Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
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Ellen schloß die Augen und fing an zu beten, ihre Stimme hob und senkte sich beruhigend wie ein Schlummerlied. Die Köpfe senkten sich in den gelben Lichtkreis, als Ellen Gott dankte für die Gesundheit und das Glück ihres Heimes und ihrer Familie und ihrer Farbigen.
Als sie ihre Gebete für alle Bewohner von Tara, für ihren Vater, ihre Mutter, ihre Schwestern, die drei kleinen toten Söhne und »alle die armen Seelen im Fegefeuer« beendet hatte, nahm sie die weißen Perlen in ihre schlanken Finger und begann den Rosenkranz zu beten. Wie ein sanfter Wind kamen die Antworten aus schwarzen und aus weißen Kehlen zurückgesäuselt:
»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«
Trotz ihrem Herzweh und dem Schmerz unvergossener Tränen kam Ruhe und tiefer Friede über Scarlett, wie immer zu dieser Stunde. Ein wenig von der Enttäuschung dieses Nachmittags, von der Angst vor dem kommenden Tag wich von ihr. Nicht die Erhebung des Herzens zu Gott brachte ihr diese Linderung; denn Religion war ihr kaum mehr als Lippendienst. Es war der Anblick ihrer Mutter, wie sie ihr verklärtes Gesicht zum Throne Gottes, seinen Heiligen und Engeln erhob und Segen herabflehte auf die Menschen, die sie liebte, der ihr so naheging. Wenn Ellen im Himmel für sie eintrat, mußte der Himmel sie erhören, dessen war Scarlett gewiß.
Ellen war fertig, und Gerald, der seinen Rosenkranz zur Abendandacht nie finden konnte, begann verstohlen sich die Aves und Paternosters an den Fingern abzuzählen. Bei seinem summenden Psalmodieren konnte Scarlett nicht verhindern, daß ihre Gedanken abschweiften. Sie wußte wohl, sie sollte jetzt ihr Gewissen prüfen. Ellen hatte sie gelehrt, es sei ihre Pflicht, am Ende jedes Tages in ihrem Gewissen gründlich Umschau zu halten, ihre zahlreichen Verfehlungen zu gestehen und Gott um Vergebung und um die Kraft zu bitten, nicht wieder rückfällig zu werden. Scarlett aber prüfte ihr Herz.
Sie ließ den Kopf auf den gefalteten Händen, so daß die Mutter ihr Gesicht nicht sehen konnte, und die Gedanken wanderten betrübt zu Ashley zurück. Wie konnte er nur beschlossen haben, Melanie zu heiraten, wo er in Wirklichkeit doch sie, Scarlett, liebte? Und wenn er wußte, wie sehr sie ihn liebte? Wie konnte er ihr so das Herz brechen?
Da auf einmal fuhr ihr strahlend und hell wie ein Komet ein neuer Gedanke durch den Sinn. »Mein Gott, Ashley hat ja keine Ahnung davon, daß ich ihn liebe!«
So unerwartet kam ihr diese Erleuchtung, daß sie vor Schreck beinahe laut aufgeatmet hätte. Einen langen, atemlosen Augenblick stockten ihre Gedanken wie gelähmt, dann rasten sie weiter.
»Woher sollte er es denn wissen? Ich habe mich ihm gegenüber immer so zimperlich und damenhaft benommen und bin in seiner Gegenwart ein solches Rührmichnichtan gewesen, daß er wahrscheinlich denkt, ich mache mir nichts aus ihm, außer höchstens als Freund. Natürlich, darum hat er nie etwas gesagt! Er hält seine Liebe für hoffnungslos, und darum ...«
Geschwind eilten die Gedanken zurück in jene Zeiten, da sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie so seltsam ansah, da die grauen Augen, die seine Gedanken sonst so vollständig verhüllten, offen und nackt vor ihr gelegen hatten mit einem Blick voller Qual und Verzweiflung.
»Er denkt, ich sei in Brent, Stuart oder Cade verliebt, daher sein enttäuschtes Herz. Und wenn er mich doch nicht haben kann, meint er sicherlich, er könne seiner Familie zu Gefallen ebensogut Melanie heiraten. Wenn er aber wüßte, daß ich ihn liebe ...«
Ihr bewegliches Gemüt schnellte aus tiefster Niedergeschlagenheit empor zu seliger Erregung. Das also war die Erklärung für Ashleys Stillschweigen, für sein seltsames Verhalten. Er wußte nicht! Ihre Eitelkeit kam ihrem Wunsch zu Hilfe, Glaube wurde Sicherheit. Wenn er nur wüßte, daß sie ihn liebte, käme er eilends zu ihr. Sie brauchte nur ...
»Ach!« dachte sie überglücklich und grub ihre Finger in die gesenkte Stirn. »Ich Dummkopf, warum fällt mir das jetzt erst ein! Ich muß mir etwas ausdenken, um es ihn wissen zu lassen. Er heiratet sie sicher nicht, wenn er weiß, daß ich ihn liebe! Wie könnte er denn?«
Sie fuhr zusammen, als sie bemerkte, daß Gerald zu beten aufgehört hatte und der Blick ihrer Mutter auf ihr ruhte. Hastig begann sie ihre Gebete und sprach mechanisch herunter, was der Rosenkranz verlangte, aber mit so viel Ergriffenheit in der Stimme, daß Mammy die Augen öffnete und sie forschend von der Seite ansah. Als sie die Gebete gesprochen hatte und Suellen und dann Carreen mit den ihren folgten, jagten ihre Gedanken immer noch weiter mit der berauschenden neuen Hoffnung. Auch jetzt war es noch nicht zu spät! Allzu oft schon hatte sich die Provinz entrüsten müssen über Entführungen in dem Augenblick, da die eine oder die andere Partei mit einem Dritten schon so gut wie vor dem Altar stand. Und Ashleys Verlobung war noch nicht einmal veröffentlicht. 0 ja, sie hatte reichlich Zeit! Wenn nicht Liebe Ashley an Melanie band, sondern nur ein altes Versprechen, warum sollte es dann nicht möglich sein, daß er sein Wort zurücknahm und sie, Scarlett, heiratete? Das tat er sicher, sobald er nur wußte, daß sie ihn liebte. Sie mußte es ihn auf irgendeine Weise wissen lassen. Wie, das wollte sie schon ersinnen! Und dann ...
Scarlett schreckte jäh aus ihrer Traumseligkeit empor. Sie hatte die Responsorien versäumt, und ihre Mutter sah sie vorwurfsvoll an. Als sie in das Ritual wieder einfiel, schlug sie geschwind die Augen auf und warf einen raschen Blick durch das Zimmer. Die knienden Gestalten, das milde Lampenlicht, der dämmerige Schatten, in dem die Farbigen sich wiegten, sogar die vertrauten Gegenstände, die noch vor einer Stunde ihrem Auge so verhaßt gewesen waren, alles nahm augenblicklich die Farbe ihres bewegten Gemüts an, und das Zimmer wurde wieder schön. Diesen Augenblick, dieses Bild würde sie niemals vergessen!
»Treueste Jungfrau«, betete die Mutter. Die Litanei der Jungfrau begann, und gehorsam respondierte Scarlett: »Bitte für uns«, während Ellen in sanftem Alt die Attribute der Mutter Gottes pries.
Schon als kleines Kind hatte Scarlett bei diesen Worten immer mehr ihre Mutter angebetet als die Jungfrau, und so war es auch jetzt noch. Mochte es auch eine Gotteslästerung sein, Scarlett sah immer durch die geschlossenen Lider hindurch Ellens emporgerichtetes Gesicht und nicht die Heilige Jungfrau, wenn die uralten Worte erklangen: »Heil der Kranken, Sitz der Weisheit, Zuflucht der Sünder, geheimnisvolle Rose« - die Worte waren schön, weil sie Ellens Attribute waren. Aber heute abend hatte die ganze Zeremonie, die leisen Worte, die gemurmelten Antworten, für Scarlett in ihrem eigenen Hochgefühl eine Schönheit, wie sie sie nie zuvor erlebt hatte. Ihr Herz erhob sich zu Gott in aufrichtigem Dank dafür, daß ihren Füßen ein Pfad sich öffnete - ein Pfad aus dem Elend, geradeswegs in Ashleys Arme.
Als