Vom Winde verweht. Margaret Mitchell

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Vom Winde verweht - Margaret Mitchell

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und den Scarlett allezeit mit dem Bild der Mutter verband. Ein paar Schritte hinter ihr folgte Mammy, die Ledertasche in der Hand, mit vorgeschobener Unterlippe und gesenkten Brauen. Sie sprach, während sie hereinwatschelte, leise vor sich hin, und zwar so, daß ihre Bemerkungen nicht verstanden wurden, aber doch ihre entschiedene Mißbilligung zumAusdruck brachten.

      »Es tut mir leid, daß ich so spät komme.« Ellen ließ ihr Plaid von den Schultern gleiten, gab es Scarlett und streichelte ihr die Wange. Bei ihrem Eintritt hellte sich Geralds Gesicht auf. »Ist das Wurm getauft?« erkundigte er sich.

      »Ja, und tot, das arme Ding«, sagte Ellen. »Ich fürchtete, Emmie würde auch sterben, aber ich glaube, sie bleibt am Leben.« Die Mädchen hoben ihre erschrockenen, fragenden Gesichter empor, und Gerald schüttelte philosophisch den Kopf: »Nun, es ist besser, das Wurm ist tot, das arme vaterlose ...«

      »Es ist schon spät, wir sollten lieber jetzt beten.« Ellen unterbrach ihn so sanft, daß die Unterbrechung unbemerkt vorübergegangen wäre, hätte Scarlett ihre Mutter nicht so gut gekannt. Gern hätte Scarlett gewußt, wer der Vater von Emmie Slatterys Baby war, aber wenn sie die Wahrheit von ihrer Mutter zu hören begehrte, so würde sie sie nie erfahren. Sie hatte Jonas Wilkerson im Verdacht, denn sie hatte ihn oft bei einbrechender Nacht mit Emmie die Landstraße entlanggehen sehen. Jonas war Junggeselle und ein Yankee. Seine Stellung als Sklavenaufseher schloß ihn ein für allemal von jeder Berührung mit der Gesellschaft des Landes aus. In keine auch nur halbwegs angesehene Familie konnte er hineinheiraten, mit niemand konnte er verkehren, außer mit den Slatterys und ähnlichem Gelichter. Da er an Bildung mehrere Stufen höher stand als die Slatterys, hatte er natürlich keine Lust, Emmie zu heiraten, sooft er auch in der Dämmerung mit ihr spazierenging. Scarlett seufzte, denn sie war sehr neugierig. Immer gingen unter den Augen ihrer Mutter Dinge vor sich, die Ellen so wenig bemerkte, als seien sie überhaupt nicht vorhanden. Ellen sah über alles Unschickliche hinweg und verlangte von Scarlett dasselbe, allerdings nur mit kümmerlichem Erfolg.

      Ellen war zum Kamin gegangen und hatte aus dem kleinen eingelegten Kästchen ihren Rosenkranz genommen, als Mammy energisch dazwischentrat: »Mrs. Ellen, erst wird zu Abend gegessen, ehe Sie beten.«

      »Danke, Mammy, ich habe keinen Hunger.«

      »Ich richte Ihnen selbst die Mahlzeit an, und dann essen Sie.« Mammy runzelte vor Entrüstung die Stirn und begab sich durch die Halle in die Küche. »Pork!« rief sie, »sag der Köchin, sie soll das Feuer anblasen, Mrs. Ellen sein da.« Während die Dielen unter ihrem Gewicht erdröhnten, wurde das Selbstgespräch, in dem sie schon zuvor begriffen war, immer lauter, bis man es im Speisezimmer deutlich verstehen konnte: »Ich sagen es immer wieder, es haben keinen Zweck, für das weiße Pack sorgen, das sein die größten Faulpelze und undankbarsten Nichtsnutze, Mrs. Ellen sollen sich nicht todmüde machen für Leute, die Farbigen genug zum Pflegen haben können, wenn sie nur einen Schuß Pulver wert sein, ich haben gesagt ...«

      Ihre Stimme verklang. Sie hatte ihre eigene Methode, den Herrschaften ihren Standpunkt klarzumachen. Sie wußte wohl, daß es unter der Würde der Weißen war, zuzuhören, wenn ein Schwarzer vor sich hin sprach. Sie war vor Antworten und Verweisen sicher, wenn sie sich auch noch so laut vernehmen ließ, und doch blieb keiner über ihre Meinung im Zweifel.

      Pork kam mit einem Teller, dem Besteck und einer Serviette herein. Ein kleiner farbige Junge folgte ihm auf dem Fuße. Mit der einen Hand knöpfte er hastig seine weiße Leinenjacke zu, in der anderen trug er einen Fliegenwedel aus dünnen Streifen Zeitungspapiers an einem Bambusrohr, das länger war als er selbst. Ellen besaß einen prachtvollen Fliegenwedel aus Pfauenfedern, aber der wurde nur bei ganz besonderen Anlässen gebraucht, und auch dann nur nach langen häuslichen Kämpfen, denn Pork, die Köchin und Mammy waren der hartnäckigen Überzeugung, daß PfauenfedernUnglück brächten.

      Ellen setzte sich auf den Stuhl, den Gerald für sie hervorzog, und dann fielen sie vierstimmig über sie her:

      »Mutter, an meinem Ballkleid ist die Spitze los. Ich will es doch morgen in Twelve 0aks anziehen. Nähst du sie mir wieder an?«

      »Mutter, Scarletts neues Kleid ist viel hübscher als meins, ich sehe in Rosa wie eine Vogelscheuche aus. Kann sie nicht mein rosa Kleid anziehen und ich ihr grünes?«

      »Mutter, darf ich morgen für den Ball aufbleiben? Ich bin doch schon dreizehn.«

      »Mrs. 0'Hara, sollte man es glauben - seht, ihr Mädchen, erst komme ich! - Cade Calvert war heute früh in Atlanta und sagt - wollt ihr still sein, ich kann ja mein eigenes Wort nicht verstehen! - er sagt, sie seien dort alle in mächtiger Aufregung und redeten von nichts anderem als vom Krieg, und in Charleston heißt es, man würde sich nun nichts mehr von den Yankees gefallen lassen.«

      Ellen lächelte müden Mundes in den Tumult hinein und wandte sich zunächst, wie es sich gehörte, an ihren Mann. »Wenn das die Meinung und das Gefühl der netten Leute in Charleston ist, so haben sie sicher recht«, sagte sie. Sie hatte die feste Überzeugung, daß, mit alleiniger Ausnahme von Savannah, die Vornehmsten auf dem ganzen Erdteil in jenem kleinen Seehafen zu finden seien, eine Überzeugung, die von den Leuten aus Charleston selber in hohem Grade geteilt wurde.

      »Nein, Carreen, nächstes Jahr, mein Kind, dann darfst du zum Ball aufbleiben und Kleider wie die Großen tragen. Dann wird mein kleiner Rotback sich aber amüsieren. Nicht maulen, du weißt doch, du darfst auf das Gartenfest und bis zum Abendessen aufbleiben, aber Bälle sind erst mit vierzehn Jahren erlaubt.«

      »Gib mir dein Kleid, Scarlett. Ich nähe dir nach der Abendandacht die Spitze an.«

      »Suellen, dein Ton gefällt mir nicht. Dein rosa Kleid ist wunderhübsch und steht gut zu deinem Teint wie Scarletts zu dem ihren. Aber du darfst morgen meine Granatkette tragen.«

      Hinter dem Rücken der Mutter machte Suellen triumphierend eine krause Nase zu Scarlett, die gehofft hatte, selber die Kette zu tragen. Scarlett steckte ihr die Zunge heraus. Suellen konnte mit ihrem Gejammer und ihrer Selbstsucht unerträglich sein, und hätte nicht Ellens Gegenwart Scarlett zurückgehalten, so hätte sie ihre Schwester schon des öfteren geohrfeigt.

      »Erzähl mir mehr davon, was Mr. Calvert aus Charleston berichtet hat«, sagte Ellen zu ihrem Mann.

      Scarlett wußte wohl, daß ihre Mutter sich für Krieg und Politik gar nicht interessierte. Das waren für sie männliche Angelegenheiten, um die eine Dame sich nicht kümmerte. Aber Gerald hatte Freude daran, seine Ansichten zum besten zu geben, und Ellen war stets darauf bedacht, ihrem Manne eine Freude zu machen.

      Während Gerald seine Neuigkeiten heraussprudelte, stellte Mammy ihrer Herrin die Schüssel hin: Gebäck mit goldiger Kruste, gebratene Hühnerbrust und eine dampfende, aufgeplatzte gelbe Batate, von der die geschmolzene Butter herabtroff. Mammy gab dem kleinen Jack einen Puff, und er begann eilends, hinter Ellens Rücken zu wedeln. Mammy stand neben dem Tisch und beobachtete jeden Bissen, der vom Teller zum Munde der Herrin wanderte. Scarlett sah, daß Ellen vor Müdigkeit kaum wußte, was sie aß. Nur Mammys unerbittliche Miene zwang sie dazu. Als die Schüssel leer war und Gerald seinen Vortrag über die leidigen Yankees noch nicht annähernd beendet hatte, stand Ellen auf.

      »Wollen wir schon beten?« fragte er.

      »Ja, es ist schon spät - wahrhaftig, zehn Uhr. Carreen sollte längst schlafen. Bitte, die Lampe, Pork, und mein Gebetbuch, Mammy.« Auf Mammys heiseres Geflüster stellte Jack seinen Fliegenwedel in die Ecke und räumte die Schüssel weg, während Mammy in der Schublade der Anrichte nach Ellens zerlesenem Gebetbuch suchte. Pork stellte sich auf die Zehen, faßte den Ring an der Kette und zog die Hängelampe langsam herunter, bis das obere Ende des Tisches in Licht

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