Nana. Emile Zola

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Nana - Emile Zola

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jener Tage mit Beschlag belegt, in deren Nächten der alte Geizkragen hier zu weilen pflegte; da der Kaufmann am frühen Morgen, spätestens gegen acht Uhr, zu Hause sein mußte, paßte der junge Mann immer in der Küche sein Fortgehen ab und nahm dann bis gegen zehn Uhr dessen warmen Platz ein. Nachher ging auch er seinen Geschäften nach. Nana und Daguenet fanden diese Einrichtung höchst bequem.

      »Eine schlimme Geschichte!« meinte Nana. »Ich will ihm ein paar Zeilen schreiben; und sollte er meinen Brief nicht bekommen, so läßt du ihn morgen nicht eintreten.«

      Unterdessen schritt Zoé mit leichten Tritten in dem Schlafzimmer auf und ab. Sie sprach von dem großen Erfolg des gestrigen Abends. Madame habe ein so großes Talent gezeigt, so vortrefflich gesungen! Oh, von jetzt an brauche Madame sich keine Sorgen mehr zu machen!

      Nana, die sich mit dem Ellbogen auf das Kissen stützte, antwortete nur durch ein Wiegen ihres Kopfes. Ihr Hemd war herabgeglitten, die aufgelösten wirren Haare rollten über ihre nackten Schultern.

      »Gewiß! Gewiß!« murmelte sie, in Träumen versinkend. »Aber wie soll man es machen, um das abzuwarten? Ich werde heute wieder alle möglichen Widerwärtigkeiten zu hören kriegen … Sag', ist der Portier heute morgen noch nicht oben gewesen?«

      Nun plauderten beide sehr ernst. Madame schuldete drei Mietbeträge, der Hausherr sprach bereits von Beschlagnahme des Mobiliars. Dann kam die lange Reihe anderer Gläubiger, die alle schon mehr als ungeduldig nach Geld drängten: ein Wagenverleiher, eine Wäscherin, ein Damenschneider, ein Kohlenhändler und noch verschiedene andere, die sich tagtäglich auf einer Bank im Vorzimmer festzusetzen pflegten; der Kohlenhändler besonders war ein gräßlicher Gesell, er schrie ohne Rücksicht auf der Treppe laut nach seinem Geld. Aber der Hauptkummer Nanas war ihr kleiner Louis, ein Kind, das sie mit sechzehn Jahren gehabt hatte und das sie bei seiner Amme in einem Dorf in der Nähe von Rambouillet gelassen hatte. Dieses Weib verlangte dreihundert Franken, wenn es den kleinen Louis wieder hergeben sollte. Seit dem letztenmal, da sie das Kind besucht hatte, verzweifelte Nana in einem Anfall von Mutterliebe schier bei dem Gedanken, ob ihr Vorhaben, die Pflegerin zu bezahlen und den Kleinen zu ihrer Tante, einer Madame Lerat, nach Batignolles zu bringen, wo sie ihn zu jeder Stunde sehen könnte, je zu verwirklichen war.

      Während Nana, in Sinnen versunken, auf dem Bettrand saß, machte Zoé die Andeutung, daß Madame ihre bedrängte Lage dem alten Geizkragen hätte offenbaren sollen.

      »Ach Gott, ich hab' ihm ja doch alles längst gesagt«, rief Nana; »er hat mir geantwortet, daß er in der letzten Zeit zu starke Verluste gehabt hat … Der Lump kann sich von seinen Millionen nicht trennen. Und der Mulatte liegt jetzt auch krumm, ich glaube, er hat alles im Spiel verloren … Und was den armen Mimi anbetrifft, so könnte er selber brauchen, daß man ihm was pumpte; die letzte Baisse hat ihn ganz ausgeplündert, er kann mir jetzt nicht einmal mehr Blumen mitbringen.«

      Die letzten Worte bezogen sich auf Daguenet. Nana hatte, wenn sie sich dem Nachdenken über ihre Lage überließ, vor Zoé kein Geheimnis. Die Zofe, die an derlei Vertraulichkeiten gewöhnt war, nahm sie mit respektvoller Teilnahme entgegen. Da Madame sie würdige, von ihren Angelegenheiten mit ihr zu sprechen, dürfe sie sich wohl erlauben, ihren Gedanken über die dermalige Lage Ausdruck zu geben. Vor allen Dingen sei sie Madame in aufrichtiger Liebe zugetan, sie habe ihretwegen Madame Blanche im Stich gelassen, und Madame Blanche setze, weiß Gott, Hände und Beine in Bewegung, um sie wiederzubekommen! An Stellen fehle es ja nicht, sie habe ja Bekanntschaften genug, aber sie sei, selbst in Zeiten der größten Klemme, bei Madame gebliebert, weil sie eben fest an die Zukunft von Madame glaube. Und zum Schluß ließ sie ihre Ratschläge von Stapel. Solange man jung sei, begehe man eben noch Dummheiten. Jetzt müsse man aber die Augen offenhalten, denn die Männer dächten an nichts anderes als an Scherz und Vergnügen. Oh, da solle doch kommen, was da wolle! Madame brauche ja nur ein Wort zu sagen, um ihren Gläubigern den Mund zu stopfen und um das Geld zu bekommen, das sie benötige.

      »Mit all deinen Reden aber bekomme ich keine dreihundert Franken«, versetzte Nana und vergrub die Finger in die wirr herabhängenden Locken. »Und dreihundert Franken muß ich haben, heute, auf der Stelle … Es ist scheußlich, daß man keinen Menschen kennt, der einem dreihundert Franken gibt.«

      Sie suchte unter ihrer Bekanntschaft; sie dachte einen Augenblick an Madame Lerat, die sie gerade am heutigen Morgen erwartete, um sie nach Rambouillet zu schicken. Ihre verdrießliche Stimmung, die Sehnsucht nach ihrem Kinde verdarb ihr den Triumph des gestrigen Abends. Sich sagen zu müssen, daß es unter all jenen Männern, die ihr Beifall geklatscht hatten, keinen einzigen gebe, der ihr fünfzehn Louisdor borgen würde! Und dann könne man ja Geld noch nicht einmal ohne alles weitere annehmen! Mein Gott! Wie unglücklich sie doch war! Und immer und immer wieder kamen ihre Gedanken zurück auf ihren kleinen Herzbuben, der so schöne blaue Engelsaugen hatte, der so possierlich »Mama!« stammelte, daß sie vor Freude schier hätte sterben mögen.

      Im selben Augenblick aber ertönte die elektrische Glocke. Zoé kam zurück und meldete mit einer vertraulichen Gebärde:

      »Eine Frau ist draußen.«

      Sie hatte das Weib zwanzigmal schon gesehen, aber sie tat immer, als kenne sie sie nicht und auch nicht die Beziehungen, in denen sie zu den Pariser Damen vom Schlage Nanas stand, die fortwährend in der Geldklemme sitzen.

      »Sie hat mir ihren Namen genannt … Madame Tricon!«

      »Die Tricon!« schrie Nana. »Ach, wahrhaftig, die hab' ich ja vergessen … Laß sie eintreten!«

      Zoé führte eine alte Dame von hoher Gestalt herein, die lange Locken trug und die ganze Haltung einer Frau von Adel hatte, die Besuche bei ihren Anwälten macht. Dann verschwand Zoé geräuschlos, mit jener schlangenhaften, geschmeidigen Behendigkeit, mit der sie stets aus dem Zimmer glitt, sobald ein Herr eintrat. Übrigens hätte sie ruhig bleiben können, denn die Tricon setzte sich nicht einmal; nur wenige kurze Worte wurden zwischen den Frauen gewechselt.

      »Ich habe heute jemanden für Sie … Haben Sie Lust?«

      »Ja … wieviel wirft's ab?«

      »Zwanzig Louisdor … Abgemacht?«

      »Abgemacht!«

      Dann sprach die Tricon sogleich vom Wetter; es sei recht hübsch trocken heute, recht angenehm zum Gehen. Sie müsse noch vier bis fünf Personen aufsuchen und könne darum nicht lange bleiben; als sie sich verabschiedete, warf sie flugs einen Blick in ein kleines Notizbuch. Sobald Nana allein war, atmete sie erleichtert auf. Ein leichtes Beben glitt über ihre Schultern, und fröstelnd kroch sie wieder in das warme Bett und räkelte sich behaglich mit der Faulheit einer verwöhnten Katze. Allmählich schlössen sich ihre Augen, sie lächelte bei dem Gedanken, daß sie morgen ihren kleinen Louis recht niedlich herausputzen wollte, während in dem Schlummer, der sie jetzt umfing, ihr fieberhaftes Träumen der vergangenen Nacht, ein langanhaltendes Rollen von Bravorufen wiederkehrte und sie in Schlaf lullte.

      Um elf Uhr, als Zoé Madame Lerat ins Zimmer hereinführte, schlief Nana noch. Aber das Geräusch, das die Eintretenden machten, weckte sie auf:

      »Ach, du bist's … Du sollst heute nach Rambouillet fahren!«

      »Ich komme ja deshalb her«, erwiderte die Tante. »Es geht gegen Mittag ein Zug; ich habe Zeit, ihn zu benutzen.«

      »Nein, ich werde erst zu einer späteren Stunde Geld haben«, versetzte Nana, die sich jetzt im Bett aufrichtete und den Hals weit vorreckte. »Du kannst mit mir frühstücken, wir wollen dann sehen.«

      Zoé trug einen Frisiermantel herein.

      »Madame«, sprach

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