Vorm Mast. Wolfgang Bendick
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„Wir sind nicht mehr auf Kurs!“, melde ich, „Irgendwas stimmt da nicht.“ Da greift der Wachoffizier ein: „Steuerbord 5“, sagt er. „Steuerbord 5“, wiederhole ich und drehe das Rad bis der Ruderlagenanzeiger 5° nach Steuerbord anzeigt. „Ruder liegt Steuerbord 5“, melde ich. Ich bemerke, wie die Kompassscheibe sich langsam zurück nach 220° bewegt. „Mittschiffs“, kommt die nächste Order „Mittschiffs! - Ruder liegt mittschiffs!“ „230° beibehalten!“ Schmidchen freut sich wahnsinnig! So hat man es mit ihm also auch gemacht und ihn blamiert, wie mich. „Soll ich's ihm sagen?“, fragt er den Wachhabenden. „Wenn du's besser weißt, sag's ihm!“ „Schau“, sagt er in versöhnendem Ton, schau auf diesen geraden Strich“ und zeigt auf die Glasscheibe des Kompasses, „diesen Strich musst du durch Ruderbewegung mit dem angegebenen Kurs, also 230° auf der Kompassscheibe in Deckung bringen. Ja nicht die 230 mit dem Strich, so wie du versucht hast! Meine feuchten Hände kleben am Steuerrad, ich schwitze. Warum hatte uns das keiner gesagt? Es hieß immer, man muss das Schiff auf Kurs halten. Aber wie, das hatte man uns verschwiegen! „Schmidchen, übernehme mal wieder. Der da vorn läuft etwas zu quer zu unserem Kurs.“ „230“, sage ich und übergebe erleichtert. „230“, wiederholt Schmidchen. Der Offizier ruft mich in die Nock und zeigt achteraus. Die vorher noch gerade Spur des Kielwassers macht weit hinten einen Knick, und kommt dann langsam wieder auf die alte Linie zurück. „Das ist deine Unterschrift“, sagt der Wachhabende. „Je gerader deine Unterschrift, umso schneller bist du mal Gefechtsrudergänger!“ Ein hochtrabendes Wort. Doch bald merke ich, dass unter uns Kadetten eine Art Wettkampf besteht, wer der beste Steuerer ist. Wer einmal Gefechtsrudergänger wird oder zumindest Ersatzmann! „Doch jetzt wollen wir uns mal um den da an Steuerbord kümmern. Steuerbord 10“. „Steuerbord 10. Ruder liegt Steuerbord 10“... Mit der Zeit wurde all dies mein Alltag.
HART IST DAS LEBEN EINER RATTE
Ich steuerte bei Nacht ebenso gut wie bei Tag. Wir waren pünktlich zum Wachantritt da, waren nüchtern, ließen uns nichts zuschulden kommen. Den Tee mit Salz zu verbessern vergaß ich lieber. Wir Junggrade merkten, dass die Schiffsleitung uns den Matrosen für die Wache vorzog. Das gab uns ein gewisses Selbstbewusstsein, das selbst die Dauerkritik der anderen nicht untergraben konnte. Wracktonnen erkennen, Seezeichen in Küstennähe oder auf der Seekarte im Kartenhaus ausfindig machen, nachts die Leuchtfeuer auszählen, sie bestimmen und anpeilen, all das wurde mir vertrauter, je länger die Reise dauerte. In der Biskaya wurde mir zwar etwas mulmig, weil die Kreuzseen unseren fast leeren Kahn ziemlich dümpeln ließen. Portugal zieht an Backbord vorüber. „Jetzt hast du's geschafft“, denke ich, „dir kann nichts mehr passieren!“ Mein Schritt wurde sicherer, mein Körper begann, die Schiffsbewegungen vorauszuahnen, eins mit Schiff und See zu werden. In den Gängen brauchte ich mich nicht mehr an den Schotten abzustützen oder mich an den Handläufen zu sichern. Ich schaffte es sogar, bei der Backschaft mit 6 Tellern voller Spiegeleier von der Kombüse über Deck nach achtern zu jonglieren, ohne dass die Teller hinunterfielen oder der Wind die Eier wegblies.
Blick vom Großmast nach achtern
Manchmal nahm ein Matrose die Eier vom Teller und schickte mich zurück zur Kombüse. „Sag dem Chef, du hast sie runtergeschmissen, er soll dir ein paar neue geben!“ Doch der lachte nur. Er kannte alle Tricks und alle Matrosen. „Sag dem Fiete, dass für die nächsten 10 Tage kein Landgang anliegt. Mit zwei Eiern zum Frühstück hat er genug. Wenn ihm das nicht reicht, dann soll er seine eigenen fressen!“ Natürlich kam es vor, dass ich ausrutschte, und die Teller über Deck segelten und zu Bruch gingen und ich manchmal hinterher. Wenn der Koch das gesehen hatte, gab's Ersatz. Wenn nicht, verzichtete ich eben auf mein eigenes Frühstück und überließ es den Matrosen. „Hart ist das Leben einer Ratte, noch härter ist die Morgenlatte!“, war Rudis Fazit.
Langsam tat das Schiff mir seine Geheimnisse kund. Allein oder mit den anderen Ratten erkundete ich alle erlaubten und verbotenen Orte. Kaum eine Leiter, an der ich mir nicht die Hände verschmutzte. Vom Doppelboden bis zum Masttop, vom Kettenkasten bis in die Süßöltanks führten unsere Streifzüge. Mit der Zeit freundeten wir Neuen uns mit manchen von der Maschine an, und diese erklärten uns stolz, wie das alles funktioniert. Wir verstanden aber gar nichts bei dem unerträglichen Lärm, der hier unten herrschte. Mir ist unklar, wie die sich hier unten verständigen. Vielleicht mit einer Art Taubstummensprache... Sie arbeiteten in Shorts, mit nacktem Oberkörper, selbst im Winter, waren ölverschmiert, ein triefnasses Schweißtuch um den Hals geknüpft, das sie von Zeit zu Zeit auswrangen oder in kaltes Wasser tauchten.
Hier erfuhren wir, dass unsere Hauptmaschine ein Zweitaktdiesel war, der auf See mit Schweröl lief und für Manöver vorher auf Gasöl umgestellt werden musste. Das Schweröl ist in Normalzustand fast fest und muss erhitzt werden, damit es fließt. Der Tagesverbrauch liegt bei 16 Tonnen. Alle Motoren haben einen Süßwasser-Kühlkreislauf, welcher wiederum mit Seewasser gekühlt wird. Sogar Trinkwasser wird an Bord hergestellt. Mit der Abwärme der Maschinen wird bei Unterdruck Seewasser verdampft und mit Mineralzusatz als Trinkwasser verwendet. Das beruhigte uns sehr. Doch ist Wassermangel für das Schiff gefährlicher als für uns. Falls wirklich mal alles Wasser ausgehen sollte, können wir immer noch ein Ticket schreiben und uns mit Bier die Zähne putzen. Doch bezweifle ich, dass der Steward so viel Mineralwasser an Bord hat, um das Schiff wieder schwimmfähig zu machen, falls die von der Maschine mal das ganze Meer verdampft haben! Eigentlich sollte man das Zähneputzen mit Bier in unser Überlebensprogramm einbauen. Zur Bootsrolle und Feuerrolle sollte man das Zähneputzen ohne Wasser hinzufügen. Vielleicht könnte man das Toilettenrolle nennen?
Nach der Biskaya wurde die Steuerautomatik eingeschaltet. Jetzt war nur noch der Wachoffizier auf der Brücke und einer von uns auf Flötentörn, was bedeutet, man muss bei Pfeifsignal sofort auf die Brücke eilen. Seit der Biskaya hat auch der Unterricht begonnen mit Herk, unserem Ausbildungsoffizier. Jeden Morgen, nach dem Frühstück, ist für uns alle erst mal Reinemachen angesagt, und ab ½ 9 Uhr bis 12 Uhr finden wir uns im Unterrichtsraum mittschiffs ein. Wir sitzen auf unseren festgeschraubten, mit rotem Plastikbezug bespannten Drehsesseln, hören dem Ausbilder zu oder schauen durch die Bullaugen auf das Meer. Die auf der Fensterseite sitzen, sehen statt des Meers die Weltkarte. Beides also genug Anlass zum Träumen. Manchmal klappt auch beides. Nicht, dass der Unterricht uns nicht genug forderte, aber manche von uns schafften es, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Hier an Bord und zugleich in einem anderen Land irgendwo am Rande des Meeres. Wir wurden hier ausgebildet, um ein Schiff zu bedienen, unser ungeduldiger Geist aber machte sich selbständig und wollte die Welt erobern.
Zum Glück ist unser Offizier auch ein Mann der Praxis, und so dient unser Unterricht oft dem besseren Verständnis der Arbeiten an Deck oder auf der Brücke. Da ich offiziell Mittlere Reife hatte (nimmt man eine Lebenserwartung von 80 Jahren, hätte ich die erst bei 40 haben dürfen) ist viel vom allgemeinen theoretischen Stoff nichts Neues für mich. Eher eine Auffrischung. So genieße ich die Schulstunden und tue das, was die Matrosen uns schon seit langem unterstellen: Ich erhole mich! Der Flötentörn arbeitet mit den Matrosen an Deck. Er muss sich den Lernstoff später von uns erklären lassen.
Die Kanarischen Inseln liegen querab
Das Schiff schraubt sich unter leichtem Vibrieren immer weiter nach Süden. Hinter dem Bullauge taucht der Horizont auf, dann das Meer. Dann ist es, als schaue ich schräg von oben in die Wellen. Diese verschwinden bald wieder nach unten, dann erneut der Horizont, der ebenfalls langsam wegtaucht, dann eine Weile nichts als Himmel. Ich fühle mich