Jerusalem. Selma Lagerlöf

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Jerusalem - Selma Lagerlöf

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eigenen Hauch buntfarbigen Nebels, und in unsern Ohren ein seltsam tönendes Rauschen erklingen läßt. Die Zeiten verschieben sich: Menschen unsrer Tage scheinen fernab gerückt, Längstvergangenes wieder wird uns wie Alltägliches vertraut. Das Reich der Selma Lagerlöf liegt irgendwo in der Träume Reich, und wer in ihm wandelt, vergißt seines Alltags Nöte. Es ist gut für den Menschen, wohl zu wissen, daß es noch etwas anderes gibt, als seines kleinen Lebens Freuden und Sorgen, daß es – irgendwo! – noch ein Fleckchen gibt, wohin sich die Seele flüchten will, die vergessen will. Und sie findet solcher Fleckchen viele, in den Büchern der Lagerlöf.

      Düsseldorf, Dezember 1912.

      Hanns Heinz Ewers.

Einleitung

      Die Ingmarssöhne

      I.

      Es ging ein junger Mann und pflügte sein Brachfeld an einem Sommermorgen. Die Sonne schien warm, das Gras war feucht vom Tau und die Luft war so frisch, daß Worte es nicht aussagen können. Die Pferde waren ganz wild von der Morgenluft und zogen den Pflug, als sei es ein Spielzeug. Es war ein ganz anderer Trab als der gewöhnliche; der Mann am Pfluge mußte fast laufen, um mitzukommen.

      Wenn die Erde von dem Pflug gewendet wurde, lag sie schwarzbraun und schimmernd von Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit da, und er, der pflügte, freute sich darauf, bald seinen Roggen säen zu können. Er dachte bei sich: »Was kann es nur sein, daß ich mir zuweilen so viele Sorgen mache und meine, daß es so schwer ist, zu leben? Braucht man etwas anderes als Sonnenschein und gutes Wetter, um glücklich zu sein wie ein Kind Gottes im Himmel?«

      Es war ein langes und ziemlich breites Tal, das von einer Menge gelber und gelbgrüner Kornfelder durchquert war und außerdem von gemähten Kleewiesen; von blühenden Kartoffeläckern und von kleinen blaublühenden Flecken mit Flachs, worüber gleichsam eine Wolke von kleinen weißen Schmetterlingen schwebte. Und wie, um das Ganze vollkommen zu machen, erhob sich in der Mitte des Tales ein machtiger alter Bauernhof mit vielen grauen Wirtschaftsgebäuden und einem großen rotgestrichenen Wohnhause. Am Giebel standen zwei große verwachsene Birnbäume, an der Haustür ein paar junge Birken, auf dem Hofplatze ein paar große Holzstapel und hinter der Scheune einige mächtige Kornmieten. Dies Gehöft mitten in den ebenen Feldern aufragen zu sehen, war ein ebenso schöner Anblick, wie wenn man ein Fahrzeug mit Segeln und Masten über der weißen Meeresfläche sich erheben sieht.

      »Und was für ein Gehöft ich habe!« dachte er, der ging und pflügte. »Gute, tüchtig gezimmerte Gebäude und einen guten Viehbestand und flinke Pferde und Gesinde, das treu ist wie Gold. Ich bin so reich wie nur einer in der Harde und ich brauche mich nie davor zu fürchten, arm zu werden.«

      »Ja, vor der Armut bin ich auch gerade nicht bange,« sagte er als Antwort auf seine eigenen Gedanken. »Ich würde zufrieden sein, wenn ich ein ebenso guter Mann wäre, wie mein Vater und Großvater.«

      »Es war dumm, daß ich in die Gedanken hineingeriet,« sagte er, »denn nun war ich gerade so froh. Aber wenn ich nur an das eine denke: zu meines Vaters Zeiten richteten sich alle Bauern in allen Dingen nach ihm; an dem Morgen, wo er anfing zu ernten, fingen auch sie an, und an dem Tag, wo wir dann begannen, das Brachfeld hier auf dem Ingmarshof umzupflügen, setzten sie den Pflug in dem ganzen Tal in die Erde.«

      »Aber nun bin ich hier schon ein paar Stunden gegangen und habe gepflügt, ohne daß auch nur einer die Pflugschar gewetzt hätte. Ich glaube doch, daß ich den Hof so gut verwaltet habe wie nur einer, der Ingmar Ingmarsson geheißen hat,« sagte er. »Ich habe mehr für mein Heu bekommen als mein Vater bekam, und ich habe all' die kleinen sauren Gräben abgeschafft, die hier zu seiner Zeit waren. Und das steht doch auch fest, daß ich nicht schlechter mit dem Wald umgehe wie Vater.«

      »Das ist oft schwer genug zu denken,« sagte der junge Mann, »nicht immer kann ich es so leicht nehmen wie heute. Als mein Vater und Großvater noch lebten, hieß es, die Ingmarssöhne hatten so lange in der Welt gelebt, daß sie wüßten, wie der liebe Gott es haben wollte, und die Leute flehten sie förmlich an, im Kirchspiel zu herrschen. Sie wählten sowohl Pfarrer als Küster und bestimmten, wann der Flußlauf gereinigt werden und wohin die neue Schule gebaut werden sollte. Aber nach meiner Meinung fragt niemand und ich habe über nichts zu bestimmen.«

      »Trotzdem ist es doch merkwürdig, wie leicht die Sorgen in einer solchen Morgenstunde zu tragen sind. Jetzt ist mir fast, als könnte ich über das alles lachen. Und doch fürchte ich, daß es zum Herbst schlimmer für mich werden wird denn je zuvor. Tue ich das, woran ich jetzt denke, so werden mir weder der Pfarrer noch der Hardesvogt die Hand mehr geben, wenn wir uns des Sonntags vor der Kirche begegnen, und das haben sie doch sonst noch bis heute getan. Ich werde nicht in die Armenverwaltung gewählt und ich kann niemals daran denken, Kirchenältester zu werden.«

      »Niemals geht es so leicht zu denken, als wenn man so hinter dem Pflug hergeht, Furche hinauf und Furche hinab. Allein ist man und nichts ist da, was einen stören könnte, außer den Krähen, die in den Ackerfurchen hüpfen und Würmer picken.« Der Mann am Pfluge fand, daß die Gedanken in seinen Kopf so leicht hineinkamen, als sei da jemand, der sie ihm zuflüsterte. Und da er sonst nie so leicht und klar denken konnte wie heute, ward er ganz froh und aufgeräumt. Dadurch fing er an zu meinen, daß er sich unnötige Sorgen mache; er sagte zu sich selbst, niemand verlange ja von ihm, daß er sich selbst ins Unglück stürzen solle.

      Er dachte, daß, wenn sein Vater gelebt hätte, er ihn hiernach gefragt haben würde, so wie er ihn in allen schwierigen Sachen um Rat zu fragen pflegte. Er wurde ganz ungeduldig, daß der Vater nicht zur Hand war, so daß er ihn fragen konnte.

      »Wüßte ich nur den Weg,« dachte er und fing an, sich an dem Gedanken zu ergötzen, »dann würde ich geradeswegs zu ihm hinaufgehen. Ich möchte wohl wissen, was der große Ingmar sagen würde, wenn ich eines schönen Tages dahergegangen käme. Ich denke mir, er sitzt auf einem großen Gehöft mit vielen Äckern und Wiesen und großen Kornmieten und einer Menge roter Kühe, es sind keine schwarzen und auch keine bunten darunter, so wie er es immer hier unten haben wollte. Wenn ich dann in die gute Stube hineinkomme ....«

      Der Mann am Pfluge hielt plötzlich mitten auf dem Felde an und lachte. Das war doch ein höchst ergötzlicher Gedanke, der fuhr mit ihm davon, so daß er kaum wußte, ob er noch auf Erden wanderte. Es war ihm, als sei er geradeswegs zu seinem alten Vater in den Himmel hinaufgekommen.

      »Wenn ich dann in die gute Stube hineinkomme,« fuhr er fort, dann sitzt es da an den Wänden entlang ganz voll von Bauersleuten, und alle haben sie rotgraues Haar und weiße Augenbrauen und eine große Unterlippe und gleichen Vater wie ein Tropfen Wasser dem anderen. Wenn ich sehe, daß da so viele Leute anwesend sind, werde ich verlegen und bleibe unten an der Tür stehen. Aber Vater sitzt ganz oben an dem oberen Tischende, und sobald er mich sieht, sagt er: »Willkommen, kleiner Ingmar Ingmarsson.« Und dann steht er auf und kommt zu mir hin. – »Ich möchte gern ein paar Worte mit Euch reden, Vater,« sage ich; »aber hier sind so viele Fremde.« – »Ach, das ist nur die Familie,« sagt Vater. »Diese alten Bauersleute haben alle zusammen auf dem Ingmarshofe gewohnt, und der Älteste von ihnen stammt ganz aus der heidnischen Zeit her.« –

      »Ja, aber ich möchte gern ein paar Worte mit Euch allein reden.«

      Dann sieht sich Vater um und überlegt, ob er in die kleine Stube gehen soll, aber da ich es nur bin, geht er in die Küche hinaus. Dort setzt sich Vater auf den Feuerherd und ich setze mich auf den Haublock. »Das ist ein guter Hof, den Ihr hier habt, Vater,« sage ich.

      – »Ja, der ist ganz gut,« sagt Vater. »Wie steht es denn daheim auf dem Ingmarshof?« – »Da steht alles gut,« sage

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