SchriftZüge 14 eBook. Thomas Frick
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Erst in der vierten Stunde, im Politikunterricht, bemerkt Herr Gosse, dass jemand fehlt. „Wo ist denn Ahmed?“, fragt er. Niemand weiß es. „Anna, dann nimm du bitte die Übungsblätter für ihn mit, du wohnst doch bei ihm in der Straße.“
Die Klasse scheint den Atem anzuhalten. Alle wissen, was Justins Gang von Ahmed hält, und Anna ist fester Bestandteil dieser Gruppe. Seit Justin sitzengeblieben ist, sind sie ein Paar. Er ist der Einzige in der Klasse mit Führerschein, älter, gefährlicher. Anna kann die Blicke der Anderen in ihrem Rücken spüren. Steif nimmt sie den Hausaufgabenzettel entgegen, starrt nach vorn, an die Tafel. Herr Gosse nickt, zufrieden, so, als wäre ein Plan aufgegangen. „So so so, dann legen wir mal los! Nächste Woche soll der Tagebau geflutet werden. Wer kann mir aus gegebenem Anlass noch einmal die Probleme nennen, die für die Bevölkerung und für die Natur durch die Abbaggerung der Landschaft entstanden sind? Freiwillige vor, na kommt schon, hebt die Hände, los geht’s!“ Allgemeines Murren. Gosses mündliche Kurzkontrollen sind verhasst. Niemand hebt die Hand. „Mensch, Leute, kommt schon, das haben wir doch durchgekaut, so an die hundert Mal! Ich geb euch mal ein paar Hilfsstichworte: - Heimatverlust - Artensterben - Zwangsumsiedlungen. Na? Wer will? Immer noch nicht?“
Herr Gosse seufzt. „Guuut, dann muss wohl das Los entscheiden!“
*
Nach der Unterrichtsstunde will Anna nur noch weg. Sie läuft mit gesenktem Blick über den Pausenhof – doch Justin holt sie ein. „Was war das mit den Hausaufgaben? Warum hast du die angenommen?“ Wütend stellt er sich ihr in den Weg.
„Ich hatte kein Bock auf Stress. Ich hab’ meine Tage und mir geht’s beschissen.“
„Gib mir die Hausaufgaben.“ Justins Stimme klingt kühl. „Justin, bitte. Jetzt spiel dich nicht so auf.“ Anna kramt die Zettel, die Herr Gosse ihr in die Hand gegeben hat, aus ihrer Tasche und zerknüllt sie in ihrer Faust zu einer Kugel. „Bist du jetzt zufrieden?“
Justin nickt. „Komm, ich fahr dich nach Hause.“
Anna schüttelt den Kopf. „Nee.“ Ihre blonden Locken fallen ihr ins Gesicht. „Nee Justin, ich lauf nach Hause. Bewegung hilft mir gegen die Krämpfe, fahr ruhig ohne mich.“
Justin sieht sie starr an.
„Du bekommst doch jetzt nicht Panik oder sowas. Oder?“
Wieder Kopfschütteln.
„Ich hab’ meine Tage! Jetzt lass mich mal in Ruhe. Ok?!“ Justin grunzt. „Jaja, schon gut. Jetzt werd nicht gleich zickig. Ihr Tussis, echt ey.“ Er latscht zu seinem Auto. Anna kann hören, wie er mit Wucht die Tür zuknallt. Sie läuft langsam nach Hause. Die Sonne brennt auf ihren nackten Schultern. Der Riemen ihrer Tasche schneidet ihr ins Fleisch. Anstatt an der Dorfstraße nach rechts abzubiegen, um zu ihrem Haus zu gelangen, geht sie nach links, den kleinen Waldweg entlang.
Der Schweiß rinnt ihr den Körper hinab, brennt in ihren Augen, ihre Haare kleben an den Schläfen, ihr Mund ist trocken.
Nach etwa einer Stunde wird der Weg sandiger, breiter, aus Laub- werden Nadelbäume.
Sand klebt in Annas Ballerinas, reibt ihre Haut wund, blutig. Sie beißt sich auf die Lippe, kneift die Augen zusammen, hält nicht an, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Am Rand der Tagebaugrube angekommen, bleibt sie stehen und versucht, ihren Atem zu beruhigen. Ein leiser Wind weht die warme Luft, den Sand und die Lagerfeuerreste vorvergangener Nacht umher.
Die Finger ihrer rechten Hand krampfen immer noch um die Kugel aus Hausaufgabenblättern. Sie hat sich den ganzen Weg lang an ihr festgehalten. Sie biegt ihre Finger auseinander, versucht, das zerknitterte Papier glattzustreichen. Ihr Schweiß hat die von Herrn Gosse gekritzelte Notiz am Rand verwischt. „Für Ahmed, bitte bis zur nächsten Stunde bearbeiten.“ Annas Herz schlägt schneller, als sie sich nach vorne beugt, der Abgrund blickt ihr entgegen.
Ihr fällt dieses Zitat von diesem einen Typen ein, den sie in Gosses Unterricht behandelt hatten:
„Wenn du lange genug in einen Abgrund schaust, dann schaut der Abgrund auch in dich hinein.“ Mit zitternden Fingern lässt sie die Zettel los. Vom Wind getragen, trudeln sie herum, segeln so sanft, so leicht, wie Papier es in der Luft eben tut, ins Nichts.
Ruth Maria Thomas ist in Cottbus aufgewachsen, zur Schule gegangen, war jahrelang am Piccolotheater im Jugendinszenierungsclub und Gastschauspielerin im Staatstheater Cottbus.
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