Nana. Emile Zola

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Nana - Emile Zola

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ließ jedes Männerherz stillstehen … Fauchery sah vor sich den jungen Bruder Studio, den die Flammen der Leidenschaft von seinem Fauteuil emporhoben. Er fühlte eine neugierige Regung, den Grafen Vandeuvres zu betrachten, der bleich mit zusammengekniffenen Lippen auf seinem Sessel lehnte; dann glitt sein Blick auf den dicken Steiner, dessen Gesicht in apoplektischer Röte glühte; dann auf Labordette, der mit dem Erstaunen eines eine vollendete Stute bewundernden Pferdehändlers sein Monokel ins Auge drückte; endlich auf Daguenet, dessen Ohren flammten und im Gefühl befriedigten Sinnenrausches sich bewegten. Dann trieb ihn ein instinktartiges Gefühl, vorwärts zu schauen, und er blieb einen Moment lang verdutzt über das, was sein Blick in der gräflichen Loge der Muffats erschaute: hinter der Gräfin, die blaß und ernst aussah, richtete sich die Gestalt des Grafen empor, dessen Mund offenstand. Sein marmornes Angesicht war rot gefleckt, und neben ihm tauchten aus dem Schatten die trüben Augen des Marquis de Chouard auf, die sich zu einem Paar phosphoreszierender Katzenaugen umgewandelt hatten.

      Nana, die kühne Nana, blieb angesichts dieses verblüfften Publikums, angesichts dieser fünfzehnhundert zusammengepferchten Personen, die abgespannt, nervös erregt nur für das seinem Ende zuneigende Schauspiel Sinn hatten, Nana blieb Siegerin. Der Vorhang sank über die Apotheose: Der Chor der Gehörnten lag auf den Knien, einen Dankeshymnus zu Venus emporsendend, die in ihrer souveränen Nacktheit lächelte und zu unsagbarer Größe emporwuchs.

      Die Zuschauer waren bereits aufgestanden und eilten nach den Ausgangstüren. Man rief die Autoren, und inmitten der donnernden Bravorufe erfolgten zwei Hervorrufe: »Nana! Nana!« Dieser Schrei packte die Menge wie rasend. Dann wurde es finster, obwohl der Saal noch nicht leer war, die Lampenreihe auf der Bühne verlosch, der Kronleuchter wurde heruntergeschraubt, lange Ziehdecken aus grauer Leinwand glitten über die Logen, verhüllten die Vergoldungen der Galerien. Der Saal, der eben noch so heiß, so lärmend gewesen war, versank plötzlich in einen schweren, dumpfen Schlaf, und ein Moder- und Staubgeruch stieg auf. An der Brüstung ihrer Loge lehnte die Gräfin Muffat. Sie wartete, bis die Menge sich verzogen hatte, und schaute, in ihren Pelz gehüllt, nieder in die langsam eintretende Finsternis des Saales. Fauchery und Faloise hatten, um den Ausgang beobachten zu können, eiligst den Saal verlassen. Das Vestibül entlang bildeten die Herren Spalier, während die Doppeltreppe hinab sich schrittweise zwei endlose, regelrechte geschlossene Reihen bewegten. Steiner, den Mignon mit sich zog, war einer der ersten gewesen, der die unteren Räume erreichte. Der Graf von Vandeuvres kam mit Blanche de Sivry am Arm. Einen Moment lang schienen Gaga und ihre Tochter verlegen, daß sie eines männlichen Schutzes entbehrten, aber Labordette eilte herbei und besorgte ihnen einen Wagen, dessen Tür er galant hinter ihnen schloß. Niemand aber hatte Daguenet das Theater verlassen sehen. Als der kleine Bruder Studio mit glühenden Wangen, entschlossen, vor der Schauspielertür zu warten, nach der Passage des Panoramas rannte, deren Gitter er aber verschlossen fand, streifte Satin, die auf dem Gehsteig stand, seine Beine mit ihren Röcken; aber er schob sie, von Verzweiflung gepackt, ohne weiteres beiseite und verschwand dann, von Liebe getrieben und fast in Tränen über seine Unbeholfenheit. Verschiedene Herren steckten sich behaglich Zigarren an und entfernten sich, die Melodie »Wenn Venus abends Pflaster tritt« vor sich her summend. Satin war nach dem »Café des Variétés« zurückgegangen, wo Auguste ihr gestattete, die von den Gästen übriggelassenen Zuckerstücke zu verzehren. Ein großer dicker Mann, der sehr erhitzt aus dem Lokal trat, nahm sie endlich in den Schatten des langsam einschlafenden Paris mit sich. Noch immer aber kamen Leute aus dem Theater. Faloise wartete auf Clarisse; Fauchery hatte versprochen, Lucy Stewart mit Caroline Héquet und ihrer Mutter nach Hause zu bringen. Sie kamen, nahmen fast eine ganze Ecke des Vestibüls in Beschlag und lachten laut auf, als die gräflichen Muffat jetzt mit eisiger Miene vorüberschritten. Bordenave hatte eben eine kleine Tür aufgestoßen und verlangte von Fauchery das förmliche Versprechen einer eingehenden Besprechung des Abends. »Auf zweihundert Vorstellungen dürfen Sie mit Sicherheit zählen!« redete Faloise ihn mit verbindlicher Höflichkeit an.

      »Ganz Paris wird Ihr Theater beehren!«

      Aber Bordenave zeigte ärgerlich mit einem heftigen Ruck seines Kinns auf das Publikum im Vestibül, auf jene Rotte Männer mit trockenen Lippen und Feueraugen, die lüstern nach dem Besitz Nanas glühten, und schrie dem jungen Mann heftig zu:

      »So sagen Sie doch: mein Bordell, Sie verwünschter Dickschädel!«

      Kapitel 2

      Am anderen Morgen schlief Nana noch um zehn Uhr. Sie bewohnte auf dem Boulevard Haussmann die zweite Etage eines großen neuen Gebäudes, dessen Eigentümer an ledige Damen vermietete, um seine Zimmer »trocken wohnen« zu lassen. Ein reicher Handelsherr aus Moskau, der für eine Wintersaison nach Paris gekommen war, hatte sie hier einquartiert und auf ein Halbjahr den Mietzins voraus entrichtet. Die Wohnung, die viel zu geräumig für sie war, wurde niemals vollständig ausmöbliert; ein prahlerischer Luxus, vergoldete Konsolen und Sessel fanden sich neben altem Trödelkram aus Rückkaufsgeschäften, Mahagoni-Nipptischchen und Zinkkandelabern, die Florentiner Bronzen darstellten. Dies alles gab ein Bild von dem Milieu einer Dirne, die von ihrem ersten ernstlichen Verehrer zu früh sitzengelassen und nun wieder zweifelhaften Liebhabern in die Arme gefallen war. Nanas Debüt war im großen ganzen keineswegs leicht gewesen, ihr Eintritt in die Welt völlig verunglückt; in diesem Augenblick war ihre Lage besonders schwierig, denn niemand wollte ihr mehr borgen, und jeden Augenblick konnte es geschehen, daß sie vom Hauswirt an die Luft gesetzt wurde.

      Nana schlief auf dem Bauch, das Kopfkissen, in das sie ihr schlaftrunkenes Gesicht vergrub, preßte sie zwischen ihre nackten Arme. Das Schlafgemach und das Ankleidezimmer waren die beiden einzigen Räume, deren Einrichtung von einem Tapezierer des Stadtviertels besorgt worden war. Ein Lichtschimmer glitt unter einem Vorhang herein, man unterschied das Palisandermobiliar, die damastnen Vorhänge und Sitze, deren Muster große, blaue Blumen auf grauem Untergrund zeigte. Aber in der dumpfen Luft dieses verschlafen daliegenden Gemachs fuhr jetzt Nana jäh aus ihrem Schlummer auf: sie schien erstaunt zu sein, den Platz neben sich leer zu finden. Sie betrachtete das zweite Kissen, das neben dem ihrigen lag und noch die laue Höhlung eines Kopfes inmitten des Spitzenbesatzes zeigte. Sie tastete mit ihrer Hand nach dem Kopfende des Bettes und drückte auf den Knopf eines dort angebrachten elektrischen Klingelzuges.

      »Ist er denn schon fortgegangen?« fragte sie die in das Gemach tretende Zofe.

      »Ja, Madame, Herr Paul ist schon gegangen, es sind aber kaum zehn Minuten her … Da Madame noch müde war, wollte er Sie nicht aufwecken. Aber er hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er morgen wiederkommen werde.«

      Zoé, die Zofe, öffnete die Jalousien. Das volle Tageslicht flutete herein … Zoé war eine lange Brünette mit einem gelblich-blassen Teint; das mit Blatternarben bedeckte Gesicht mit dem breiten Mund, der platten Nase, den dicken, aufgeworfenen Lippen und den unaufhörlich in Bewegung befindlichen kohlschwarzen Augen umrahmte oberhalb das glatt an der Stirn herabgescheitelte Haar.

      »Morgen, morgen«, wiederholte Nana, die noch immer halb verschlafen war; »ist denn das der Tag, morgen?«

      »Ja, Madame, Herr Paul pflegt immer am Mittwoch zu kommen.«

      »Nicht doch, mir fällt ein«, rief Nana und setzte sich im Bett auf, »das hat sich ja alles geändert! Ich wollte ihm das heute morgen sagen … Er könnte leicht mit dem ,Mulatten' zusammengeraten, das könnte eine schöne Bescherung geben!«

      »Madame hat mir nichts davon gesagt, ich konnte das also nicht wissen«, gab Zoé zur Antwort. »Wenn Madame ihre Besuchstage zu ändern beliebt, so sollte sie mir Kenntnis davon geben, damit ich mich zu verhalten weiß … Der alte Geizkragen darf also dienstags nicht mehr kommen?«

      Sie pflegten unter sich, ohne den Mund dabei zu verziehen, mit den Namen »alter Geizkragen« und »Mulatte« die beiden zahlenden Männer zu titulieren, von denen der eine ein Kaufmann aus dem Faubourg Saint-Denis mit großen

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