Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
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So viel hatte ich indessen von den deutsch-amerikanischen Kirchen gehört, dass ich endlich beschloss, eine zu besuchen. Ein Bekannter erbot sich, mich am nächsten Sonntag zu einer der besseren hinzuführen. Es war dies die deutsche reformierte Kirche. Wir kamen etwas spät, und ich war über die Aufregung und Unordnung, die in dem heiligen Gebäude zu herrschen schien, erstaunt. Ich sollte bald noch mehr staunen. Der Prediger, ein ziemlich starker, robuster Mann, sah gewaltig rot im Gesichte aus und sprach heftig, obgleich er nicht schlecht zu predigen schien; dann und wann jedoch hielt er ein und trank etwas, das er neben sich stehen hatte. Plötzlich, als alles in völliger Ruhe zu sein schien und der Mann auf der Kanzel den Text erläuterte, stand eine Dame von ihrem Sitze auf und fing an laut zu reden. Was sie wollte, konnte ich nicht gleich verstehen, doch mit Erstaunen erkannte ich meine Hauswirtin und vernahm die abgebrochenen Worte: „Schändlichkeit – nicht dulden – Frechheit – Männer – Kanzel werfen.“
Als ich noch über den wahrscheinlichen Sinn dieser Worte nachdachte, entstand ein allgemeiner Aufruhr im Gotteshause. „Runter von der Kanzel mit dem Schreier – werft ihn ‘naus – prügelt ihn durch!“ Das waren ungefähr die Ausrufe, die laut wurden, und mit toller Eile machte sich die Menge daran, den Pfarrer von der Kanzel zu holen. Das war aber nicht so leicht. Die Kanzel, zu der auf beiden Seiten eine schmale Treppe hinaufführte, hatte am Fuße derselben eine kleine Tür, die von innen verschlossen werden konnte. Die Aufrührer sprangen nach der rechts befindlichen Treppe, aber der Seelenhirt bewies ihnen, dass er im wahren Sinne des Wortes zur streitenden Kirche gehöre; mit ein paar Sätzen war er an der Tür und verteidigte sich ritterlich. Viele Hunde sind freilich des Hasen Tod; die Besatzung der Festung war zu schwach. Während er einen Teil derselben verteidigte, musste er den anderen bloßgeben; die Aufrührer rannten eine Bresche, stürmten die andere Treppe hinauf und griffen die Besatzung von hinten an.
Der gute Herr Pastor wurde in das Innere der Kirche geschleppt, entschlüpfte aber seinen Verfolgern, sprang in eine Ecke und rief, indem er eine kunstgerechte Boxerstellung annahm, seine bisher gespielte Rolle vergessend, und zwar in recht gutem Englisch: „God damn you, come on, all of you!“ Und wirklich waren diese Worte nicht bloße Prahlerei gewesen, denn seit er seinen Rücken gedeckt hatte, hielt er sich den ganzen Schwarm vom Leibe.
Ich hatte mich während des ganzen Vorfalls auf eine Bank gestellt, dem Spektakel zuzusehen, und kann wohl sagen, dass ich mich recht gut amüsierte. Übrigens fochten sie nicht ritterlich; denn obgleich sich die vorderen nicht an ihn wagten, schlugen ihn die hinteren mit Regenschirmen auf den Kopf, und der Übermacht weichend, machte er einen Ausfall und gelangte ins Freie. Weiter wollte die liebe Gemeinde nichts, und mehrere sprachen davon, den anderen Prediger zu holen; doch waren die Gemüter zu aufgeregt, und die Streiter der Kirche (Kreuzritter) gingen auseinander. Zu Hause erfuhr ich von meiner Wirtin die Ursache des Aufruhrs.
Die Gemeinde hatte diesen handfesten Prediger verabschiedet und einen anderen erwählt, der an diesem Sonntage das erste Mal predigen sollte, die Rechnung aber dabei ohne den Wirt gemacht. Der Ex-Seelenhirt begab sich nämlich schon mit Tagesanbruch, und zwar mit Hilfe eines anderen Schlüssels, in die Kirche und setzte sich in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, ruhig auf die Kanzel. Als nun die Gemeinde mit dem anderen Prediger ankam und den alten Geistlichen schon da oben auf der Kanzel antraf, ging dieser, der ein ruhiger, friedliebender Mann war, gleich wieder zurück, und trotz Drohen und Schimpfen fing der bisherige seine Predigt an. Er hätte auch vielleicht seinen Willen durchgesetzt, wenn nicht jene Amazone den Funken zum Pulverfass getragen. Wie ich in späteren Jahren gehört habe, sind dieselben Unruhen in dieser Kirche noch mehrere Male vorgefallen; ich hatte übrigens an dem einmaligen Gottesdienst genug. Der Sabbat wird sonst bei den Amerikanern sehr streng gehalten, und nichts darf an diesem Tage vorgenommen werden als Beten und vielleicht Lesen eines religiösen Buches. Natürlich gibt's auch Ausnahmen.
Was mich in New-York befremdete, war, dass ich gar keine Soldaten sah, außer manchmal ein paar etwas militärisch aussehende Burschen mit blauen Jacken, eben solchen Beinkleidern und wachstuchenen Mützen; es waren dies „Uncle Sam's“ Soldaten, die für 8 Dollars den Monat sich für den Staat aufopfern. Selten ist's, dass sich einmal ein ordentlicher Mann unter sie verliert; gewöhnlich sind es solche, die keine Lust zum Arbeiten haben oder auf keine andere Art ihr Fortkommen finden können. Natürlich stehen sie, die Offiziere ausgenommen, nicht in Achtung. Sonst gibt es Bürgermilitär, mehrere amerikanische und deutsche Kompanien, die bei Festen oder anderen Gelegenheiten ausrücken und ziemlich geschmackvoll uniformiert sind.
Vor kurzem hatte sich auch eine Anzahl Schotten vereint und eine Kompanie gebildet, und zwar in altschottischer Hochländertracht, die verschiedenen Verbände in ihren Farben, mit Plaid und Federbarett und blauen Mützen, Schild, Claymore und ihren Standarten; die Häuptlinge mit ihren Adlerfedern geschmückt, und die Sackpfeifer lustig ihre schottischen Nationallieder spielend. So zogen sie durch den größten Teil der Stadt und sahen prachtvoll aus. Am nächsten Tage aber hielt sich der „Herald“ nicht wenig darüber auf, dass Leute, die doch auf Anständigkeit Anspruch machten, sich nicht schämten, „mit bloßen Beinen“ durch die Straßen zu ziehen und noch dazu mit Musik, damit ja alle Leute recht aufmerksam darauf werden möchten. – Wenn sie sich mit ihren „bloßen Beinen“ heimlich durch die Straßen geschlichen hätten, würde es ihm besser gefallen haben.
Sehr viele Auswanderer kamen noch in diesen Tagen an und füllten alle Wirtshäuser; was mir aber höchst sonderbar vorkam, war, dass sich die Amerikaner nicht so um die Fremden zu drängen schienen, als ich mir bisher eingebildet hatte, und zu meinem größten Leidwesen sah ich, dass ein Irishman (Irländer) und ein Dutchman (Deutscher) nur sehr wenig mehr als die Schwarzen geachtet wurden. Ehrenvolle Ausnahmen gibt es hiervon, wie sich von selbst versteht, denn der gebildete Amerikaner weiß einen Unterschied zu machen; die Achtung, in der der Deutsche, den vielgelesenen Berichten nach, stehen sollte, hatte ich mir aber doch eigentlich ganz anders gedacht.
Einen höchst unangenehmen Eindruck macht aber auf den eben angekommenen Europäer die Behandlung der armen Schwarzen, die, obgleich New-York kein Sklavenstaat ist, doch wenig besser als das Vieh geachtet werden. Und dennoch genießen sie jetzt eine Menge Rechte, die sie vor zwei Jahren noch nicht hatten, und welche ihnen erst durch General Jacksons Güte zuteilwurden. Allerdings dürfen sie auch jetzt noch in keinem Omnibus fahren, im Theater nur in der Galerie sitzen; müssen, mit wenigen Ausnahmen, Kirchen für sich allein haben, dürfen nicht vor Gericht gegen einen Weißen schwören usw.
Die amerikanische Unabhängigkeits-Erklärung sagt ausdrücklich: „Alle Menschen sollen gleich sein“, und dennoch besteht in diesem Lande die Sklaverei.
Vor amerikanischen und deutschen Schwindlern war ich indessen reichlich und genug gewarnt worden, hielt mich auch für vollkommen klug genug dazu, nach meinem Geldbeutel ausgeworfenen Schlingen – ich besaß ein kleines Kapital von nicht ganz mehr 200 Dollars – schlau und geschickt ausweichen zu können.
Als ich nun einige Wochen in New-York gewesen war, begann mein Hauswirt mir Vorschläge zu machen, mit ihm zusammen ein Zigarrengeschäft zu eröffnen. Er behauptete, die Sache aus dem Grunde zu verstehen, ich hatte ein kleines Kapital, und es war gar nicht dem geringsten Zweifel unterworfen, dass wir in ein paar Jahren unser Kapital verhundertfachen könnten.
Im Anfang hielt mich ein gewisser Instinkt, eine Art Ahnungsvermögen davon zurück; ich hatte auch zu viel, gerade von den Deutschen gehört – aber doch nicht von meinem Hauswirt – das waren ja ganz andere.
Es dauerte auch gar nicht lange, so leuchtete mir die Sache vollkommen ein; ein in das Innere ziehender Deutscher namens Wagner wünschte einen Zigarrenladen zu verkaufen, glücklicher konnte sich gar nichts treffen, da wir gerade einen zu kaufen wünschten, und wir wurden bald handelseinig.
Alles Geld, was ich besaß, steckte ich jetzt in die jenes Lager füllenden, wie sich später herausstellte,