The Racing Flower Pilgrim. Philipp Döhrer
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Philipp Döhrer
The
Racing Flower Pilgrim
Der Camino de Santiago.
Künstliche Blumen.
Und ich.
Ein Reisebericht.
Oder so ähnlich.
Für meine Familie.
Für meinen Opa.
Für Hartmut.
Und für mich.
Impressum
Texte: © 2021 Copyright by Philipp Döhrer Cover:© 2021 Copyright by Philipp Döhrer
Verlag: Philipp Döhrer Dorfstrasse 51 CH-3622 Homberg bei Thun [email protected]
Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Eigentlich braucht keine Sau einen weiteren Reisebericht über den Jakobsweg...
Die Tradition besagt, dass der Pilger, der sich entschlossen hat, nach Santiago de Compostela zu gehen, einen Stein aus der Heimat mitnimmt. Einen symbolischen Ballast. Am Cruz de Ferro, dem Eisenkreuz, am höchsten Punkt des Jakobsweges, spricht man ein kleines Gebet und legt den Stein dort ab. Man legt damit schlechte Erinnerungen, schlechte Erfahrungen und alte Sünden ab. Man legt alle Dinge des vorherigen Lebens ab, die man mit sich trug und die man niemals wieder mit sich tragen möchte. Der Berg aus seelischem Ballast am Cruz de Ferro wuchs und wuchs im Laufe der Jahrhunderte.
Um sofort Missverständnissen vorzubeugen, möchte in an dieser Stelle gleich betonen, dass ich nicht gläubig bin. In keiner Weise. Nie gewesen. Die Vorstellung einer höheren Macht oder gar eines höheren Wesens ist für mich dermaßen abwegig, dass es mir schwerfällt, für diese Abwegigkeit überhaupt Worte zu finden. Ich kann damit einfach nichts anfangen. Vielleicht bin ich zu rational. Auch ein Konzept wie Schicksal halte ich für abstrus. Meiner Meinung nach war dieser Begriff immer nur eine Ausrede für Menschen, die es nicht schaffen, ihre eigenen Entscheidungen zu hinterfragen oder damit zu leben.
Ich respektiere, nein, ich bewundere jeden Menschen, der glaubt. Wahrhaft glaubt. Woran auch immer. Das ist eine Leistung, zu der ich leider nie imstande war. Ich respektiere Traditionen, ich kenne die Geschichte und die Auswirkungen des Glaubens. Ich weiß, was manch ein Glaube angerichtet hat. Ich weiß aber auch, dass der Glaube vielen Menschen geholfen hat und noch helfen wird. Aber für mich? Ich fand die Macht des Zufalls immer reizvoll. Vielleicht glaube ich schlicht und einfach an den Zufall. Zufall und daraus resultierende Entwicklungen oder eben einfach nur weitere Zufälle. Dieses Konzept gefällt mir.
An eine Sache wollte ich allerdings immer gerne glauben: An Menschen. Hat oft funktioniert, aber eben leider nicht immer. Wenn ich es mal nicht tat, dann zwang ich mich dazu, trotzdem irgendwie weiter an die Menschen zu glauben. Hat es was gebracht? Mittlerweile glaube ich, dass Menschen grundsätzlich immer Gutes wollen. Letztendlich bauen sie dann dennoch immer Scheiße. Das ist doch mal ein Konzept. Dafür sollte man mal einen Kult einrichten. Das Gebet könnte dann allerdings etwas merkwürdig ausfallen.
Bleiben wir also lieber bei der alten Tradition, beim alten Gebet am Cruz de Ferro, während man den Stein ablegt:
Herr, möge dieser Stein, Symbol für mein Bemühen auf meiner Pilgerschaft, den ich zu Füßen des Kreuzes des Erlösers niederlege, dereinst, wenn über die Taten meines Lebens gerichtet wird, die Waagschale zugunsten meiner guten Taten senken. Amen.
Letzteres wahlweise zu ersetzen durch: So möge es sein. So is‘. So machmer’s.
Die Tradition besagt, dass der Pilger, der sich entschlossen hat, nach Santiago de Compostela zu gehen, einen Stein aus der Heimat mitnimmt. Einen symbolischen Ballast.
Ich nehme zwei Steine mit. Und monströse, künstliche Blumen.
Warum denn eigentlich?
23.07.2019 00:20 Uhr
Ich sitze in meiner Bude. Ja, in meiner Bude. In meinem Stitz. Einen hochwertigeren Begriff gibt es dafür nicht. Ich bin dankbar, dass ich ihn habe, aber es ist eben einfach nur ein Stitz. Ich sitze in meinem unfassbar bequemen und gleichzeitig vollkommen durchgesessenen DDR-Rollsessel, bei dem ich nach jeder Bewegung die linke Rolle an der Unterseite nachziehen muss, um nicht halb auf dem Boden zu sitzen. Das hat was. Aber nicht viel.
Vor mir auf dem Bildschirm flimmert irgendein Film, irgendeine Serie, vor sich hin. Grundsätzlich flimmert bei mir immer irgendetwas vor sich hin. In diesem Moment aber hauptsächlich ich selbst. Ich bekomme absolut nichts von dem Treiben auf dem Bildschirm mit. Es könnte ein surreales Werk aus der Feder von Darren Aronofsky sein. In den Hauptrollen David Hasselhoff und Annegret Kramp-Karrenbauer. Unter der Regie von Hieronymus Bosch, Klaus Kinski und einem sprechenden Schimpansen. Auch sowas kann man mögen. Muss man aber nicht.
Nichts davon interessiert mich gerade. Es flimmert einfach. Ich sitze also einfach da. Ich lasse mich von diesem cineastischen Meisterwerk unterbewusst einlullen und denke. Nur denken. Das kann ich und tue ich leider oftmals viel zu gut. Ich kriege dieses hässliche, fast haarlose Ding, welches aus meinem Hals hervorragt, einfach nicht ausgestellt. Ich habe keinen Schalter dafür. Lieferfehler. Hat Hermes vor knapp 33 Jahren einfach verkackt. Jegliche Bemühung um Nachlieferung fehlgeschlagen.
Ich schlafe nun seit fast drei Wochen so gut wie gar nicht. Mit „so gut wie“ meine ich absolut. Und mit „gar nicht“ meine ich GAR NICHT. Ich esse seit fast drei Wochen sehr, sehr wenig. Nur Kleinkram. Ich habe seit fast drei Wochen eine Nervenstörung am Hauptnerv des Hinterkopfes. Ich fühle mich taub und unkonzentriert. Ich habe seit fast drei Wochen ein riesiges Loch in meinem Leben. Größer als je zuvor. Es ist eher wie eine riesige, zerklüftete Schlucht. Als hätte eine gewaltige, hässliche, fette, warzenbewachsene Kröte ihren gigantischen Schlund geöffnet und… Lassen wir das. Dieser Vergleich hinkt. Auf beiden Beinen. Sogar auf allen dreien. Lieber in Form eines Gleichnisses, so wie unser guter, alter Freund J.C. vor einigen Jährchen schon immer gerne redete:
Es ist, als hätte ich einen fantastischen Baumeister kennengelernt und angeheuert. Dieser Baumeister begann ein Gebäude zu errichten. Er maß dem Werk eine riesige, bedeutungsvolle Zukunft bei. Vor meinen Augen stellte er es Schritt für Schritt fertig. Ich konnte währenddessen noch nicht so ganz daran glauben, da meine Erfahrungen mit vorherigen Baumeistern nicht die besten waren. Mit jedem Stein, den er setzte, begann ich, immer mehr zu glauben, immer mehr zu wissen, dass dieses Werk wirklich standhaft sein wird. Standhaft bis zu dem Tag, an dem die Hölle einfriert und Roberto Blanco weiß wird. Als der Schlussstein des Bauwerks gesetzt werden sollte, als ich alle Zweifel abgelegt hatte, riss der Baumeister sein Werk vollständig ein. Einfach so. Dann schnappte er sich ein Klatschblättchen, eine Rolle Klopapier und setzte einen gewaltigen Haufen darauf. Und lachte dabei. Dieser Vergleich ist zwar irgendwie widerlich, aber er trifft’s.
Genau SO fühle ich mich in diesem Moment. In der wohligen Umarmung dieses sesselförmigen Meisterwerks. Diese bedeutungsvolle Zukunft, an die mich der Baumeister glauben ließ, als ich es selbst noch bezweifelte.