Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten. Hein Bruns

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Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten - Hein Bruns maritime gelbe Buchreihe

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Meiler noch eine Hürde.

      Backbordgang standen drei lederjackige Wasserschutzpolizisten vor der verschlossenen Kammertür des Kochs und forderten, der Koch solle die Tür öffnen. Spitz und grell schrie ein Kind. Zeterte eine Frau. Fluchte ein Mann. Zersplitterte die Füllung einer Tür... Polizeistiefel sind benagelt. Bierflaschen rollten, liefen schäumend leer. Schlachtermesser scheppern an Deck. Faustschläge. Schreie. Der Koch wurde verhaftet. Schreie, Faustschläge. Das Kind in der Koje. Die Frau mit offenen Haaren und Bluse. Eine junge Frau. Du Schwein. Du Hund. Knips machte die stählerne „Acht“, einfach knips, hässlich knips und ab. Jetzt brauchte der Koch für sich und seine Familie vorerst nicht zu sorgen. Er schrie nach seiner Frau, nach seinem Kind. Trat, schimpfte, fluchte, spuckte. Die Frau gebärdete sich wie eine Furie. Die Frau lag eine Stunde später mit einem Matrosen im Bett und machte eine Nummer. Das Kind spielte auf dem Sofa. Es war mal wieder ganz nett bei der christlichen Seefahrt. Die nächste Hürde. So schnell frisst ein Schiff nun auch nicht. III. Ingenieur. Das kleine weiße Kunststoffschild oberhalb der nächsten Kammertür, das mit den schwarzen Buchstaben III. Ingenieur, bat Meiler, doch hier einzutreten. Deckenlampe. Weißes Licht. Ein Tisch und auf durchgefettetem Zeitungspapier ein zerfetzter Bückling. Kopf halbiert, die Kiemen wie verrostete Zahnräder. Boulevardzeitungsruf: Kugel im Kopf und nichts gemerkt. Sofa, in die Ecke gehauen, gelbinselig gefleckt. Zwei Bullaugen. Blind. Grünspan. Matratzen auf der Koje boten Seegras feil. Waschbecken vollgekotzt. Bücklingsreste, einmal runter, einmal rauf und raus. Zwei Wasserhähne, für Kalt- und Warmwasser, ausgerichtet wie zwei preußische Grenadiere. Welcher Komfort. Unter dem Tisch ein Mann. Hose und Träger. Perlonhemd. Der Mann schlief und war besoffen. Und draußen, außerhalb des Raumes, oberhalb der Tür ein kleines Kunststoffschild mit schwarzen Buchstaben: III. Ingenieur. Die Matrosen sangen: „Denn es kann ja nichts Schöneres geben, als in Hamburg ein Mädchen fürs Geld.“ Eine „Kugel“ rollte sich in die Kammer, eine „Kugel“ in einem verdreckten Overall, sie wurde von Meilers Koffer gestoppt. „Wer sind Sie denn? ... Ach so... Sie... Sie sind der neue Dritte, nich? ... Ich... sehen Sie mich an, ... ich bin der Zweite Ingenieur hier... oder haben Sie was dagegen?“ „Nö“, sagte Meiler, „aber es kommt drauf an und kann noch kommen.“ „So?... Das sehen wir dann schon... aber erst sehn Sie man zu, dass Sie den da hochkriegen... der muss von Bord… kann ja nix vertragen… das Arschloch. Ach, lass man, mach ich!“ Fußtritte halfen, dass das Bündel sich an Tischkante und Zeitung hochhantelte. Das Bündel lehnte sich an die Kugel und den Tisch, sie rissen die Zeitung mit dem Bückling zu Boden, sie küssten sich, sie zertraten und zerstampften den Bückling. Nun war Melchior Meiler vom Schiff verschlungen.

      Draußen knisterte eine Winternacht. Fuhr ein Taxi zurück. Schlief eine Stadt. Glänzte, schimmerte wohl noch ein Licht. Zuckten Sterne am Winterhimmel. Trugen Fernzüge die Nacht in den Morgen. Weit, weit über zwei Fernbahnhöfe hinaus auf langen stählernen, eisigen Schienen entlang, lebt ein Mädchen - sein Mädchen.

      Kapitel 3

      Monsieur Vignaud war beliebt oder besser gesagt, er wurde beliebt, oder noch besser gesagt, er machte sich beliebt. Denn … Monsieur Vignaud trug in das kleine Dorf Walkenrode seine ihm angeborene französische Liebenswürdigkeit. Außerdem konnte Monsieur Vignaud sich benehmen, was man von den Bauern und Tagelöhnern des Dorfes beileibe nicht behaupten kann. Jawohl, Monsieur Vignaud konnte sich benehmen und konnte auch mit den Bauern und manchmal auch mit den Tagelöhnern saufen. Saufen konnte er... und sein Junge war dunkelhäutig, dunkelhaarig und dunkeläugig. Im Dorf nur das Franzosenkind genannt. Der Bauer Josef Würdemann, der seiner Tochter Grete den Schritt, den Fehlschritt nicht verzieh, bis zu seinem Tode nicht, liebte aber den Franzosenbankert, nur, dass er es in der Öffentlichkeit nicht zeigte. Und auf seinem Totenbette (Monsieur Vignaud war längst zu seines Königs Fahnen geeilt), setzte der alte Würdemann den Franzosenbankert Ferdinand Vignaud als Erben ein. So kamen die Vignauds zu einem Hof, zu Acker, zu Wiesen und Wald. Die LPG, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, hatte später ihre helle Freude daran. Aber soweit ist das noch nicht. Im Fuchsloch stand der Hochwald, tannig und hoch, und vor ihm wellte sich ein Kirschgarten, alles Besitz des Bauern Josef Würdemann. Unter den blühenden Kirschbäumen wurde das zweite Kind gezeugt, das aber bei der Geburt starb. Mit Leidenschaft ergriff Monsieur von Grete Würdemann Besitz, und Monsieur Vignaud war leidenschaftlich und riss das Weib mit. Nie mehr hat Madame Vignaud, geborene Würdemann, nachdem Monsieur Vignaud wieder zu seines Königs Fahnen geeilt war, einen Mann ins Bett genommen. Nie mehr! Denn die Liebe und Leidenschaft des Monsieurs Vignaud konnte im Dorf keiner aufbringen. Madame Vignaud, geborene Grete Würdemann, hat nie darüber gesprochen, wie Monsieur Vignaud liebte, aber das hat sie gesagt, dass Monsieur Vignaud sie vor jedem Beischlaf erst mit Worten betörte, sie mit heißen Liebesworten bereitmachte, ihr Komplimente ins Ohr flüsterte. Auch hat sie erzählt, und das durfte sie ja auch, dass er roten Mohn und Feldblumen ins Schlafzimmer stellte, oder Apfelzweige, Kastanien oder zur Winterzeit Tannengrün. Und das hat sie auch noch gesagt, dass im Schlafzimmer stets eine Kerze brannte, wenn sie sich liebten… und Monsieur Vignaud liebte oft und liebte gut. Monsieur Vignaud liebte auch nie im Bett, sondern auf dem Bett. Und Grete Vignaud lächelte, wenn sie so erzählte, aber wie er geliebt hat, das hat sie nie verraten. Später, viel später, gut einhundertfünfzig Jahre später; die Ururenkelin Mira Vignaud war freier, offener und nicht nur in den Gesprächen.

      Der Ostwind pfiff über die Hänge und Hügel des Südharzes, trieb den Schnee über die Wipfel und Tannen und drückte ihn auch gegen und in die braune Rinde der Bäume. Verhedderte ihn im knorrigen Unterholz. Waldwege, von Menschen ausgetreten, von Waldarbeitern und Bauern, Holzfällern und Kirchgängern, waren jetzt verschneit und eingeebnet. Der Ost heulte und krakeelte in den Lüften und den Baumkronen. Die kahlästigen Kirschbäume, die jeder Frühling zu jungen Mädchen macht und dem Fuchsloch den jungfräulichen Duft gibt, spreizten ihre kahlen Zweige wie die Arme und Beine alter Weiber. Das Dorf Walkenrode schlief im kalten Schneebett. In den Stuben und Ställen und Scheunen brütete die Wärme. In den Stuben brannten die Öfen. In den Ställen heizte das Vieh. Und in den Scheunen tat es die gespeicherte Wärme des Sommers in Heu und Stroh. Es war zur Futterzeit. Der Abend glitzerte im Sternen- wie auch im Schneegefunkel. Eine zerlumpte und zerfledderte Gestalt schleppte und schlurfte sich mühsam und keuchend durch Wald, Schnee und Kälte dem Dorfe Walkenrode zu. Lichter im Dorf flackerten, und in den Ställen huschten, haschten und zuckten Lichter. Es war zur Futterzeit. Auch von den Ställen zu den Scheunen und auch von den Scheunen zu den Ställen huschten Lichter. Das Vieh brüllte. Ein Hund heulte, und ein paar Krähen zogen krächzend und mit hartem Flügelschlag über das verschneite Land. Näher kam der Mann dem Dorfe. Im Mondlicht sah man große schwarze Augen und die kümmerlichen Reste einer Montur. Im Pulverschnee hinterließen die mit Lumpen bewickelten Füße Schleifspuren, die aber der Ost sofort wieder verwischte. Jetzt erreichte der Mann die kleine Brücke, die sich über den starren eingefrorenen Bach spannte, und er stützte sich, Luft holend, aufs Brückengeländer. Alte verhutzelte Weiden standen veteranenhaft am Bach, wie Wachsoldaten, junge Apfelbäume bildeten den Vortrupp. An der Brücke, direkt am ersten Holzpfeiler, stand alt und knorrig, allein und einsam ein Weidenbaum. Das ist wohl der älteste Dorfsoldat, dachte Monsieur Vignaud. Monsieur Vignaud, ein Offizier der geschlagenen napoleonischen Armee, dachte nur in soldatischen und militärischen Begriffen. Wie konnte er auch anders denken? Er war dem Korsen auf all seinen Feldzügen gefolgt, in die Gluthitze der Wüste, stand mit ihm am Ebro, am Tejo, an der Maas und Elbe und erlebte an der Beresina in arktischer Kälte den Zusammenbruch der Großen Armee. Sah und erlebte Aufstieg, Siege, Triumphe des großen Kaisers sowie auch seinen Fall und seine Niederlage in der Eiswüste Russlands. Das waren Jahre des blutigen Handwerks. Nun aber war Napoleon geschlagen und auf der Flucht. So war auch Monsieur Vignaud geschlagen und auf der Flucht, passierte jetzt, zerlumpt, verhungert, verdreckt und fast verloren die Brücke über den Bach, passierte den alten Weidewachsoldaten, der vor diesem Strolch und Vagabunden keine Ehrenbezeigung machte, und schlurfte auf das Licht des Stalles zu. Grete Würdemann erschrak fast bis zu Tode, als in der Tür ein Mann stand, der sich mühsam aufrecht hielt. Grete Würdemann sah, dass der Mann am Ende seiner Kräfte war und Hilfe brauchte. Sie zog ihn herein und gab ihm kuhwarme Milch, bettete ihn ins Heu und deckte ihn zu, deckte

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