Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten. Hein Bruns

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Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten - Hein Bruns maritime gelbe Buchreihe

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Fenstern. Blank sind die Anker, Bullaugen, Drähte und Relinge der Schiffsmodelle, die in Luftaquarien auf schmiedeeisernen Beinen die Vor- und Empfangshalle möblieren. Und warm, schön warm ist es hier auch. Die Empfangsdame sieht ein wenig unwillig auf, ein etwa dreißigjähriger großer, breitschultriger Mann steht am Glaskasten und wartet, bis das Fräulein sich bequemt. Und es bequemt sich: „Wohin möchten Sie?“ und sieht in ein unfarbiges Gesicht und in feste graue Augen. „Zur Personalabteilung!“ – „Wie ist Ihr Name... und in welcher Angelegenheit?“ – „Mein Name ist Meiler, genügt Ihnen das? …denn die Angelegenheit soll Sie nicht interessieren!“ Eigentlich ja, wenn man’s genau nimmt; denn letzten Endes ist das Mädchen ja dafür da, und es hätte wohl auch eine Antwort bereit gehabt, aber die festen grauen Augen ließen das nicht zu. „Nehmen Sie einen Augenblick dort drüben Platz... ich melde Sie an. Die Herren haben gerade eine Besprechung.“ Schöne Besprechung, Anbiet haben die. Meiler setzte sich in einen der Sessel, die sich anbieten wie Hoheklassenutten, steckte sich eine Zigarette an, und blätterte gelangweilt in den ausliegenden Prospekten und Zeitschriften.

      Soll er getrost eine Weile braten, der da drüben im Sessel, denkt die Blonde, allein schon für die Antwort: Angelegenheit soll Sie nicht interessieren. Außerdem ist Anbiet. Hin und wieder schielt sie über die Boulevardzeitung zu ihm hin, aber der junge Mann macht keine Anstalten, den Blick zu erwidern. Und sie ist es doch so gewohnt, dass die Männer ihr Stielaugen zuwerfen. Der ist sauer, denkt sie. Was er wohl ist? Offizier oder Ingenieur?

      Die Sirene schwingt ihren Ton durch den Hafen. Anbiet beendet. Jetzt, denkt Meiler, wird sich auch die Pflanze da drüben in ihrem Affenkäfig rühren. „Sie können nach oben gehen, Herr Meiler, die Besprechung ist beendet!“ Meiler legt die Prospekte und Zeitschriften wieder ordnungsgemäß zusammen, zerdrückt die Zigarette im Aschenbecher und geht mit einem Kopfnicken, das wohl ein kurzer Dank sein soll, an dem Glaskasten vorbei, nach oben.

      Nur zur Aushilfe, so hatten sie doch gesagt, nur eine kurze Vertretung als Dritter Ingenieur. Und ob er das machen wolle, so fragten sie ihn, und so war ’s doch, nicht? Eine Reise nur… nur eine Reise. Aber Reisen können verflucht lang sein. Jawohl, sehr lang. Es gibt Reisen von vier Wochen und von sechs Wochen. Reisen, die vier Monate und sechs Monate dauern. Jahresreisen, Zweijahresreisen und Fünfjahresreisen. Es gibt auch Reisen ohne Ende, und das sind die längsten. Es kommt nur darauf an, was man unter Reisen versteht. O ja, Reisen können verdammt lang sein. Sie fragten ihn (das war doch erst gestern), sie: die „Wanze“, der „Wurm“ und die „Schlange“, die verfluchten Handlanger des Reeders mit Inspektorenallüren. So ist es aber, dessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing. Ja, ja, sie fragten ihn, und er sagte zu, weil ihm das Wasser bis zum Halse stand. Das mit dem Wasser, das sagt man so. Was ist das für Wasser? Ach so, Wasser und Strohhalm, so war das doch, nicht? Die Wanze drückte ihm 50 Mark in die Hand, beim Wurm musste er unterschreiben und sich von der Schlange verabschieden und aufgetragen wurde ihm noch, dem Kapitän an Bord Grüße vom Kontor auszurichten. „Die fünfzig Mark sind für die Reise, rechnen Sie darüber mit dem Kapitän ab; ja?“ Das sagten sie auch noch. Lächerliche fünfzig Mark, damit sollte er 200 Kilometer reisen. Und rasch reisen solle er, sich nirgends aufhalten, und nicht etwa in Hamburg noch einen Reeperbahnbummel machen und sich auch nicht besaufen. Das letzte rief die Wanze noch hinter Meiler her und wanzte sich wieder in seinen Büroschemel, und der Strahl der Wintermorgensonne traf falsche Augen und brandrote Haare. Arschlöcher die; besaufen, wovon wohl? Aber die können sich jeden Abend besaufen, diese Heinis, die können klug schnacken. Trotzdem, das mit dem Besaufen, das lass man meine Sorge sein, dreckige Wanze, du. Über die fünfzig Mark will man eine Abrechnung, und genau, versteht sich, auf den Pfennig genau. Fünfzig Mark, er hätte sie ja tatsächlich versaufen können, also waren sie doch großzügig. Vertrauen ehrt.

      Kurz grüßend, abwesend und schon vorwesend, ging Meiler an der Blondine im Glaskasten vorüber und trat aus der Wärme des Reedereigebäudes in den kalten Januartag. Mit Hassaugen sah Meiler auf die Schiffe, die vertäut an der Pier lagen. Morgen, ja, ja, morgen. Scheiße! Aber noch ist heute, noch eine Nacht mit Mira. Die Nacht, die letzte Nacht mit Mira. Wohl eine Nacht mit Höhen und Tiefen, mit Gipfeln und Tälern. Eine Nacht, die schon mit Vorschau auf Schiff und Wasser und Weite geschwängert sein wird, die schon den Lärm der Maschinen und Motoren in sich trägt und das Jaulen der Pumpen, das Singen der Generatoren und Heulen der Turbinen.

      Und sie trägt weiter in sich das Wissen um den Alltag, um die Trennung, um die Probleme und was es auch immer sei, was den Menschen rüttelt, bewegt, anspricht, so zwei Menschen, Mann und Frau, die sich trennen müssen. Menschen, die sich dann eine Zeitspanne nicht sehen und fühlen. Wieso aber die letzte Nacht? Es gibt keine letzte Nacht, außer der letzten Nacht vor dem Tod, worauf die endgültig letzte Nacht folgt.

      Meiler hatte seinen Mantelkragen hochgeschlagen, als wolle er sich einkapseln, isolieren. Meiler ging am Zollposten vorüber. „Nichts dabei!“ Meiler. „Danke!“ Der Zöllner. Da, eine Telefonzelle, innen verkippt und vermatscht. Die Vermittlung im Krankenhaus meldete sich. „Kann ich Schwester Mira sprechen?“ – „Einen Moment, verbinde zur Männerstation!“ „Du, Mira, morgen geht’s los!“ – „Ach, morgen schon?“ – „Ja, leider... morgen früh... aber nur für eine Reise!“ – „Wie lange dauert die Reise, Mel?“ – „Ja, wie lange dauern Reisen? ... Och, nicht lange, Mira, ich mache nur eine Vertretung!“ – „Wann sehen wir uns, Mel, Liebling? Ich komme um fünf von der Station!“ – „Dann komm zu mir für die letzte Nacht! Sieh, ich muss noch packen und habe sonst noch allerhand zu tun. Im Schwesternheim ist zuviel Rummel, dort bist du mir zu kabbelig. Du kannst mich ja morgen früh zur Bahn bringen, wenn du willst. Ist es dir so recht, Mira? Kleines, liebes Mädchen, du!“ – „Ach ja, mir ist alles recht. Morgen, morgen, gäbe es doch nur kein Morgen, Mel!“

      Nun hat der Abend seine Augen aufgetan. Die Ruhe in der Winternacht ist wie ein dunkler Vorhang, dahinter quälen oder beglücken sich Menschen. Alle Konturen sind verwischt. Nicht aber die Konturen von Miras Gedanken, auf ihnen zeichnet sich die Landschaft seines Gesichtes, das wie die See ist, lebendig, stürmisch bewegt und manchmal zerrissen. Und nur manchmal, so sein Gesicht ganz still ist, spricht aus dem Innern die See. Dabei kennt sie die See nicht, aber sie versteht die Sprache so gut, und sie findet sich darin zurecht. In dreimonatigem Zusammensein, in dreimal dreißig Nächten hat sie die Sprache der See erlernt… „Du, deinen Schlafanzug habe ich nicht mitgebracht, er bleibt in meinem Zimmer im Schwesternheim... so habe ich noch etwas von dir!“

      Die Weggefährten auf dieser Nachtstrecke wirken zunächst nichtssagend, da aber auch das Nichts etwas aussagt, sagten auch die Nichtssagenden etwas aus - alles aus. Zusammengekuschelt und zusammengeglückt liegen sie auf der geflachten Schlafcouch, ohne Bewegung, nur in der Bewegung ihres Atems, ihres Herzschlages, der von Hand zu Hand leise pocht und pulst. Von der Straße her kriechen weiter Geräusche, die sie berühren. Der Warnruf eines Wintervogels. Das Gekreisch eines Gatters. Der Fall einer zuschlagenden Tür. Der Start eines Kraftwagens.

      Und Melchior Meiler richtete sich auf, werbend umflüsterte er ihr Gesicht. Umfasste zärtlich ihre nackten Schultern, zeichnete ihre Augenbögen, ihre Ohrmuscheln mit seinen Fingernerven. Vier Augen hielten einander fest und dunkle glitzernde Sonnen sprühten, versprühten Lust und Zärtlichkeit. Sie sahen und hörten und spürten nicht mehr die Nacht, die kalte und helle und geräuscharme, sahen, hörten und spürten nur sich. Sahen die Lust in dem anderen, so unbekümmert wie die Natur, rein und schön. Ein feines Sirren steigt auf, es ist der Sekt, der zart das geschliffene Glas harft. Sie umarmen sich noch einmal, liegen Leib an Leib, Mund in Mund. Augen in Augen. Versunken, vertieft... ineinander. Eingekapselt im Abschiedsschmerz, dann einsam, verloren. Und doch bot der Herold des Abschieds abschneidend Liebe und Freude und Schmerzesstunde, bot er Wärme und eine unausgesprochene Aussage ihr beider Innern. Mira war wie eingeschlossen in einem Traum, in dem sie hätte eingeschlossen sein mögen für immer. Niemals mehr auftauchen. Niemals mehr denken müssen an das Gewesene, an das Kommende... nie mehr an morgen. Ob er wohl im Abschnitt des Abschieds etwas von allem, was in ihr war oder ist oder sein wird, spürt oder gespürt hat? Oder ist sie allein in

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