Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
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Читать онлайн книгу Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43 - Friedrich Gerstecker страница 15
Ein Kanalboot ist ein sehr langes, schmales Boot, das ungefähr 6 Fuß hoch außer dem Wasser geht, ganz bedeckt und durchaus zur Bequemlichkeit, oder eigentlich Unbequemlichkeit von Passagieren ausgerüstet ist. Es ist rund umher mit Fenstern versehen und kann eine große Menge Leute und in der Mitte auch eine tüchtige Ladung Fracht fassen. Doch geht es sehr langsam, und unser Boot besonders wand sich, von zwei Pferden in gemütlichem Schritt gezogen, schneckenartig durch die Landschaft. Niedere Brücken gehen überall über die Kanäle, oft nur wenige Zoll über das Dach des Bootes erhaben, so dass man, wenn man auf dem Verdeck ist, fortwährend aufpassen muss, nicht über Bord gefegt zu werden, wie ich dies selbst einmal mit angesehen habe. Man muss sich beizeiten flach hinlegen. Ist das Boot aber sehr leicht geladen, dass es recht hoch aus dem Wasser geht, so kann man dabei auch schlecht wegkommen. Ein Passagier hatte vor ganz kurzer Zeit solcher Art ein trauriges Schicksal, indem das hohe Deck des Bootes unter der Brücke zu wenig Raum für ihn bot und ihn auf eine jämmerliche Art zerquetschte.
Langsam und äußerst eintönig ging die Fahrt vonstatten, und die Ufer, die meist durch sumpfiges und Waldland führten, boten gerade nicht viel Interessantes. Bewundernswert erschien mir eine Stelle, ich glaube am Mohwack oder einem anderen kleinen Strome dort in der Nähe, über den der Kanal 20 oder 25 Fuß hoch weglief. Es war ein eigentümliches Gefühl, oben auf dem Wasser zu fahren, und tief unter sich, ganz unabhängig von der Flut, auf der man sich befand, einen anderen Wasserlauf querdurch strömen zu sehen.
Eines schönen Tages saß unser Boot plötzlich mit einem furchtbaren Krach fest, und alles sprang hinaus, zu sehen, was es gäbe. Wir waren denn auch richtig mit einem anderen ganz ähnlichen Boot an einer schmalen Stelle des Kanals, gerade unter einer Brücke zusammengelaufen und hatten dem anderen einige Rippen im Leibe zerbrochen. Wir saßen wie festgemauert, und vergebens waren alle Bemühungen, das Boot wieder rückwärts zu bringen, da die Pferde in dem knietiefen Schlamme nicht zusammen anziehen wollten. Da erbarmte ich mich denn, auf meine großen Wasserstiefel mich verlassend, sprang, mit der großen Peitsche bewaffnet, hinaus, und den beiden Pferden damit einige derbe Hiebe versetzend, machte ich ihnen begreiflich, dass sie wohl könnten, wenn sie nur wollten. Siehe da, sie wollten; im Anziehen aber schlug das eine Pferd hinten aus, gerade in den Schlamm hinein, so dass ich über und über mit der roten Masse bespritzt ward und nun eher einer Forelle als einem Menschen ähnlich sah. Ich kroch zurück und beschloss, das nächste Mal etwas weniger dienstfertig zu sein.
Am 29. Oktober forderte endlich der Kapitän des Kanalbootes die bedungene Bezahlung. Ich kam ganz ruhig mit meinen 4 Dollars an, erstaunte aber nicht wenig, als ich erfuhr, dass der in Utica von einem Fremden gemachte Akkord keineswegs den Kapitän etwas angehe, sondern ich so gut wie jeder andere Passagier 6 Dollars zu bezahlen habe. Das war wieder eine Erfahrung mehr, zwar mit zwei Dollars, aber doch wohl nicht zu teuer erkauft. Überhaupt mag das dem deutschen Einwanderer zur Warnung dienen, sich um Gottes willen nicht mit dritten Personen, sie mögen noch so gut autorisiert scheinen, in den Abschluss irgend eines Vertrags einzulassen. Es ist immer zehn gegen eins zu wetten, dass sie angeführt werden, da solche Leute nicht selten, wenn sie die Sache nicht auf eigene Hand betreiben, von den Beteiligten gemietet sind, um den Fremden zu beschwichtigen, dass sie ihn nur erst einmal in ihr Garn bekommen. Gegen sie klagen kann er nachher nicht, das wissen sie recht gut.
Wir hatten uns bis jetzt ziemlich wohl befunden, da nicht sehr viele Reisende in dem engen Raume mitfuhren. Jetzt dagegen kamen noch fünfzehn Passagiere mehr hinzu, die sämtlich mit unserem Boote nach Buffalo fahren wollten.
So lange es Tag war, ging die Sache noch an; als aber der Abend kam, wusste ich wahrlich nicht, wohin die Leute alle gepackt werden sollten; doch hatte ich ja die Passagierladung des Bremer Eberführers noch in frischem Gedächtnis und hielt von der Zeit an alles für möglich.
Die Schlafstellen auf dem Kanalboote bestanden aus langen viereckigen Rahmen, die abends hängemattenartig an der Decke, einer neben den anderen, die ganzen Wände entlang, angebracht wurden. Jetzt war die Zahl der Passagiere noch gestiegen, und wir wurden daher schichtweise gepackt. Die Rahmen sind mit sehr starkem, grobem Leinenzeuge überzogen, und auf diese kommt gewöhnlich eine kleine schmale Matratze, die wir von Utica Mitgegangenen noch alle hatten, die aber einige der Neuangekommenen entbehren mussten. So der Mann, der über mir schlafen sollte; ich sah wenigstens keine Matratze auf dem oberen Rahmen liegen und kroch also in mein schwankendes Bett, nachdem ich vorher die Stricke untersucht hatte, zu sehen, ob sie auch fest wären, damit ich nicht nachts in die Presse käme. Die zuletzt angekommenen Passagiere blieben noch auf und spielten Karte.
Ein furchtbar beängstigendes, erstickendes Gefühl weckte mich in der Nacht; kalter Angstschweiß stand auf meiner Stirn, und ich konnte keinen Atem holen. Wie Blei lag es auf meinem Magen, auf meiner Brust. Ich versuchte zu schreien, – ich konnte nicht. Fast ohne Besinnung lag ich so mehrere Minuten, ehe ich recht erwachte und klar denken konnte, wo und in welchen Verhältnissen ich sei. Aber das Gewicht blieb auf mir und wich und wankte nicht, und dicht über mir tönte und rauschte es wie ferner Donner. Es war mein Schlafkamerad, der da oben schnarchte, und dass das Gewicht, welches auf meinem Magen lag, auch mein Schlafkamerad sein musste, unterstand jetzt gar keinem Zweifel mehr.
Ich versuchte nun, den Koloss zu bewegen; es war aber eine Unmöglichkeit. Ich stieß, ich rief, – alles umsonst. Wie ein Fels lag er, wenigstens teilweise, auf meiner Brust und schien ganz gefühllos zu sein. Als alle bis dahin gemachten Versuche, ihn zu wecken, erfolglos blieben, erinnerte ich mich zum Glück meiner Halstuchnadel, die ich den Abend vorher nicht abgenommen hatte; mit Mühe brachte ich den Arm herum, nahm die Nadel aus dem Tuche und stach sie mit fester Hand in den auf mir liegenden Fleischklumpen. Ein plötzliches gewaltiges Strecken und Dehnen, das mir augenblickliche Linderung verschaffte, war der Erfolg meines Angriffs, die Bewegungen aber wurden schwächer und schwächer, das Gewicht auf mir ward mit jedem Augenblicke wieder schwerer und unerträglicher, und um nicht eine vollständige zweite Auflage zu erleiden, musste ich meinen Angriff erneuern.
„What the devil is Tat? help, murder!“ schrie eine tiefe Bassstimme über mir, und durch einen plötzlichen Ruck meiner Last fühlte ich mich frei. Wie ein Aal schlüpfte ich unter dem Gewichte hervor und sah nun bei dem matten Scheine der von der Decke herunterhängenden Lampe ein so komisches Bild, wie mir wohl bis dahin nie vorgekommen war.
Der starke schwerfällige Mann, der im oberen Rahmen ohne Matratze schlief, war zu gewichtig für die schon lange Jahre gebrauchte Leinwand gewesen und im Schlafe mit dem schwersten Teile seines Körpers durchgebrochen, der dann den ersten festen Anhaltspunkt auf meinem Magen fand. Durch meinen Nadelstich aufgeschreckt, hatte er sich gedehnt und mich dadurch für einen Augenblick befreit, den ich auch nicht unbenutzt ließ . Als er aber jetzt in seine alte Lage, mit womöglich noch etwas größerer Stärke und Schwere, zurückfiel, war die Stütze verschwunden, die Leinwand gab nach, und der noch nicht ganz Erwachte saß auf meinem Bett, während sein Oberkörper nebst den Füßen noch in seinem eigenen hing, und schrie Mord und Zeter.
Alles sprang auf, zu sehen, was es gäbe, und groß war der Jubel, als man den Dicken so gefangen sah.
Gegen Morgen kamen wir nach Lockport, wo der Kanal einige 60 Fuß steigt, und wo fünf doppelte Schleusen angebracht sind; an einer Seite zum Hinaufgehen, an der anderen zum Herunterkommen der Kanalboote.
In Lockport hörte ich jetzt, dass ich, um den Niagarafall zu besuchen, viel besser tun würde, gleich hier das Boot zu verlassen und zu Fuß nach den gar nicht mehr so weit entfernten Fällen hinüberzugehen. Von Buffalo aus sollte ich viel weiter haben und könnte dorthin später immer kommen. Dem Rat folgte ich und erreichte auch schon nachmittags um zwei Uhr dieses kolossalste Wasserwunder der Erde.
Ich erlasse mir aber jede Schilderung; kalte Zeichnungen und Tausende von guten und schlechten Beschreibungen dieses göttlichen Schauspiels sind schon in alle Weltgegenden ausgegangen – ich will ihre Zahl nicht vermehren. Aber einen gewaltigen Eindruck machte es auf mich; ich konnte nur