Gregors Pläne. Hans Durrer

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Gregors Pläne - Hans Durrer

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angestrengt haben.

      Ob ich wisse, was 'das Gesicht verlieren' bedeute?, fragt mich der Klassensprecher der Englisch-Hauptfach Studenten, der mir nach der Schulstunde abpasst. Ja, erwidere ich, jemanden nicht blöd hinzustellen, da das Wichtigste sei, was die Nachbarn denken könnten. Ich hielte es hauptsächlich für ein Disziplinierungsinstrument. Dem linientreuen Klassensprecher passt meine Antwort ganz und gar nicht. Es sei viel komplizierter, sagt er, und habe mit der chinesischen Geschichte zu tun. Da ich mir auf gar keinen Fall langfädige Geschichts-Ausführungen antun will – so in etwa der dritte Satz jeder chinesischen Konversation lautet: Wir sind stolz auf unsere 5'000 Jahre alte Geschichte – , frage ich ihn, ob er den chinesischen Dozenten auch solche Vorträge halte? Nein, natürlich nicht. Dann solle er doch auch mir gegenüber etwas respektvoller sein, damit ich nicht mein Gesicht verlöre, informiere ich ihn und lasse ihn stehen.

      Drei Notizen aus dieser Zeit:

      L'homme propose, Dieu dispose.

      Das hier ist nicht die Vorbereitung aufs Leben, das hier ist das Leben.

      Can you make a sentence with „slightly“? When I slightly opened the window, I saw a pig.

      Nach einem Semester habe ich genug und kündige. Zurück in der Schweiz, trete ich kurz darauf eine Anstellung als Programmleiter in einem wissenschaftlichen Buchverlag an, die ich jedoch nach gerade mal zwei Monaten bereits wieder aufgebe – ich kann ganz einfach nicht für Leute arbeiten, die wesentlich blöder sind als ich. Sie wollen es konkreter? Ein Beispiel: Der Geschäftsführer zeichnete ständig Organigramme (mit Buntstiften), mittels derer er herauszufinden versuchte, was für einem Betrieb er eigentlich vorstand – wer wann Geburtstag hatte war ihm geläufig, das hatte er fein säuberlich in seinem Kalender notiert. Und noch ein Beispiel: Bei einem gemeinsamen Mittagessen fragte ich ihn nach seiner Lieblingslektüre. Dass ich das überhaupt fragen könne, wunderte er sich, „Management-Bücher selbstverständlich“. Ein geistiger Kretin, dachte es automatisch in mir. Sie finden es übertrieben, dass ich deswegen kündige? Sie haben recht, ich finde es selber übertrieben.

      Nur eben: Ist man mitten drin in einem Prozess, weiss man ja so recht eigentlich nicht, was mit einem geschieht. Die Erklärungen folgen erst im Nachhinein. Und ob diese dann wirklich erfassen, was los gewesen ist, ist einigermassen fraglich. Da war nämlich noch was ganz anderes: Ich konnte die zwei Monate, die ich dort arbeitete nicht schlafen, war jeden Morgen völlig zerschlagen. Für mich ist das ein überzeugender Kündigungsgrund.

      Als ich meinem Freund A, Psychiater von Beruf, davon erzähle, lacht er: Seit ich Dich kenne, bist Du auf der Suche nach einem Job. Doch kaum hast Du einen, gibst Du ihn auch bereits wieder auf.

      Mein Studienkollege H, aufstrebender Anwalt in einer renommierten Kanzlei, reagiert weniger freundlich, ja aggressiv: Ich verstehe dich nicht. Du macht Dein Studium in Rekordzeit, ergatterst Dir einen Super-Job als Verlagsleiter eines renommierten Hauses. Und dann, Knall auf Fall, schmeisst Du hin, ohne auch nur die geringste Ahnung, was Du machen willst. Kein Plan, kein Gar Nichts. Wo lebst Du eigentlich? Ich weiss, ich weiss, dann hast Du noch einen Magister angehängt, ja, ich weiss, mit Auszeichnung, Du hast es mir oft genug gesagt. Doch was machst Du damit? Ein Semester China! Ein Semester! Bist Du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Weisst Du, wie das in Deinem Lebenslauf aussieht? Du rast auf einen Abgrund zu und merkst es nicht einmal. Wach auf! Sofort!

      H übertreibt. Und überhaupt: Seine Weltsicht und meine (habe ich eigentlich eine?) könnten verschiedener kaum sein. Er interessiert sich für Scheidungsrecht! Nein, ich will seinen Standpunkt deswegen nicht abtun. Ganz und gar nicht. Für jemanden wie ihn, der eine konventionelle Laufbahn eingeschlagen hat, ist mein bisheriger Werdegang schon ziemlich suboptimal. Für mich selber übrigens auch. Sich durchzuwursteln sei keine Option in einem Business-Plan, hat der letzte britische Gouverneur von Hongkong in seinem Bericht über seine Amtszeit geschrieben. Aber eben, die Realität, jedenfalls meine, ist definitiv ein Durchwursteln. Nein, ich bin darüber nicht glücklich, doch mir fällt einfach nichts Besseres ein. Unglücklich darüber bin ich allerdings auch nicht.

      Als ich mich kurz darauf in Berlin um eine Stelle als Geschäftsführer einer interkulturellen Stiftung bewerbe, fragt die Stiftungsgründerin:

      „Gesetzt den Fall, Sie kriegen die Stelle, dann wäre ich Ihre Vorgesetzte. Haben Sie ein Problem damit, einer Frau, die drei Jahre jünger ist als Sie, unterstellt zu sein?“

      „Selbstverständlich“, erwidere ich. „Ich habe generell Mühe, jemandem unterstellt zu sein, ob Frau oder Mann. Doch habe ich gelernt, mich damit zu arrangieren, das wäre also kein Problem.“

      Sie guckt irritiert, Chefs erwarten Untertänigkeit und vorauseilenden Gehorsam. Mir ist klar, die Stelle kann ich vergessen. Und so kommt es denn auch.

      Jemanden nicht riechen können, gehört zu den Sätzen die ganze Psychologie-Bibliotheken ersetzen. Vor allem erfolgreiche Menschen haben einen Riecher für Leute, die sie für geeignete Mitarbeiter halten. Diese Stiftungsgründerin in Berlin wusste instinktiv, dass ich keiner war, der sich für die Vermehrung ihres Glanzes einsetzen würde.

      Wir alle haben so einen Riecher. Wen ich selber nicht alles riechen kann, vermag ich gar nicht zu zählen, da ich mich generell von Idioten umzingelt wähne. Sogar aus der Distanz mag ich Leute nicht. Haben Sie schon einmal den obersten Wetterfrosch beim Schweizer Fernsehen gesehen? Nicht in natura, auf dem Bildschirm, das reicht völlig. Dem sein autoritärer Charakter lässt sich fast mit Händen greifen. Sie wissen nicht, wen ich meine? Also gut, dann eben ein anderes Beispiel, auch vom Schweizer Fernsehen. Kennen Sie die Frau, die den Club moderiert? Furchtbar. Die hat Preise gewonnen, auch internationale, sagen Sie? Das meine ich doch gerade. Einen Preis von CNN! Selbstgefälliger kann man doch gar nicht sein! Neidisch? Ich? Nicht in dem Sinne, dass ich diesen Leuten ihren Job neide, doch in dem Sinne, dass ich der Meinung bin, die falschen Leute besetzen die falschen Stellen. Doch ist das Neid? Ich befürchte allerdings, dass mich mit Menschen, die ich instinktiv ablehne, mehr verbindet als mir lieb ist. Sogar wenn ich sie nur aus dem Fernsehen „kenne“.

      ***

      Ich habe von Nicolas Sarkozy geträumt, der mir auf den Stufen eines Herrschaftsgebäudes, das in einem Park angesiedelt war, aus einer Thermosflasche Kaffee in eine Porzellantasse kredenzte. Auch eine blonde Frau, die ich jedoch nicht zuordnen kann, war dabei; auch sie behandelte er zuvorkommend – ganz der Typ des leicht schmierigen kultivierten Kellners.

      Nein, ich frage mich nicht, wie ich von Sarkozy träumen kann. Doch ich wundere mich, staune und bin verblüfft, was mein Hirn so alles mit mir macht. Es nimmt mich auf Reisen mit, die ich weder geplant habe noch hätte planen können. An Fantasie fehlt es mir übrigens nicht. Ich kann mir Sarkozy als Kellner mit Gel im Haar ohne weiteres vorstellen, doch dass ich mich jemals freiwillig mit diesem hyperaktiven, ständig angespannten Grössenwahnsinnigen (Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Ich habe Augen im Kopf!) beschäftigen würde, Nein, das dann doch nicht.

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