Jerusalem. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Jerusalem - Selma Lagerlöf страница 10
Da kam jemand den Waldweg gegangen. Es war Kajsa; aber sie erkannten sie kaum, denn sie trug nicht die Tracht mit den Körben. »Guten Tag, guten Tag,« sagte sie, und die Alte ging hin und drückte ihnen die Hand. »Ja, ihr sitzt hier, während alle Knechte auf dem Ingmarshofe auf der Suche nach euch sind.«
»Ihr hattet es so eilig, aus der Kirche zu kommen,« fuhr die Alte fort, »so daß ich euch gar nicht guten Tag sagen konnte; aber ich wollte Brita doch begrüßen, und so ging ich denn nach dem Ingmarshof. Zugleich mit mir kam der Propst, und er ging in die gute Stube, ehe ich noch guten Tag gesagt hatte. Er ruft Mutter Märta gleich zu, bevor er noch die Hand gereicht hat: »Ei, Mutter Märta, ei, Mutter Märta, jetzt sollt Ihr Freude an Ingmar erleben; da kann man doch sehen, daß er vom alten Stamm ist; nun müssen wir anfangen, ihn den großen Ingmar zu nennen.« Mutter Märta sagt ja nie viel; jetzt stand sie da und knüpfte ihr Kopftuch auf und zu. »Was sagte der Propst?« sagte sie endlich. »Er hat Brita heimgeholt,« sagte der Probst, »glaubt mir, Mutter Märta, dafür wird er geehrt werden, solange er lebt.« – »Ach nein, ach nein,« sagte die Alte. »Ich war nahe daran, aus dem Text zu geraten, als ich sie in der Kirche sitzen sah, das war eine bessere Predigt, als ich eine halten kann. Ingmar wird uns allen zum Beispiel werden, so wie sein Vater es war.« – »Das sind große Neuigkeiten, mit denen der Herr Propst kommt,« sagte Mutter Märta. – »Ist er noch nicht zu Hause?« – »Nein, er ist noch nicht gekommen. Aber sie sind vielleicht erst nach Bergskog gefahren.«
»Hat Mutter das gesagt?« rief Ingmar aus. – »Ja, das hat sie gesagt, und während wir auf euch warteten, schickte sie einen Boten nach dem anderen nach euch aus.«
Kajsa redete noch weiter, aber Ingmar hörte nichts mehr, was sie sagte, denn seine Gedanken waren weit weg – – –.
»Dann trete ich in die gute Stube,« dachte er, »wo Vater mit all den alten Ingmarssöhnen sitzt.« – »Guten Tag, großer Ingmar Ingmarsson,« sagt Vater und geht mir entgegen. – »Guten Tag, Vater, schönen Dank für die Hilfe.« – »Ja, nun machst du eine gute Heirat,« sagt Vater, »dann wird alles das andere schon von selbst kommen.« – »Ich wäre nie so weit gekommen, wenn Ihr mir nicht beigestanden hättet,« sage ich. – »Das war keine Kunstt,« sagt Vater. »Wir Ingmars brauchen nichts weiter als Gottes Wege zu gehen.«
Beim Schulmeister
In dem Kirchsprengel, wo die alten Ingmarssöhne wohnten, war zu Anfang der achtziger Jahre kein Mensch, der sich hätte denken können, einen neuen Glauben anzunehmen oder einer neuen Art Gottesdienst beizuwohnen. Sie hatten ja wohl davon reden hören, daß hier und da in anderen Kirchsprengeln Sekten entstanden, und daß es Menschen gab, die in Bäche und Seen stiegen und sich mit der neuen Taufe der Baptisten taufen ließen; aber sie lachten über das alles und sagten: »So etwas paßt vielleicht für die, die in Appelbo und in Gagnef wohnen, aber hierher zu uns ins Kirchspiel wird das nie kommen.«
Wie die Leute überhaupt an allen anderen alten Sitten festhielten, so hielten sie auch streng darauf, daß man jeden Sonntag in die Kirche ging. Alle, die kommen konnten, kamen, selbst im Winter bei der allerstrengsten Kälte. Und gerade im Winter war es beinahe notwendig. Man hätte es nicht aushalten können, in der kalten Kirche bei vierzig Grad Frost zu sitzen, wenn sie nicht ganz dicht mit Menschen besetzt gewesen wäre.
Aber man muß nun nicht glauben, daß der Kirchenbesuch so groß war, weil der Pfarrer so ausgezeichnet war. Der Gemeindepfarrer war ein guter Mann, aber niemand konnte von ihm sagen, daß er eine besondere Gabe habe, das Wort Gottes auszulegen. Zu jener Zeit ging man in die Kirche, um Gott zu ehren, und nicht, um sich über eine schöne Predigt zu freuen. Wenn man sich hinterher auf der windigen Landstraße nach Hause kämpfte, dachte man: »Der liebe Gott hat es wohl bemerkt, daß du bei dieser Kälte in der Kirche warst.«
Darauf kam es an; im übrigen konnte aber niemand etwas dafür, wenn der Pfarrer wieder nichts weiter als genau dasselbe gesagt hatte, was man ihn jeden Sonntag sagen hörte, seit er in das Kirchspiel gekommen war.
Aber um die Wahrheit zu sagen, hing das so zusammen, daß die meisten vollkommen mit dem zufrieden waren, was sie zu hören bekamen. Sie wußten, daß das, was der Pfarrer ihnen vorlas, Gottes Wort war, und darum fanden sie es schön. Nur der Schulmeister und einer oder der andere von den alten klugen Bauern sagten wohl gelegentlich einmal zueinander: «Unser Pfarrer hat eigentlich nur eine einzige Predigt. Er redet beinahe von nichts anderem als von Gottes Vorsehung und Gottes Regierung. Das mag angehen, solange die Sekten sich fernhalten. Denn zurzeit ist diese Festung schlecht verwahrt und würde beim ersten Angriff fallen.«
Es verhielt sich auch wirklich so, daß die umherreisenden Predikanten immer an dem Kirchspiel vorbeizogen. »Es nütze nichts, dahin zu kommen,« sagten sie. Die Leute dort unten wollten nichts von der Erweckung wissen. Sowohl die Laienprediger als auch die Erweckten in den Nachbargemeinden hielten die alten Ingmarssöhne und die übrigen Gesindemitglieder für große Sünder, und wenn sie die Kirchenglocken dieses Sprengels hörten, sagten sie, sie läuteten die Melodie: »Schlaft in euren Sünden! Schlaft in euren Sünden!«
Alle in der Gemeinde, Groß wie Klein, waren sehr empört, als sie hörten, daß die Leute so über ihre Glocken sprachen. Sie wußten ja, daß kein Mensch in dem ganzen Kirchsprengel es versäumte, sein Vaterunser zu beten, wenn die Kirchenglocken läuteten. Und jeden Nachmittag, wenn die Vesperglocke ertönte, wurde alle Arbeit draußen wie drinnen unterbrochen; die Männer nahmen die Hüte ab, die Frauen machten einen Knicks, und alle standen so lange still, wie man gebraucht, um ein Vaterunser zu beten. Alle, die in dieser Gemeinde gewohnt haben, müssen auch anerkennen, daß sie nie so stark gefühlt haben, daß Gott das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit ist, als wenn sie an Sommerabenden plötzlich die Sensen ruhen und den Pflug mitten in der Furche anhalten und das Kornfuder auf dem Wege zur Scheune stillstehen sahen, nur um einiger Glockenschläge willen. Es war, als wüßten die Leute, daß der liebe Gott gerade dann auf einer Abendwolke über die Gemeinde hinschwebt, groß und mächtig und gut, und Segen über die ganze Gegend ausstreut.
In diesem Dorf hatte man noch keinen Schulmeister, der auf einem Seminar gewesen war, sondern man hatte einen altmodischen Schulmeister, der nichts weiter war als ein Bauer, der selbst das gelernt hatte, was er konnte. Er war ein tüchtiger Mann, der ganz allein mehr als hundert Kinder unterrichten konnte; er war über dreißig Jahre Schulmeister gewesen und genoß das größte Ansehen. Der Schulmeister war nicht weit davon entfernt zu glauben, daß er das Wohl und Wehe des ganzen Kirchsprengels auf dem Gewissen habe, und nun wurde er unruhig, weil sie einen Pfarrer hatten, der nicht predigen konnte. Er verhielt sich indes ruhig, solange in den anderen Kirchsprengeln nur die Rede von der Einführung einer neuen Taufe war; aber als er hörte, daß die Reihe nun auch an das Abendmahl gekommen sei, und daß die Leute anfingen, sich hier und da in den Häusern zu versammeln, um das Abendmahl zu nehmen, da konnte er nicht länger gleichgültig zusehen. Er selbst war arm, aber es gelang ihm, einige von den größten Bauern zu dem Bau eines Missionshauses zu überreden. »Ihr kennt mich,« sagte er zu ihnen, »ich will nur predigen, um die Leute in dem alten Glauben zu stärken. Denn wohin soll es führen, wenn die Laienpredikanten uns mit der neuen Taufe und dem neuen Abendmahl überfallen und niemand da ist, der den Leuten sagt, was wahre und was falsche Lehre ist?«
Der Schulmeister war beim Pfarrer wie bei allen anderen sehr gut angeschrieben. Er und der Pfarrer gingen oft zwischen dem Pfarrhof und der