Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
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Gerald schloß die Augen, und in der Stille all der unbearbeiteten Morgen Landes hatte er das Gefühl, er sei nun nach Hause gekommen. Das Wohnhaus, aus weißverputzten Backsteinen, sollte sich hier erheben, wo er stand. Jenseits der Straße sollten Lattenzäune fettes Vieh und Vollblutpferde einfriedigen, und die rote Erde am Berghang, bis hinunter zur Flußweide, sollte weiß wie Eiderdaunen in der Sonne flimmern: ein riesiges Baumwollfeld. Mit seinem eigenen kleinen Anlagekapital, das er von seinen wenig begeisterten Brüdern geborgt hatte, und einer Hypothek kaufte Gerald die ersten Feldsklaven und zog auf Tara ein, wo er als Junggeselle einsam bis zu der Zeit, wo die weißen Mauern aus dem Boden steigen sollten, in demvierzimmerigen Haus des Aufsehers wohnte.
Er rodete die Felder, pflanzte Baumwolle und borgte abermals Geld von James und Andrew, um sich mehr Sklaven zu kaufen. Sie liehen es ihm und bekamen es in den folgenden Jahren mit Zinsen zurück. Allmählich vergrößerte sich die Plantage, Gerald kaufte einige Morgen hinzu, und mit der Zeit wurde das weiße Haus aus einem Traum zur Wirklichkeit.
Es wurde von Sklaven erbaut und breitete sich schwerfällig und weitläufig auf dem Hügel aus. Es gefiel Gerald ausnehmend gut, denn schon als es noch neu war, sah es ganz altersgrau aus. Die alten Eichen, unter deren mächtigen Armen die Indianer dahingezogen waren, umhegten es mit ihren dicken Stämmen, und ihre Äste, die höher reichten als d as Dach, hüllten es in dichte Schatten. Auf dem Rasen, der dem Unkraut wieder entrissen war, wuchsen üppiger Klee und Bermudagras, und Gerald sorgte dafür, daß er gut gehalten wurde. Von der Zedernallee bis zu der weißen Reihe der Sklavenhäuser hatte alles sein gediegenes, dauerhaftes Aussehen, und jedesmal, wenn Gerald um die Straßenbiegung galoppierte und sein eigenes Dach aufleuchten sah, schwoll ihm wieder das Herz vor Stolz, als sähe er es zum ersten Male.
Das alles hatte er geleistet, der kleine dickschädelige, hitzköpfige Gerald.
Mit allen seinen Nachbarn stand er auf bestem Fuß, ausgenommen die Maclntoshs, deren Ländereien zur Linken an die seinen grenzten, und die Slatterys, deren dürftige drei Morgen sich rechts, jenseits der Weide, zwischen dem Fluß und John Wilkes' Plantage erstreckten.
Maclntoshs waren Iren schottischen Ursprungs und Anhänger Wilhelms von 0ranien, wodurch sie es für alle Zeiten mit Gerald verdorben hatten, obwohl sie siebzig Jahre lang in Georgia und davor schon ein Menschenalter in Carolina gelebt hatten. Aber das erste Mitglied der Familie, das die amerikanische Küste betreten hatte, kam aus Ulster, und das genügte Gerald. Es war eine steife, zugeknöpfte Familie, die sich streng für sich hielt und nur mit ihren Verwandten aus Carolina Ehen einging. Das Gerücht, sie begünstigten die Abschaffung des Sklavenhandels, erhöhte ihre Beliebtheit keineswegs. Der alte Angus hatte zwar nie einen einzigen Sklaven freigelassen und sich sogar das unverzeihliche Vergehen zuschulden kommen lassen, einige seiner Schwarzen an durchreisende Sklavenhändler zu verkaufen, aber trotzdem wollte das Gerücht nicht verstummen. Wenn bei einem »0rangeman« ein Grundsatz mit schottischem Geiz ins Gehege kommt, so zieht der Grundsatz dabei den kürzeren.
Mit den Slatterys war es anders. Sie waren mittellose Weiße, und ihnen wurde nicht einmal die widerwillige Achtung zuteil, die Angus Maclntoshs starrköpfige Unabhängigkeit sich erzwang. Der alte Slattery, der trotz wiederholter Angebote Geralds und John Wilkes' eigensinnig an seinen paar Morgen hing, war ein jämmerlicher armer Schlucker. Seine Frau, eine kränkliche, verblichene Erscheinung mit unordentlichem Haar, hatte eine kaninchenhafte Brut von mißratenen Kindern zur Welt gebracht, die sie gewissenhaft Jahr für Jahr vermehrte. Tom Slattery besaß keine Sklaven. Mit seinen beiden ältesten Söhnen plagte er sich auf seinen paar Baumwollfeldern ab, während die Frau und die kleineren Kinder ein Stück Land zu bearbeiten suchten, welches so etwas wie einen Gemü segarten vorstellen mochte. Aus irgendwelchen Gründen mißglückte es mit der Baumwolle fortwährend, und da Mrs. Slattery beständig ein Kind erwartete, lieferte der Garten selten genug, um ihre Schar satt zu machen. So hatte man sich daran gewöhnt, Tom Slattery bei seinen Nachbarn herumlungern und um Baumwollsamen und eine Speckseite betteln zu sehen, um sich über Wasser zu halten. Mit dem bißchen Energie, das er besaß, haßte er seine Nachbarn, weil er aus ihrer Höflichkeit die Verachtung herausfühlte, haßte er vor allem die hochnäsigen Schwarzen der Reichen. Die farbigen Bediensteten der Provinz hielten sich für etwas Besseres als das »weiße Pack«, und ihr unverblümter Hohn kränkte ihn tief, während ihre gesicherte Lebensstellung seinen Neid erweckte. Im Gegensatz zu seinem kümmerlichen Dasein waren diese Schwarzen wohlgenährt und gut gekleidet, und in Alter und Krankheit wurde für sie gesorgt. Sie waren stolz auf den Namen ihrer Besitzer und zum größten Teil auch darauf, Eigentum von Leuten zu sein, die der guten Gesellschaft angehörten, während Slattery mit allgemeiner Geringschätzung betrachtet wurde. Er hätte seinen Hof an jeden Pflanzer in der Provinz für seinen dreifachen Wert verkaufen können; man hätte das Geld gern daran gewendet, um ihn los zu sein. Ihm aber war es eine Genugtuung und ein Trotz, zu bleiben und von dem Ertrag eines Ballens Baumwolle und der Wohltätigkeit seiner Nachbarn sein Leben zu fristen.
Mit allen anderen in der Provinz stand Gerald auf freundschaftlichem Fuß, und mit einigen war er eng vertraut. Wilkes, Calverts, Tarletons, Fontaines, alle freuten sich, wenn die gedrungene Gestalt auf dem schweren Schimmel ihre Auffahrt heraufgaloppiert kam. Man lächelte und ließ die hohen Gläser kommen, in die ein Gläschen Bourbon-Whisky über einen Teelöffel Zucker und etwas zerquetschte Pfefferminze gegossen war. Man mußte Gerald gern haben, und mit der Zeit entdeckten auch die Nachbarn, was die Kinder, Farbige und Hunde auf den ersten Blick herausgehabt hatten, daß hinter der lärmenden Stimme und der rauhen Formlosigkeit ein gütiges Herz, ein verständnisvolles 0hr und eine offene Brieftasche zu finden waren. Bei seiner Ankunft ging es jedesmal wie in einem Tollhaus zu. Hunde bellten, schwarze Kinder jauchzten, wenn sie ihm entgegenliefen, stritten sich darum, sein Pferd halten zu dürfen, und grinsten über seine gutmütigen Flüche. Die weißen Kinder wollten auf seinem Knie reiten, während er mit ihren Eltern über die Niedertracht der Yankees schimpfte. Die Töchter seiner Freunde vertrauten ihm ihre Liebesgeschichten an, die Söhne, die Angst hatten, ihre Spielschulden im Arbeitszimmer des Vaters zu gestehen, hatten an ihm einen Helfer in der Not.
»Das also sind Sie schon einen Monat schuldig, Sie junger Schurke!« fuhr er sie dann wohl an. »Warum, verdammt noch mal, sind Sie nicht eher zu mir gekommen?«
Sein Polterton war zu gut bekannt, als daß ihn jemand übelgenommen hätte. Die jungen Leute lächelten nur betreten und antworteten: »Ach, Mr. 0'Hara, es war mir peinlich, Ihnen damit zu kommen, und mein Vater ...«
»Ihr Vater ist unleugbar ein guter Mann, aber strenge. Darum nehmen Sie dies hier, und damit ist die Sache erledigt.«
Die Damen der Plantagenbesitzer kapitulierten zuletzt. Als aber Mrs. Wilkes, eine vornehme Dame mit einer ungewöhnlichen Gabe zu schweigen, wie Gerald sie schilderte, eines Abends, nachdem Geralds Pferd die Einfahrt hinausgetrappelt war, zu ihrem Manne sagte: »Er hat eine etwas rauhe Zunge, aber er ist ein Gentleman« - da war Gerald endgültig anerkannt. Daß er fast zehn Jahre dazu gebraucht hatte, ahnte er nicht. Von dem Augenblick an, da er Tara betreten, hatte er nie gezweifelt, daß er zur vornehmen Gesellschaft gehörte. Aber als er dreiundvierzig Jahre alt war, sehnig und strotzend von Gesundheit, daß er aussah wie ein Edelmann auf der Hetzjagd auf einem jener Farbstiche, wurde ihm klar, daß Tara, so lieb er es harte, und alle die Nachbarn mit ihren offenen Herzen und Häusern ihm nicht genügten. Er brauchte eine Frau.
Tara verlangte gebieterisch nach einer Hausfrau. Die dicke Köchin, eine Schwarze vom Feld, die nur, weil irgend jemand die Küche versorgen