Vorm Mast. Wolfgang Bendick

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Vorm Mast - Wolfgang Bendick страница 4

Vorm Mast - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

Скачать книгу

an, und sie benutzen es, um einen fertig zu machen. Verräter!

      Aber die schlechte Note passte gut in mein Konzept: Als ich den Eltern sagte, was mein Berufswunsch war, reagierten sie wie der Lehrer, obwohl sie keine Bayern waren. Durch mein schlechtes Zeugnis konnte ich sie überzeugen, dass meine Zukunft nicht intellektuell, sondern handwerklich sein würde. Und sie ließen mich gehen. Eigentlich ist gehen lassen zu schwach ausgedrückt. Mein Vater schmiss mich raus auf immer und ewig, während meine Mutter mich weinend zum Zug begleitete. „Pass gut auf dich auf, mein Junge!“, waren ihre letzten Worte, als der Zug sich in Bewegung setzte. Ich hing am offenen Fenster und winkte, bis sie im Dunkel zurückblieb. So. Das wäre geschafft. Der erste Schritt zur Freiheit, zum wahren Leben!

      *

      Der Zug ratterte die ganze Nacht. Am Vormittag kam ich in Bremen an. Ein Fahrgast, mit dem ich mich unterhalten hatte, sagte, wenn ich im Zug bliebe, könne ich über Bremerhaven fahren und vom Zug aus gut das Segelschiff „Schulschiff Deutschland“ sehen. Aber außer ein paar Masten sah ich nichts. Vielleicht hatte ich auf der falschen Seite rausgeschaut... Zudem musste ich 5 Mark 50 Zuschlag für den Umweg zahlen, obwohl ich beteuerte, das Aussteigen verschlafen zu haben.

      Die Seemannsschule, die ich besuchen sollte, um mich auf meinen Beruf vorzubereiten, lag in Bremervörde, an der Oste (nicht Ostsee, wie ich zuerst dachte, als ich die Einschreibformulare für die Seemannsschule erhalten hatte), einem kleinen Flüsschen, das unweit von Cuxhaven in die Elbe mündet. Am Bahnhof wartete ein Schüler, der schon früher angereist war, auf all die Neuen, um sie zur Schule zu führen.

      Das war ein Backsteingebäude mit zwei Seitenflügeln. Dahinter ragte ein hoher Mast empor, wie auf einem Segelschiff. Dann musste jeder von uns zur Einschreibung ins Büro. Anstatt der erwarteten Begrüßung gab's einen Anpfiff. Man hatte mich schon mit einem früheren Zug erwartet.

      Die Postkarte, die ich Muttern schickte

      Was mir denn einfiele, mit Verspätung zu kommen. „Ich bin aus Versehen in einen anderen Zug eingestiegen usw.“. Ich sah, dass es auch hier zwecklos war, mit Erwachsenen normal zu reden. Vielleicht brauchten sie nur Freiwillige zum Kartoffelschälen; denn das war es, was die Verspätung mir einbrachte: eine Woche Kartoffelschäldienst! Na ja; jemand muss es ja machen. Zu meinem Glück waren wir drei Auserwählte. 50 Schüler plus die Offiziere, das gab einiges an Kartoffeln... Ich kannte den Barras nicht, den Militärdienst, war ja erst 16. Aber ich stellte mir vor, dass es dort ebenso herging wie hier. Brüllen, Befehle, Strammstehen und „Jawoll“ sagen.

      Wir wurden in zwei Gruppen eingeteilt: die Steuerbordwache und die Backbordwache. Wenn mehr Schülerandrang war, kam noch eine Mittelwache dazu. Die Zimmereinteilung ging schnell vor sich. Alphabetisch. 8 Jungens pro Raum in 4 Stockbetten. Dann ging es ans Bettenbauen, d. h. Beziehen. Dabei bemerkten wir, dass alle Matratzen, egal wie wir sie auch drehen mochten (außer hochkant), Blutflecken hatten. Hatte hier ein Massenmord stattgefunden? Nein! Bevor das Haus zur Seemannsschule umfunktioniert wurde, war es ein Mädchenpensionat gewesen. Und neue Matratzen zu kaufen, das war für die Seemannsschule Hamburg nicht drin. Es fehlte an Kohle, also Spendengeldern. So hatte unsere Schule also beide Extreme gekannt. Erst rein weiblich - jetzt voll männlich. Manchmal lagen wir mit Phantasmen in den Kojen (Betten) und stellten uns die Vorbeliegerin unserer Matratzen vor. Versuchten, die Zeit zurückzustellen... Als der Wachoffizier die gerade von uns bezogenen Betten inspizierte, flog erst mal wieder alles raus. „So baut man keine Betten, seid wohl alle Muttersöhnchen?!“ Einer, der vorher bei der Bundeswehr war, musste uns das genau zeigen. Zu unserem Glück zeigte er uns auch die Tricks, als der Offizier gegangen war, das nächste Zimmer zu inspizieren: vier Knoten in die Ecken des Lakens, und alles war glatt!

      Dann ging es an die Einteilung der Unterrichtsräume: Die erste Hälfte des Alphabetes bekam den Steuerbord-Raum, die zweite den Backbord-Raum. Das Schrankeinräumen ging nicht so schnell. Je drei Schüler hatten einen Schrank gemeinsam hier im Klassenzimmer. In die rechte Hälfte hängten wir unsere besseren Sachen auf Kleiderbügel. Das ging fast anstandslos. Linkerhand hatten wir jeder zwei Ablagefächer übereinander. Da flog alles so schön von Muttern zusammengefaltete wieder im Bogen hinaus und landete auf dem Boden. „Nochmal neu! Aber richtig diesmal!“ Natürlich war es auch dieses Mal nicht richtig. Die Taschentücher mussten rechteckig gefaltet werden, nicht quadratisch. Die Hemden so, dass die Ärmel innen lagen, der Kragen obenauf. Alles auf eine bestimmte Breite. So viel Mühe wir uns auch gaben, so oft flog alles wieder hinaus. Ein paar Schüler wurden sauer. „Nix als Schikane!“ Das waren die nächsten Anwärter zum Kartoffelschälen. Mir kam das alles eher vor wie ein lebensgroßes Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Glaubst du, du hast es geschafft, wirst du wieder geschmissen. Nur nicht ernst nehmen, dachte ich mir. Sonst bist du hier nicht am richtigen Platz! Das machten uns auch die Offiziere klar: „Wir haben euch nicht gerufen! Ihr seid es, die zur See fahren wollt! Und da geht nichts ohne gewisse Regeln. Und die müsst ihr erst mal lernen!“

      Erschien uns vieles als Willkür, so sahen wir spätestens an Bord, dass manches berechtigt gewesen war. Bedingt durch die Enge entstanden dort viele Probleme, die es an Land nicht gibt. Hier fand schon eine Auswahl statt, fast ein Eignungstest. Auch mussten wir lernen, eine Order bedingungslos auszuführen. Es hatte keinen Zweck, uns dagegenzustellen. Wir sollten ja fähig werden, in extremen Situationen zu arbeiten und zu überleben. Eines stand für uns alle fest: Von unseren Eltern hätten wir uns auf diese Weise nicht behandeln lassen! Nie!

      Unterrichtsräume, Speisesaal, Küche und Büros befanden sich im Erdgeschoss. Im Obergeschoss, über dem Speisesaal, wohnte der Kapitän. Im Hauptflügel lagen beidseitig des langen Flurs unsere Kammern und die Waschräume, von denen die Innentüren fehlten. Die Klos waren offen, die Duschen ohne Vorhänge. Im Seitenflügel befanden sich die Kammern der Offiziere, die in der Schule wohnten, wenn sie zusätzlich Nachtdienst hatten. Manche von ihnen wohnten in der Stadt. Im Dachgeschoss lagerten wir unsere Koffer. Im Keller befanden sich der Heizraum und Koksvorrat, die Waschküche und der Takelkeller, das Reich des Bootsmanns Papendieck.

      Der Mast im Hof der Schule

      Wir dachten zu Anfang, dass die Türen der Toiletten und die Vorhänge nur zum Überholen entfernt sind. Doch das war Dauerzustand! Daran musste man sich erst mal gewöhnen, zu zehnt nackt unter den Duschen zu stehen oder für alle sichtbar auf den Klos aneinandergereiht sein Geschäft zu erledigen. Für wohl alle war dies anfangs die schwerste Probe. Alles nackt. Kurze Schwänze, lange Schwänze. Nur keinen hochkriegen! Da würde die ganze Meute was zum Lachen haben! Wenn sich etwas anfing zu regen, dann lieber schnell auf ein Klo, wenn eines frei war, und ihn zwischen den Beinen einklemmen, bis er wieder hängt... Diente dies alles zur Erziehung zur Gleichgültigkeit, oder war es, um zu verhindern, dass zwei Gleichveranlagte sich treffen konnten? Vielleicht beides. Klar, dass die Schüchternen unter uns, zu denen auch ich gehörte, lieber duschen gingen, wenn weniger da waren. Oder aufs Klo. Aber mit der Zeit wurde uns das egal. Und das Duschen wurde zu einem der unterhaltsamsten Momente des Tages, wo wir mal ohne Aufsicht waren und ungehindert Witze machen konnten. Ohne Aufsicht? Ich glaube, die beste Aufsicht ist die Masse. Sind wir alle!

      Natürlich gab es welche, die der Schulleitung hinterbrachten, was sie gehört hatten, was sie gesehen hatten. Wer, was, wann, wie und wo. Das merkten wir morgens beim Rapport. Wir alle mussten vor dem Frühstück im Hof in Reih und Glied („nicht vergessen!“) antreten. Vor dem hohen Mast. Wir standen, Hände auf dem Rücken, Offiziere und Kapitän rechte Hand grüßend zur Mütze gehoben, während die Deutschlandflagge langsam in die Gaffel stieg. Wehe, der Posten, der die Flagge hisste, verhedderte die Leine, war zu schnell oder zu langsam! War das Tuch oben, wurde für uns die Sache ernst. „Moin, Jungs!“, sagte der Kapitän. „Guten Morgen,

Скачать книгу