Jerusalem. Selma Lagerlöf
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Jerusalem - Selma Lagerlöf страница 8
Bald hörte sie auf zu fragen; in tiefem Schweigen fuhren sie Meile auf Meile. Aber als sie in ein Gehöft kamen, stand da Kaffee mit frischem Gebäck für sie bereit, und auf dem Kaffeetisch lagen gleichfalls Blumen. Sie begriff, daß er es bestellt haben müßte, als er am gestrigen Tage vorbeigefahren war. War auch das nichts weiter als Güte und Barmherzigkeit? War er gestern froh gewesen? War es ihm erst heute leid geworden, nachdem er sie aus dem Gefängnis hatte kommen sehen? Aber morgen, wenn sie es vergessen hatte, würde schon alles wieder gut werden.
Brita war weich geworden vor Reue und Demut. Sie wollte ihm keinen Kummer bereiten. Vielleicht, daß er doch wirklich – –
Die Nacht über blieben sie in einem Gasthof, brachen aber frühzeitig auf und waren nun so weit gekommen, daß sie um zehn Uhr ihre eigene Kirche sehen konnten. Als sie vorüberfuhren, wimmelte es auf dem Kirchweg von Leuten, und die Glocken läuteten. »Lieber Gott, es ist Sonntag,« sagte Brita und faltete die Hände unwillkürlich. Sie vergaß alles andere über dem Gedanken, daß sie zur Kirche fahren und Gott danken wolle. Das neue Leben, das sie jetzt leben sollte, wollte sie mit einem Gottesdienst in der alten Kirche einweihen.
»Ich möchte gern in die Kirche,« sagte sie zu Ingmar. In diesem Augenblick dachte sie gar nicht daran, daß es schwer für ihn sein müsse, sich dort blicken zu lassen. Sie war voller Andacht und Dankbarkeit. Ingmar war kurz davor, geradeswegs nein zu sagen. Er meinte, er habe nicht den Mut, den scharfen Blicken und den geschwätzigen Zungen zu begegnen. »Aber einmal muß es ja doch sein,« dachte er und bog in den Kirchenweg ein. »Es wird gleich schlimm, wann es auch sein mag.«
Als sie den Kirchenhügel hinauffuhren, saßen auf der Steinmauer eine Menge Menschen und warteten darauf, daß der Gottesdienst beginnen sollte, und sie sahen alle die an, die kamen. Als sie Ingmar und Brita daherfahren sahen, fingen sie an zu flüstern und einer den anderen anzustoßen und auf sie zu zeigen. Ingmar sah Brita an; sie saß mit gefalteten Händen da und sah aus, als wisse sie nicht, wo sie war. Sie sah die Menschen nicht, aber Ingmar sah sie um so besser; einige kamen hinter dem Wagen dreingelaufen. Er wunderte sich nicht darüber, daß sie liefen und daß sie guckten. Sie wußten wohl nicht, ob sie recht gesehen hatten. Sie konnten sich natürlich nicht denken, daß er mit der, die ihr Kind erstickt hatte, zum Gotteshause gefahren käme. »Das ist zu viel,« dachte er, »ich halte es nicht aus.«
»Ich meine, es wird am besten sein, wenn du gleich in die Kirche hineingehst, Brita,« sagte er, als er ihr vom Wagen herabhalf. – »Ja,« sagte sie, sie wollte nur zur Kirche; sie war nicht gekommen, um Leute zu treffen. Ingmar ließ sich Zeit, das Pferd abzuschirren und zu füttern. Viele Blicke waren auf Ingmar gerichtet, aber niemand sprach mit ihm. Als er fertig war und in die Kirche ging, saßen die meisten schon an ihren Plätzen und der Gesang hatte bereits begonnen.
Während Ingmar den breiten Gang hinaufging, sah er nach der Frauenseite hinüber; alle Stühle waren besetzt, ausgenommen einer, und darauf saß nur eine einzige. Er sah sogleich, daß es Brita war und dachte, daß niemand neben ihr sitzen wollte. Ingmar tat noch einige Schritte, dann bog er nach der Frauenseite um und setzte sich neben Brita. Als er zu ihr in den Stuhl kam, sah Brita auf und machte große Augen. Sie hatte bisher auf nichts geachtet; jetzt begriff sie, daß die anderen nicht neben ihr sitzen wollten. Da schwand das tiefe, feierliche Gefühl, das sie eben noch erfüllt hatte und machte einer großen Betrübnis Platz. Was sollte hieraus werden, was sollte hieraus werden? Sie hätte ja niemals mit ihm zurückkehren sollen!
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und um nicht zu weinen, nahm sie ein altes Gesangbuch, das vor ihr auf dem Brett lag, und fing an, darin zu lesen. Sie durchblätterte die Evangelien und Episteln, ohne ein Wort zu sehen vor lauter Tränen, die sie nicht zurückzuhalten vermochte. Da leuchtete plötzlich etwas Dunkelrotes vor ihren Augen auf, es war ein Lesezeichen mit einem roten Herzen, das zwischen den Blättern lag. Sie nahm es und schob es Ingmar hin.
Sie sah, daß er es in seiner großen Hand barg und es verstohlen betrachtete. Gleich darauf lag es an der Erde. »Was soll aus uns werden, was soll aus uns werden?« dachte Brita und weinte über dem Gesangbuch.
Sie gingen aus der Kirche hinaus, sobald der Pfarrer die Kanzel verlassen hatte. Ingmar spannte in aller Eile an und Brita half ihm. Als der Segen gesprochen und die Schlußverse gesungen waren und die Leute anfingen, aus der Kirche zu strömen, waren sie schon auf dem Heimweg. Beide hatten ungefähr denselben Gedanken: Wer ein solches Verbrechen begangen hat, kann nicht mehr mit anderen Menschen leben. Sie fühlten beide, daß sie in der Kirche auf der Armsünderbank gesessen hatten. »Das können wir beide nicht aushalten,« dachten sie.
Mitten in ihrem Kummer erblickte Brita den Ingmarshof und konnte ihn kaum wiedererkennen, so leuchtend rot, wie er dalag! Es fiel ihr ein, daß es immer geheißen hatte, der Hof solle rot angestrichen werden, wenn Ingmar sich verheiratete. Damals war die Hochzeit verschoben worden, weil er die Ausgabe für den Anstrich scheute. Sie begriff, daß er es alles so recht gut hatte machen wollen, daß es ihm aber dann zu schwer geworden war.
Als sie auf den Ingmarshof hinauffuhren, saßen die Leute am Mittagstisch. »Da kommt der Herr,« sagte einer von den Knechten und sah zum Fenster hinaus. Mutter Märta hob kaum die schläfrigen Augenlider, als sie aufstand. »Jetzt bleibt ihr alle hier drinnen,« sagte sie, »niemand braucht von Tisch aufzustehen.«
Die alte Frau ging schwerfällig durch die Stube. Den Leuten, die ihr nachsahen, fiel es auf, daß sie gleichsam, um noch würdiger auszusehen, ihren besten Staat angelegt hatte, mit einem seidenen Schal um die Schultern und einem seidenen Tuch auf dem Kopf. Sie stand schon an der Haustür, als der Wagen hielt. Ingmar sprang gleich ab, aber Brita blieb sitzen. Er ging nach der Seite hinüber, wo sie saß, und knöpfte das Spritzleder auf. »Willst du aussteigen?« – »Nein, ich will nicht.« Sie war in ein verzweifeltes Weinen ausgebrochen und hielt die Hände vor das Gesicht. »Ich hätte nie zurückkommen sollen,« sagte sie und schluchzte. »Ach, steig' doch jetzt aus,« sagte Ingmar. – »Laß mich in die Stadt zurückfahren, ich bin nicht gut genug für dich.« Ingmar dachte bei sich, daß sie darin recht habe; er sagte aber nichts, sondern stand da, die Hand auf dem Spritzleder und wartete. »Was sagt sie?« fragte Mutter Märta, die in der Tür stand. »Sie sagt, sie sei nicht gut genug für uns,« sagte Ingmar. Brita konnte sich vor lauter Weinen nicht verständlich machen. »Und warum weint sie?« fragte die Alte. – »Weil ich eine arme Sünderin bin,« sagte Brita und preßte die Hände aufs Herz; sie meinte, es müsse ihr vor Schmerz brechen. »Was sagt sie?« fragte die Alte wieder. – »Weil sie eine arme Sünderin sei,« wiederholte Ingmar.
Als Brita hörte, daß er ihre Worte mit kalter, gleichgültiger Stimme wiederholte, ging ihr die Wahrheit plötzlich auf. Nein, er konnte nicht dastehen und ihre Worte der Mutter wiederholen, wenn er sie lieb hatte, wenn er nur die geringste Liebe zu ihr empfand. Darüber war nicht länger nachzugrübeln; jetzt wußte sie, was sie zu wissen brauchte.
»Warum steigt sie nicht aus?« fragte die Alte. Brita bezwang ihr Weinen und antwortete selbst mit lauter Stimme: »Weil ich Ingmar nicht ins Unglück bringen will.« – »Ich finde, sie hat recht,« sagte die Mutter, »laß du sie gehen, kleiner Ingmar. Das will ich dir wenigstens sagen, daß ich sonst fortgehe; ich schlafe nicht eine einzige Nacht unter demselben Dach mit so einer.«
»Laß uns um Gotteswillen machen, daß wir hier fortkommen,« jammerte Brita. Ingmar fluchte, wandte den Wagen um und sprang hinauf. Er hatte das Ganze satt und wollte nicht länger dagegen ankämpfen.
Als sie wieder auf den Weg hinausgelangt waren, begegneten sie jeden Augenblick