Alaska Kid. Jack London
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»Gehen Sie damit zum Linderman-See, alter Freund?« fragte er.
Der Indianer, der vor Stolz ganz aufgeblasen war, grunzte bestätigend.
»Wieviel nehmen Sie für so ein Bündel?«
»Fünfzig Dollar.«
Aber jetzt erregte etwas anderes die Aufmerksamkeit Kids. Er bemerkte nämlich eine junge Frau, die in der Tür des Stationsgebäudes stand. Im Gegensatz zu den meisten Frauen, die von den Dampfern an Land gesetzt wurden, trug sie weder kurze Röcke noch Hosen. Sie war gekleidet, wie jede andere Frau sich auf Reisen kleiden würde. Was ihn überraschte, war das Gefühl, wie selbstverständlich ihm ihre Anwesenheit hier vorkam. Sie schien ihm irgendwie hierher zu gehören. Außerdem war sie jung und hübsch. Die strahlende, helle Schönheit ihres ovalen Gesichts fesselte ihn, und er starrte sie länger an, als die Höflichkeit eigentlich erlaubte, starrte sie so lange an, bis sie es unwillig bemerkte und ihn mit ihren dunklen, sich hinter langen Wimpern bergenden Augen kühl und kritisch betrachtete. Von seinem Gesicht glitt ihr Blick dann, sichtlich erheitert, zu dem schweren Revolver an seiner Hüfte. Wieder kehrte ihr Blick zu seinen Augen zurück, und Kid las darin spöttische Geringschätzung. Er hatte die Empfindung, als ob sie ihn geschlagen hätte. Sie wandte sich indessen ruhig zu einem Mann, der neben ihr stand, und machte ihn auf Kid aufmerksam. Der Mann betrachtete ihn mit demselben heiteren Spott.
»Chechaquo«, sagte das Mädchen.
Der Mann, der in seinen billigen Überziehhosen und der mitgenommenen Jacke wie ein Vagabund aussah, grinste trocken, und Kid fühlte sich ganz vernichtet, obgleich er nicht wußte, warum. Aber sie war auf jeden Fall ein hübsches Mädchen, wie er feststellte, als die beiden sich entfernten. Ihm fiel ihr Gang auf, und er fällte das endgültige Urteil, daß er sie selbst nach tausend Jahren wiedererkennen würde.
»Sehen Sie den Mann mit dem jungen Mädchen drüben?« fragte ganz aufgeregt der Kid am nächsten Stehende. »Wissen Sie, wer das ist?«
Kid schüttelte den Kopf.
»Das ist Charibo Charley. Er wurde mir eben gezeigt. Er hat Dusel gehabt in Klondike. Gehört zu den Alten hier. War schon zwölf Jahre am Yukon. Jetzt ist er eben angekommen.«
»Was bedeutet Chechaquo?« fragte Kid.
»Sie sind einer, und ich auch«, lautete die Antwort.
»Mag sein, aber deshalb weiß ich ja nicht, was es ist. Also was bedeutet es?«
»Grünschnabel.«
Auf dem Rückwege zum Strand dachte Kid immer wieder darüber nach. Es wurmte ihn, von einem solchen Mädelchen »Grünschnabel« genannt zu werden.
Den Kopf noch ganz voll von dem Bilde des Indianers, der das riesige Bündel getragen hatte, trat Kid an die Ecke eines Güterhaufens, um einen Versuch zu machen, seine eigene Kraft zu erproben. Er wählte einen Mehlsack, von dem er wußte, daß er genau hundert Pfund wog. Er stellte sich breitbeinig über den Sack, bückte sich und versuchte ihn auf die Schulter zu heben. Sein erster Gedanke war, daß hundert Pfund immerhin ein ansehnliches Gewicht, der nächste, daß sein Rücken nicht sehr kräftig sei. Dann schloß er seine Gedankenreihe mit einem Fluch, nachdem er sich fünf Minuten vergeblich bemüht hatte, und schließlich fiel er auf den Sack hin.
Er wischte sich die Stirn, als er John Bellew bemerkte, der ihn über einen Haufen Proviantsäcke hinweg mit kaltem Spott anblickte.
»Gott im Himmel«, rief der Apostel der Abhärtung. »Aus unsern Lenden ist ein Geschlecht von Weichlingen geboren. Als ich sechzehn Jahre alt war, spielte ich mit solchen Dingern.«
»Du vergißt, lieber Onkel«, antwortete Kid, »daß ich nicht mit Bärenfleisch aufgefüttert worden bin.«
»Und ich werde noch mit den Dingern spielen, wenn ich sechzig bin.«
»Es wäre nett, wenn du mir zeigen würdest, wie man es macht.«
John Bellew tat es. Er war achtundvierzig, aber er bückte sich über den Sack, packte ihn, änderte seinen Griff, so daß er das Gleichgewicht fand, und warf sich mit einem schnellen Schwung den Sack über die Schulter. Dann stand er aufrecht da.
»Ein Dreh, mein Junge, nur ein Dreh… und dazu ein kräftiges Rückgrat!«
Kid nahm ehrfürchtig den Hut ab.
»Du bist das reinste Wunder, Onkel, ein weithin leuchtendes Wunder. Glaubst du, daß ich den Dreh auch herauskriege?«
John Bellew zuckte die Achseln. »Du? Du wirst nach Hause trotten, ehe wir überhaupt losgehen.«
»Keine Angst, lieber Onkel«, seufzte Kid. »Zu Hause wartet O'Hara wie ein brüllender Löwe auf mich! Ich kehre erst um, wenn ich muß.«
Kids erster Gang als Träger wurde ein Erfolg. Es war ihnen gelungen, Indianer zu dingen, um die ganze Ausrüstung von zweitausendvierhundert Pfund bis zu Finnegans' Kreuzweg zu schleppen. Von dort aus mußten sie das Gepäck selbst auf den Buckel nehmen. Sie hatten gedacht, eine Meile täglich zu machen… Auf dem Papier sah die ganze Sache auch leicht genug aus. Da John Bellew im Lager bleiben und das Essen kochen sollte, konnte er nur hin und wieder beim Tragen behilflich sein - die jungen Männer mußten also täglich je achthundert Pfund eine Meile weit schleppen. Wenn sie das Gepäck auf Bündel von fünfzig Pfund verteilten, hieß das, daß sie täglich sechzehn Meilen voll beladen und fünfzehn Meilen ohne Last laufen mußten, »denn das letztemal brauchen wir ja nicht wieder zurückzugehen«, sagte Kid, als er diese angenehme Entdeckung machte. Wenn sie die Bündel achtzig Pfund schwer machten, brauchten sie nur neunzehn Meilen und mit Bündeln von je hundert Pfund sogar nur fünfzehn Meilen täglich zu laufen.
»Ich liebe das viele Laufen nicht«, sagte Kid. »Ich werde also jedesmal hundert Pfund tragen.« Er bemerkte ein ungläubiges Grinsen auf dem Gesicht des Onkels und fügte deshalb schnell hinzu: »Selbstverständlich werde ich es erst allmählich dahin bringen. Ein junger Bursche muß erst all die verschiedenen Drehs und Kniffe kennenlernen. Ich werde mit fünfzig anfangen.«
Er tat, wie er es gesagt hatte, und machte sich heiter auf den Weg. Er warf den Sack auf dem nächsten Lagerplatz ab und spazierte zurück. Die Sache war leichter, als er es sich gedacht hatte. Aber die zwei Meilen hatten immerhin die dünne Schicht von Ausdauer abgeschält und die Weichlichkeit, die darunterlag, bloßgelegt. Sein nächstes Bündel wog bereits fünfundsechzig Pfund. Es fiel ihm schon bedeutend schwerer, und er spazierte nicht mehr so flott daher. Er tat wie alle anderen, die ihr Gepäck trugen, und setzte sich hin und wieder auf den Boden, um sein Bündel gegen einen großen Stein oder einen Baumstumpf zu stützen. Als er das dritte Bündel nehmen sollte, war er schon ganz übermütig geworden. Er legte die Traggurte um einen Bohnensack von fünfundneunzig Pfund und marschierte los damit. Er war kaum hundert Schritt weit gekommen, als er schon fühlte, daß er am Zusammenbrechen war. Er setzte sich deshalb und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
»Kurzes Schleppen und kurze Pausen«, murmelte er vor sich hin. »Darin besteht der ganze Dreh.«
Zuweilen gelang es ihm kaum, hundert Schritt zu laufen, und jedesmal, wenn er mit unendlicher Mühe wieder auf die Füße gekommen war, um ein kleines Stück weiter zu schleppen, war das Bündel unleugbar schwerer geworden. Er schnappte nach Luft, und der Schweiß rann ihm in Strömen über den ganzen Körper. Er hatte noch keine Viertelmeile zurückgelegt, als er sich schon die wollene Jacke auszog und sie an einen Baum hängte. Bald darauf trennte er sich von seinem Hut. Als er die halbe