Jerusalem. Selma Lagerlöf

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      »Still, Storm,« sagte der Pfarrer, »ich weiß, ich bin ein schlechter Prediger gewesen, aber ich glaubte doch nicht, daß Sie mir das Amt wegnehmen würden.«

      Storm machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand: das war wirklich nicht seine Absicht gewesen; aber er wagte nichts zu sagen.

      Der Schulmeister war zu jener Zeit ein Mann von sechzig Jahren, aber trotz all der Arbeit, die er auf sich genommen hatte, war er noch in seiner vollen Kraft. Er war das gerade Gegenteil vom Pfarrer. Storm war von gleicher Größe wie der größte Mann in Dalarne; das schwarze Haar lockte sich um die Stirn, die Haut war so dunkel wie Kupfer, und das Gesicht scharf geschnitten. Neben dem Pfarrer, der klein war, mit eingefallener Brust und kahlem Scheitel, sah er aus wie ein Hüne.

      Die Frau des Schulmeisters meinte, daß ihr Mann, der der Stärkere war, auch Nachgiebigkeit zeigen müsse; sie gab ihm Zeichen, daß er einlenken solle, aber wie betrübt er auch war, machte er doch keine Miene, von seinem Vorsatz abzuweichen.

      Der Schulmeister begann nun, sehr langsam und deutlich zu sprechen. Er sagte, es sei seine Überzeugung, daß es jetzt nicht mehr lange währen würde, bis die Irrlehre auch in das Kirchspiel eindringen würde; er sagte, daß man eines Ortes bedürfe, wo man zu den Leuten auf eine schlichtere Weise reden könne, als es sich in der Kirche gezieme, eines Ortes, wo man seinen Text wählen und die ganze Bibel auslegen und die Gemeinde über die Bedeutung der schwierigen Stellen aufklären könne.

      Seine Frau machte ihm ein Zeichen, daß er schweigen solle. Sie fühlte, daß der Pfarrer bei jedem Wort dachte: Ich habe also keine Unterweisung gegeben, ich bin kein Schutz gegen den Unglauben gewesen. Ich muß wahrlich sehr gering sein, wenn mein eigener Schulmeister, ein Bauer, der sich selbst alles gelehrt hat, glaubt, daß er es besser machen könne, als ich.

      Aber der Schulmeister schwieg nicht, er fuhr fort, über alles zu reden, was geschehen müsse, um die Herde zu beschützen, ehe die Wölfe sie überfielen.

      »Aber ich sehe keine Wölfe,« sagte der Pfarrer.

      »Ich weiß, daß sie unterwegs sind,« sagte Storm.

      »Und Sie, Storm, öffnen ihnen die Tür.«

      Der Pfarrer richtete sich in seinem Stuhl auf. Die Worte des Schulmeisters hatten ihn erzürnt. Er wurde dunkelrot und gewann einen Teil seiner Würde wieder.

      »Lieber Storm, lassen Sie uns nicht weiter über die Sache reden,« sagte er. Er wandte sich an die Hausfrau und begann munter mit ihr über die schöne Braut zu plaudern, die sie kürzlich geschmückt hatte; denn Mutter Stina war die Brauteinkleiderin dort im Kirchspiel. Aber die biedere Frau verstand, welch schrecklicher Kummer über seine eigene Ohnmacht jetzt in ihm erweckt worden war, sie weinte aus Mitleid und konnte vor lauter Tränen nicht antworten, so daß der Pfarrer die Unterhaltung fast allein führen mußte.

      Während der ganzen Zeit aber dachte der Pfarrer: Ach, hätte ich doch noch die Kraft und Stärke meiner Jugend, dann würde ich diesen Bauer bald überzeugt haben, wie schlecht er handelt.

      »Wir haben einen Verein gebildet,« sagte Storm, und er nannte die Namen von einigen der Bauern, die versprochen hatten ihm zu helfen, um zu zeigen, daß es Leute waren, die weder der Kirche noch dem Pfarrer zu Leibe wollten.

      »Ist Ingmar Ingmarsson auch dabei« sagte der Pfarrer, und es war, als versetze ihm dies einen neuen Todesstoß. »So fest, wie ich mich auf Sie verlassen habe, Storm, so sicher bin ich auch Ingmar Ingmarssons gewesen.«

      Aber er sagte nichts mehr über die Sache; er wandte sich wieder der Hausfrau zu und plauderte. Er merkte wohl, daß sie weinte, aber er tat so, als sähe er es nicht.

      Nach einer Weile aber fing er doch wieder mit dem Schulmeister an. »Geben Sie es auf, Storm,« sagte er bittend, »geben Sie es um meinetwillen auf. Was würden

      Sie dazu sagen, Storm, wenn jemand eine neue Schule neben der Ihrigen erbaute?«

      Der Schulmeister saß eine Weile da und sah vor sich nieder; er besann sich.

      »Ich kann nicht, Herr Pfarrer,« sagte er und versuchte, sich zusammenzunehmen und unverzagt und ruhig auszusehen.

      Der Pfarrer sagte nichts mehr, aber zehn Minuten oder länger herrschte Totenstille im Zimmer.

      Dann erhob er sich, zog den Pelz an, setzte sich die Mütze auf und ging auf die Tür zu.

      Den ganzen Abend hatte er dagesessen und gekämpft, um Worte zu finden, die Storm überzeugen sollten, daß er Unrecht tue, und zwar nicht nur gegen ihn, sondern gegen die ganze Gemeinde, die er mit diesem Unternehmen verderben würde. Aber obwohl es in seinem Kopf von Worten und Gedanken wimmelte, konnte er sie nicht aussprechen und keine Ordnung in sie hineinbringen, weil er ein gebrochener Mann war.

      Als er auf die Tür zuging, erblickte er Gertrud, die in ihrer Ecke saß und mit ihren Glasscherben und Holzklötzen spielte. Er blieb stehen und sah sie an. Sie hatte offenbar kein Wort von der Unterhaltung gehört, ihre Augen strahlten vor Freude. Ihre Wangen waren noch röter als sonst.

      Der Pfarrer war betroffen von dem Gegensatz zwischen dieser großen Sorglosigkeit und seinem eigenen schweren Kummer, und er trat zu ihr hin.

      »Was machst du da?« fragte er.

      Das kleine Mädchen hatte längst ihren Kirchsprengel fertig. Sie hatte ihn schon wieder niedergerissen und mit etwas Neuem begonnen.

      »Wäre der Herr Pfarrer nun ein klein wenig früher gekommen,« sagte das Kind. »Ich hatte so einen schönen Kirchsprengel mit Kirche und Schule.«

      »Wo ist denn das geblieben?«

      »Ja, nun habe ich den Kirchsprengel auseinandergerissen, jetzt bin ich dabei, Jerusalem zu bauen.«

      »Was sagst du da?« sagte der Pfarrer heftig. »Sagst du, daß du den Kirchsprengel auseinandergerissen hast, um Jerusalem aufzubauen?«

      »Ja,« sagte Gertrud, »es war wirklich ein hübsches Kirchspiel; aber gestern haben wir in der Schule von Jerusalem gehört, und nun habe ich das Kirchspiel zerstört, denn ich will lieber ein Jerusalem bauen.«

      Der Pfarrer blieb stehen und sah das Kind an. Er strich sich über die Stirn, wie um Klarheit in seine Gedanken zu bringen. »Wahrlich, da ist einer, der größer ist als du, und der durch deinen Mund redet,« sagte er.

      Die Worte des Kindes erschienen ihm so merkwürdig, daß er sie sich einmal über das andere Mal wiederholte. Während er das tat, glitt er in seinen gewöhnlichen Gedankengang hinein und begann wieder darüber zu grübeln, wie Gott die Welt lenkt, und welcher Mittel er sich bedient, um seinen Willen durchzusetzen.

      Er ging wieder zu dem Schulmeister zurück und sagte mit seiner gewöhnlichen, freundlichen Stimme und mit einem ganz neuen, klaren Ausdruck in dem Auge:

      »Ich bin nicht mehr böse auf Sie, Storm, Sie tun wohl nur, was Sie tun müssen. Ich habe mein Leben lang darüber nachgegrübelt, wie Gott die Welt lenkt, aber ich habe nie zur Klarheit darüber gelangen können. Auch dies begreife ich nicht, aber ich begreife, daß Sie tun, was Sie tun müssen.«

      »Sie sahen den Himmel offen«.

      In dem Frühjahr, wo das Missionshaus gebaut wurde,

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