Jetzt spuck's endlich aus. Josefine Melanie Klingner

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Jetzt spuck's endlich aus - Josefine Melanie Klingner

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Einleitung

      Eine Frau, die stottert, schreibt ein Buch, um andere stotternde Frauen zum Stottern zu inspirieren? Klingt nach ziemlich viel Gestotter, nicht wahr? Und überhaupt: wozu das Ganze? Sollten wir das Stottern nicht viel lieber verbergen oder noch besser, es bis zur endgültigen Elimierung bekämpfen? Ist dieses Buch denn wirklich nötig? Ja! Es ist sogar längst überfällig.

      Würde ich abnehmen oder fasten wollen, einen Triathlon laufen oder meine Fingernägel verlängern, eine Sprache in 5 Tagen, einen Kopfstand, das Programmieren oder Häkeln lernen wollen – ich fände zu allem unzählige Bücher. Sogar gestaffelt. Ob 100kg, 50kg oder 5kg – zu jedem Abnehmziel ein Buch. Vegane Küche mit roten, grünen oder gelben Früchten? Alles kein Problem. Aber ich fand nie ein Buch über das Stottern. Wie gehen andere Frauen damit um? Womit haben sie zu kämpfen? Hört der Kampf jemals auf? Ich fand kein Buch, das mich als stotternde Frauen dazu aufrief, ich selbst zu sein und dass ich mein Stottern akzeptieren darf, ja sogar muss. Ich fand kein Buch, das mir stotternd aus dem Herzen sprach. Also entschloss ich mich, selbst ein Buch zu schreiben, meine Geschichte zu erzählen und damit das Buch zu schreiben, was ich selbst nie im Bücherregal fand.

      Laut Statistik stottert 1% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland chronisch. Das sind rund 800.000 Menschen. Ein Fünftel davon sind Frauen. Und von diesen 160.000 bin ich selbst die einzige, die mir bekannt ist. Wow. Ich bin Mitte Dreißig und die einzige stotternde Frau, die ich kenne. Ist das nicht irre? Wo seid ihr anderen?

      Ich wurde das Gefühl nicht los, dass eine große Anzahl unter den 159.999 anderen Frauen aus ähnlichen Gründen unsichtbar und damit auch nicht hörbar ist, die auch bei mir dazu geführt haben, jahrelang unter dem Radar zu fliegen und nicht gesehen und gehört werden zu wollen. Neben dem Fakt, dass ich mich unendlich für mein Stottern schämte, war es besonders meine Angst vorm Sprechen, die mich nicht nur sprachlich ausbremste.

      Stottern hier, Stottern da, Stottern everywhere. In meinen sechsunddreißig Lebensjahren gab es nur zwei Jahre in denen ich nicht stotterte, um genau zu sein, die ersten beiden. An eine Zeit ohne sprachliches Gestolper kann ich mich nicht nur nicht erinnern, es gab diese Zeit in meinem Leben nicht. Stattdessen beherrschte lange Zeit das Stottern mein Denken und Fühlen auf eine besonders negative Art und Weise. Heute sage ich Stotter-Paranoia dazu.

      Ich war viele Jahre fest davon überzeugt, dass mich mein Stottern daran hindern würde, in das Bewerbungsgespräch für meinen Traumjob zu gehen, allein in den Urlaub zu fahren, Telefonkonferenzen in einer fremden Sprache zu führen oder ganz alltägliche Dinge zu tun. Wie ein Telefonat zu führen, um einen Friseurtermin zu vereinbaren, eine Sprachnachrichten nach dem Aufnehmen auch wirklich mal zu versenden, eine Runde schwitzfreien Smalltalk mit der Nachbarin zu halten oder das Ansprechen einer wildfremden Person, um nach dem Weg zu fragen. Diese Alltäglichkeiten gehen mit einem hohen Maß sprachlicher Spontanität und gesprochener Schlagfertigkeit einher, was für mich beides einem Sechser im Lotto glich. Mit Superzahl. Und zwar jeden Tag. Wenn du selbst stotterst, weißt du sicher, wovon ich rede.

      Stottern ist kein Leberfleck, den man abdecken und damit nach Belieben verstecken kann. Stottern ist kein Kilo zu viel, das sich wegtrainieren lässt. Es bleibt für immer, auch wenn es sich durch Therapien, bestimmte Atemtechniken, sowie andere Methoden und Strategien zumindest teilweise verbessern oder gut verbergen lässt.

      Und dennoch. Mit meiner Art zu sprechen wurde ich bereits als Jugendliche und später auch als junge Frau weniger ernst genommen und meine Karrierechancen schienen durch unsichtbare Grenzen von vornherein eingeschränkt zu sein. Wenn ich sprach und dabei stotterte, war es ein Leichtes für andere, dies für sich zu nutzen, mich zu übertönen oder manchmal sogar ganz zum Schweigen zu bringen, da ich mich verbal weder wehren noch durchsetzen konnte. Ich ging Diskussionen und anderen Situationen schnell aus dem Weg, die sprachliche und mentale Durchsetzungskraft von mir verlangt hätten, einzig und allein, weil ich Angst vorm Sprechen hatte und gelernt hatte, mich für mein Stottern zu schämen. Ich hielt mich lieber zurück oder schwieg eben ganz. Chefin, CEO, Politikerin, Selbstständige? – No way! Das ist nur was für andere, normale Frauen, aber auf keinen Fall etwas für Stotternde.

      Mein altes Denken und mein eigener Weg ließen mich vermuten, dass es noch viele Tausend Mädchen und Frauen da draußen gibt, die ihr Stottern ebenfalls bekämpften oder es noch immer tun, sich dafür schämen und mit einem bremsenden Gemisch aus Selbstzweifeln, geringem Selbstwert und Angst, weit hinter ihren Möglichkeiten bleiben und sich nicht das Leben schaffen, das sie sich wünschen und damit nicht zu der Frau werden, die sie sein wollen. Diesen Mädchen und Frauen droht ein unverschuldetes Leben im Schattendasein einer falschen Scham, mit ungenutzten Potentialen und ungelebten Träumen. Ich weiß leider, wovon ich rede und ich möchte an diesen Aussichten etwas ändern.

      Die Klassifizierung als Sprachstörung setzt uns Betroffene per se schon außerhalb des normalen und damit akzeptierten Gesellschaftsfeldes. Aus diesem Grund werde ich diesen Begriff auch nur verwenden, wenn es unvermeidbar ist. Zu lange wurde mir die Sprachstörung als Mantel übergeworfen und galt damit mir als Person. Ich, nicht meine Sprache, war gestört und nicht normal. Diesem Umstand trete ich besonders entgegen. Ich höre mich vielleicht manchmal anders an, aber das war auch schon alles. Ich bin nicht mein Stottern und damit auch nicht gestört, auch wenn mir das immer wieder begegnet.

      Stotternde Frauen haben keine Lobby oder hörbare FürsprecherInnen. Wir sind regelrecht unsichtbar und noch weniger zu hören als zu sehen. Und wenn wir nicht selbst für uns einstehen, macht es keiner. Daran möchte ich etwas ändern.

      Ich bin eine souveräne, selbstbewusste Frau, die neben ihrer Homosexualität auch offen mit ihrem Stottern umgeht. Heute bin ich aber nicht nur die Frau, die mit ihrem Stottern gesehen und gehört werden will, ich möchte auch andere Frauen zu mehr Mut im Umgang mit ihrem Stottern inspirieren. Deshalb teile ich meine Erfahrungen und berichte von Ereignissen und Menschen, an denen ich drohte zu scheitern und es manchmal auch tat. Ich packe meine größten Erfolge aus, die ich mit, trotz und wegen meines Stotterns einfuhr. Ich wünsche mir so sehr, dass ebenfalls betroffene Mädchen und Frauen aufhören, sich zu schämen, weil es einfach nichts gibt, wofür sie sich schämen sollten!

      Ich entscheide mich, aus vollem Herzen und aus voller Überzeugung, meine Stimme und mein Stottern zu nutzen und damit meinen Beitrag dazu zu leisten. Ich will mit meinem Buch etwas bewegen. Das Denken in vielen Köpfen umkehren, auf den Kopf stellen, erschüttern und zur Neuordnung anregen. Es gibt so viele Dinge, die im Zusammenhang mit stotternden Frauen ungesagt und ungedacht sind.

      Ich habe zum Beispiel erlebt, dass Stottern nicht nur die Betroffene selbst hemmt, sondern auch ihre ZuhörerInnen. Wie geht man als Mutter, Kollegin oder als PartnerIn damit um? Wie halten beide Seiten das Stottern während eines Streits aus? Was bleibt wegen des Stotterns ungesagt? Wie verhält man sich, wenn das Stottern zur Beleidigung oder zur Waffe wird? Auch das sind Fragen, die ich beantworten möchte und weitere Gründe, weshalb ich dieses Buch schreiben muss. Aber vor allem möchte ich dir als stotternde Frau mit diesem Buch sagen und zeigen, dass du nicht alleine bist, auch wenn es sich für dich manchmal noch immer so anfühlt.

      Als Jugendliche und junge Frau hielt ich meine Augen und Ohren ständig nach einer stotternden Frau offen, die ich als Vorbild oder Inspiration ansehen konnte. Die mit, wegen oder trotz ihres Stotterns hörbar, erfolgreich und auf ihre Art außergewöhnlich war. Souverän und selbstbewusst. Ich wollte zu so einer Frau aufsehen, die sprach wie ich, die irgendwie war wie ich. Aber da war niemand. Ich wollte mich orientieren, aber an wem? Wer sprach denn wie ich? Wem war ich ähnlich? Wer teilte mein Schicksal? Wer konnte meine Angst vorm Sprechen verstehen? Wer konnte mir vielleicht unbewusst helfen?

      Es ist bekannt, dass Marylin Monroe stotterte. Nichts gegen Marylin, aber come on! Das darf es doch einfach nicht gewesen sein. Wo sind die Vorbilder unserer und die der folgenden stotternden Generationen Frauen? Das Stottern ist so wenig erforscht, dass es sicher nicht in wenigen Jahren ausgemerzt sein wird. Von wem erzählen wir unseren Töchtern, Freundinnen und Bekannten? Ich wünsche mir deshalb, dass jede

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