisse Freiheit erkaufen konnte.

      Am 12.6.1733 fand auf Schloss Salzdahlum die Hochzeit statt: um gute Verbindungen zu den Habsburgern herzustellen, wurde die mit dieser Dynastie verwandte Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern Friedrichs Frau. Von einigen glücklichen Anfangsjahren abgesehen, sollte diese Ehe eine Tragödie werden, unter der allerdings nur die Gattin litt. Sie war - kaum zu begreifen - Friedrich in lebenslanger, einseitiger Liebe zugetan.

      Matthias Ritter erhielt wohl einen Wink, dass der preußische König nun, da der Sohn sich ihm vollständig unterworfen hatte, wieder zugänglicher geworden sei. Von Neubrandenburg aus richtete er ein Gnadengesuch für Doris an Friedrich Wilhelm, das dieser eigenhändig mit „Gut!“ befürwortete. Vier Wochen nach der Hochzeit des Kronprinzen wurde Doris Ritter in die Freiheit entlassen - mit Eindrücken und Erlebnissen, die sie niemals vergessen würde.

      Dass der „Soldatenkönig“ das an der jungen Frau begangene Unrecht niemals einsah, zeigt die Tatsache, dass sie keinerlei Entschädigung erhielt. Der Gelehrte Formey teilt in seinen Memoiren Folgendes mit: Ein bürgerlicher Angestellter aus Stettin war auf königlichen Befehl vom Henker ausgepeitscht worden. Später stellte sich seine Unschuld heraus, worauf König Friedrich Wilhelm nicht zögerte, den Mann als Wiedergutmachung nach Berlin einzuladen und einmal an der königlichen Tafel mitspeisen zu lassen. Nichts von alledem gestand man Doris Ritter zu, deren Unschuld sich doch sogar vor der Bestrafung schon erwiesen hatte. Ob unschuldig oder nicht: allein die Tatsache, dass Doris Ritter mehrere Jahre im Zuchthaus verbracht hatte, bedeutete gesellschaftliche Ächtung. Während ihre jüngeren Schwestern sich mit angesehenen Partnern vorteilhaft verehelichten, dauerte es nach ihrer Heimkehr beinahe fünf Jahre, bis es endlich ein Mann wagte, ihr den Hof zu machen. Am 24.4. 1738 heiratete sie den Gewürzhändler Franz Heinrich Schommer (auch Schummer, Schomer oder Schommers - alle diese Schreibweisen kommen vor). Vater Matthias traute das Paar in der Neubrandenburger Marienkirche.

      Elf Monate später war bereits Nachwuchs da. An ihrem 25. Geburtstag, dem 21.3.1739, hielt die glückliche Doris einen Sohn über das Taufbecken. Seine Namen erscheinen wie ein Programm: Justus (lateinisch „der Gerechte“) und Matthias nach seinem Großvater. Es folgte am 11.2.1741 ein weiterer Knabe, der Christian Friedrich genannt wurde.

      Neubrandenburg lag nahe genug an preußischem Hoheitsgebiet, dass Neuigkeiten von dort nicht lange verborgen blieben. So verbreitete sich im Frühjahr 1740 auch bald, wie es um die Gesundheit König Friedrich Wilhelms stand. Im Alter von nur 51 Jahren erlag er am 31.5. der Wassersucht. Sein Sohn - jetzt Friedrich II. - bestieg als 28jähriger den Thron.

      Doris Schommer hoffte wohl, dass der Jugendfreund sich an sie und das seinetwegen erlittene Unrecht erinnerte. Doch sie musste eine herbe Enttäuschung hinnehmen - wie viele andere, die Friedrich in seiner Kronprinzenzeit heimlich unterstützt hatten und nun auf Anerkennung und Gegenleistung seinerseits warteten. In dieser Hinsicht erwies sich der neue Herrscher als äußerst knauserig. Mit den Jahren zeigte sich außerdem, dass er seinem Vater charakterlich ähnlicher war als gedacht. Und je mehr er sich an den Maßstäben des einst so verhassten Vorgängers orientierte - beispielsweise das Militär besonders schätzte, Verwaltungs- und Schulreformen durchführte, umso weniger Kritik durfte an dem verstorbenen „Soldatenkönig“ geübt werden. Die Rebellion seiner Jugend und alles, was daran erinnerte, war König Friedrich schlichtweg peinlich und wurde verleugnet.

      Dies führte schließlich sogar dazu, dass die offizielle Geschichtsschreibung im Sinn des Herrschers geschönt wurde. Im Band 8 der Allgemeinen preußischen Staats-Geschichte von Carl Friedrich Pauli (Halle 1769), heißt es über die Ereignisse des Sommers 1730 lediglich: „Der Kronprinz kam etwas später über Halle und Dessau in Cüstrin an. Von dem Misvernehmen, welches auf dieser Reise zwischen dem Könige und dem Kronprinzen ausgebrochen, brauchen wir um so weniger zu sagen, weil solches von

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