Nana. Emile Zola

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Nana - Emile Zola

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Treppengang hinausgetreten, um die frische Nachtluft zu genießen.

      Unterdessen hatte Mignon seinen Freund Steiner in das »Café des Variétés« geschleppt. Als er den Erfolg Nanas für sicher erkannte, hatte er enthusiastisch von ihr zu sprechen begonnen, wobei er den Bankier verstohlen betrachtete. Er kannte ihn, zweimal hatte er ihm geholfen, Rose zu hintergehen, und, wenn die Laune verrauscht war, ihn als reuigen, getreuen Liebhaber ihr wieder zugeführt.

      In dem Café drängten sich die Gäste schon um die Marmortische; ein paar Herren gössen stehend ein Gläschen hinunter; die breiten Spiegelscheiben reflektierten dieses Gewimmel von Köpfen ins Endlose und ließen den engen Saal mit seinen drei Kronleuchtern, den schwarzen Plüschbänken und der rot drapierten Wendeltreppe weit größer erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Steiner suchte sich einen Platz an einem Tisch im ersten Saal, der auf den Boulevard hinausging und dessen Türen man ein wenig frühzeitig für die Saison ausgehoben hatte. Als Fauchery und Faloise vorüberschritten, hielt sie der Bankier zurück.

      »Trinken Sie doch ein Glas Bier mit uns!«

      Ein Einfall hatte sich seiner bemächtigt: er wollte Nana ein Bukett zuwerfen. Hastig rief er einen Kellner des Cafés heran, den er einfach »Auguste« nannte. Mignon, der zuhörte, schaute ihn mit einem so durchdringenden Blick an, daß er aus dem Konzept geriet und verwirrt stammelte:

      »Zwei Buketts, Auguste, und geben Sie sie bei der Schließerin ab, für jede der beiden Damen eins; im günstigen Moment soll sie sie ihnen zuwerfen, verstanden?«

      Am anderen Ende des Saals, mit dem Rücken gegen die Umrahmung eines Spiegels gelehnt, saß ein Mädchen von höchstens achtzehn Jahren, unbeweglich, wie müde von langem, vergeblichem Warten, vor einem leeren Glase. Sie trug ein mattgrünes Seidenkleid und einen runden Hut, dessen Boden gewaltsam eingeschlagen erschien. Unter den natürlichen Locken ihrer schönen aschblonden Haare blickte ein jungfräuliches Antlitz mit sanften, milden Samtaugen hervor.

      »Ei der Tausend!« murmelte Fauchery, als er sie erblickte.

      »Da ist ja Satin!«

      Faloise fragte ihn, wer das sei. Oh, eine Straßendirne, sonst nichts. Aber sie sei so originell und pikant, daß man sich gern den Spaß mache, mit ihr zu reden. Der Journalist fragte das Mädchen:

      »He, Satin, was machst du denn hier?«

      »Ach, ich langweile mich wie ein Mops«, versetzte Satin, ohne sich vom Platze zu rühren.

      Die vier Männer lachten. Das Frauenzimmer gefiel ihnen. Mignon versicherte, daß man sich nicht im geringsten zu beeilen brauche, es würden noch volle zwanzig Minuten vergehen, bevor die Dekoration des dritten Aktes in Ordnung sei. Aber die beiden Vettern, die ihr Bier bereits ausgetrunken hatten, wollten hinaufgehen, die kalte Luft behagte ihnen nicht. Als Mignon mit Steiner allein war, lehnte er sich an ihn und sagte ihm gerade ins Gesicht:

      »Abgemacht also, Steinerchen, nicht wahr? Wir gehen zu ihr, ich werde Sie einführen … Sie verstehen, das bleibt unter uns, meine Frau braucht davon nichts zu wissen.«

      Als sie auf ihre Plätze zurückgekehrt waren, bemerkten Fauchery und Faloise in der zweiten Logenreihe eine hübsche, mit feiner Bescheidenheit gekleidete Frau. Sie war in Gesellschaft eines ernst aussehenden Herrn, eines Bürochefs im Ministerium des Innern, den Faloise kannte, da er ihn bei Muffat getroffen hatte. Fauchery seinerseits glaubte, die Dame nenne sich Madame Robert; sie sei eine ehrbare Frau, die nie mehr als einen einzigen Liebhaber, und zwar immer einen respektablen Herrn, zu haben pflege.

      Aber sie mußten schweigen, denn Daguenet lächelte ihnen zu. Jetzt, da Nana Erfolg gehabt hatte, verbarg er sich nicht mehr, sondern zeigte sich mit triumphierender Miene in den Gängen. Sein Nachbar, der Student, dagegen hatte seinen Sessel nicht verlassen; er saß wie angenagelt da, die Bewunderung für Nana hatte ihn geradezu gelähmt. Das also war sie, das also war das Weib! Er wurde rot bis über beide Ohren und zog in Gedanken seine Handschuhe an und aus. Dann wagte er an seinen Nachbarn, den er von Nana hatte sprechen hören, die Frage:

      »Sie verzeihen, mein Herr, kennen Sie die Dame vielleicht, die die Venus spielt?«

      »O ja, ein wenig«, gab Daguenet überrascht und zögernd zur Antwort.

      »Dann wissen Sie möglicherweise auch, wo sie wohnt?« Die Frage war so plump und geradezu gestellt, daß Daguenet große Lust verspürte, sie mit einer Ohrfeige zu beantworten. »Nein«, versetzte er trocken und wandte den Kopf zur Seite. Der blonde Jüngling begriff, daß er eine Unschicklichkeit begangen hatte, errötete noch mehr und blieb in großer Bestürzung sitzen.

      Jetzt erschallten die drei Schläge; der letzte Akt begann. Die Claque beklatschte die Dekoration, die eine in einer Silbergrube ausgehöhlte Grotte des Ätna darstellte, deren Seitenwände hell wie neue Talerstücke schimmerten; im Hintergrund stand Vulkans Schmiede, deren Esse den Eindruck eines niedergehenden Gestirns machte. Diana verständigte sich mit dem Gott über die im zweiten Akt offengebliebenen Differenzen; Vulkan sollte eine Reise erheucheln, um für Venus und Mars freie Bahn zu lassen. Kaum befand sich Diana allein, als Venus erschien. Ein aufgeregtes Beben durchlief den Saal. Nana war nackt. Sie zeigte sich in ihrem Kostüm mit ruhiger, bewußter Kühnheit, des Allvermögens ihrer Reize gewiß. Ein loser Gazeschleier umhüllte sie; ihre vollen Schultern, ihr Amazonenbusen unter dem leichten Schleier, der die Farbe weißen Schaumes hatte, schimmerten hindurch. Die den Fluten entstiegene Venus, deren schönste Bekleidung ihr wallendes Haar ist, zeigte sich hier dem Publikum. Plötzlich erwachte in dem kindisch-gutherzigen Geschöpf das Weib, das mit seinem unruhigen Drang all das Unbekannte der Begierde erschließt und die Weiblichkeit triumphieren läßt. Nana lächelte, aber ihr Lächeln war jenes scharfe, spitze Lächeln des Männerherzen aussaugenden Vampirs. – »Alle Teufel!« wandte sich Fauchery an seinen Freund.

      Mars eilte inzwischen mit seinem wallenden Federbusch zum Rendezvous herbei und stand jetzt zwischen den beiden Göttinnen. Nun folgte eine Szene, die Prullière mit aller ihm eigenen Finesse spielte; geliebkost von Diana, die noch eine letzte Anstrengung an ihn verschwenden wollte, bevor sie ihn dem Vulkan überlieferte, gestreichelt von Venus, die durch die Gegenwart ihrer Rivalin noch mehr gereizt wurde, überließ er sich den süßen Empfindungen mit dem glückstrahlendsten Gesicht und blähte sich auf wie der Vogel im Hanfsamen. Ein großes Trio bildete den Schluß der Szene, und in diesem Augenblick trat eine Schließerin in die Loge von Lucy Stewart und warf zwei ungeheure Buketts von weißem Flieder auf die Bühne. Man applaudierte; Nana und Rose Mignon knicksten, während Prullière die Buketts aufhob. Ein Teil der im Parkett sitzenden Personen blickte lächelnd zu der Loge hinauf, in welcher Steiner und Mignon saßen. Der Bankier, dem das Blut ins Angesicht getreten war, bebte am ganzen Körper, sein Kinn zitterte konvulsivisch, gerade als ob ihm etwas in der Kehle steckengeblieben wäre.

      Was nun folgte, war dazu angetan, das Publikum vollends zu packen. Diana war wütend davongerast. Gleich darauf rief Venus, die sich auf eine Moosbank hingestreckt hatte, Mars an ihre Seite. Noch niemals hatte man eine glühendere Verführungsszene dem Publikum zu zeigen gewagt. Nana, die ihre Arme um Prullières Hals schlang, zog ihn zu sich nieder, als plötzlich Fontan in einem trefflich nachgeahmten Anfall toller Wut, mit dem glühend erregten Gesicht des gefoppten Ehemanns, der seine Frau auf frischer Tat überrascht, im Hintergrund der Grotte erschien und das berüchtigte Eisenmaschennetz wild in den Händen schwang. Ein Moment noch, dann ein geschickter Ruck, und Venus und Mars waren in der Schlinge gefangen; das Netz umschlang sie, und bewegungslos mußten sie in ihrer verliebten Positur verharren.

      Ein Gemurmel wurde laut und schwoll an gleich einem aufsteigenden Seufzer. Ein paar Hände klatschten, sämtliche Augengläser und Operngläser waren auf Venus gerichtet. Allmählich hatte Nana vom Publikum Besitz ergriffen, jedermann war ihr jetzt untertan. Das Fluidum, das von ihr ausging, breitete

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