Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
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Nachts schurrte es in den baumbepflanzten Straßen von tanzenden Füßen, aus den Salons tönte der helle Klang des Klaviers, Sopranund Soldatenstimmen mischten sich zu den schwermütigen Balladen »Die Hörner tönten Waffenruh« oder »Wohl kam dein Brief, doch ach, er kam zu spät«. Sanfte Augen, die Tränen echten Kummers noch nie gekannt, wurden feucht.
Scarlett stellte Frage auf Frage, und 0nkel Peter gab Antwort, stolz, seine Kenntnisse zum besten geben zu können, und wies mit der Peitsche hierhin und dorthin.
»Das ist das Arsenal. Ja, gnädige Miß Scarlett, da bewahren sie die Kanonen und all so was auf. Nein, gnädige Miß Scarlett, das sind keine Lädchen, das sind Blockadebüros. Aber, gnädige Miß Scarlett, wissen Sie denn nicht, was Blockadebüros sind? Das sind die Büros, wo die Fremden wohnen, die uns die Baumwolle abkaufen und sie nach Charleston und Wilmington verschiffen und dafür Pulver zurückbringen. Nein, ich weiß nicht genau, was für eine Sorte Fremder das ist. Miß Pitty sagt, daß es Engländer sind, aber kein Mensch versteht ein Wort von dem, was sie sagen. Ja, es ist furchtbar rauchig, der Ruß verdirbt Miß Pittys Seidenvorhänge ganz und gar, der kommt aus der Gießerei und dem Walzwerk. Und was die nachts für einen Lärm machen! Kein Mensch kann dabei schlafen. Nein, gnädige Miß Scarlett, ich kann bestimmt nicht halten, ich habe Miß Pitty versprochen, Sie auf dem kürzesten Wege nach Hause zu bringen. Miß Scarlett, Sie müssen wiedergrüßen. Da kommen Miß Merriwether und Miß Elsing und grüßen uns.«
Scarlett entsann sich dunkel der beiden Damen, die aus Atlanta nach Tara zu ihrer Hochzeit gekommen waren. Es waren Miß Pittypats beste Freundinnen. Sie wandte sich rasch um, wohin 0nkel Peter zeigte, und neigte den Kopf. Die beiden Damen hielten in ihrer Equipage vor einem Laden. Der Besitzer und zwei Verkäufer standen mit einem Stoffballen beladen auf dem Fußsteig, wo sie die Ware gerade gezeigt hatten. M rs. Merriwether war eine große, sehr stattliche Frau, die so fest geschnürt war, daß der Busen wie der Bug eines Schiffes vorsprang. Vor der Fülle ihres eisengrauen Haares prangten in stolzem Braun, in die Stirn hineingekämmt, einige falsche Löckchen, die es durchaus verschmähten, sich dem übrigen Haar anzupassen. In ihrem runden, hochroten Gesicht vereinigten sich gescheite Gutmütigkeit und Gewohnheit zu befehlen. Mrs. Elsing war jünger, eine zarte, schlanke Frau, die früher einmal schön gewesen war und der noch immer etwas von verwelkter Frische, etwas vornehm Königliches anhing.
Diese beiden Damen waren mitsamt einer dritten, Mrs. Whiting, die Säulen von Atlanta. Sie hatten die Führung in den drei Kirchen, denen sie angehörten, und hielten die Geistlichkeit, die Chöre und die ganze Gemeinde in Atem. Sie veranstalteten Basare und regierten Nähzirkel. Unter ihrem Schütze fanden Bälle und Picknicks statt Sie wußten, wer eine gute Partie machte und wer nicht, wer heimlich trank und wer ein Kind erwartete. Sie waren die maßgebenden Sachkenner für den Stammbaum eines jeden, der in Georgia, Südcarolina und Virginia jemand war. Über die anderen Staaten zerbrachen sie sich nicht weiter den Kopf. Nach ihrer Ansicht stammte überhaupt niemand, der jemand war, aus einem anderen Staat als diesen dreien. Sie wußten, was sich schickte und was nicht, und hielten mit ihrer Meinung darüber niemals zurück. Mrs. Merriwether äußerte sich, so laut sie konnte, Mrs. Elsing in vornehm ersterbendem Gesäusele und Mrs. Whiting in einem wehleidigen Flüsterton, der zu erkennen gab, wie ungern sie über derlei sprach. Die drei Damen mißtrauten einander aus Herzensgrund und konnten einander ebensowenig leiden wie die Männer des ersten Triumvirats in Rom; und wahrscheinlich hatten sie sich aus ähnlichen Gründen wie jene so eng verbündet.
»Ich habe schon Miß Pitty gesagt, Sie müssen in mein Lazarett kommen«, rief Mrs. Merriwether lächelnd. »Daß Sie mir nicht etwa Mrs. Meade und Mrs. Whiting Zusagen machen!«
»0 nein!« Scarlett hatte keine Ahnung, wovon Mrs. Merriwether sprach, aber das Gefühl, willkommen zu sein und gebraucht zu werden, erwärmte sie. »Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen.«
Der Wagen pflügte sich weiter durch den Morast und hielt einen Augenblick, damit zwei Damen mit Körben voll Verbandzeug über dem Arm sich auf Schrittsteinen einen halsbrecherischen Weg über die Straße suchen konnten. Da fiel Scarletts Blick auf eine Gestalt, die für die Straße zu bunt gekleidet war, mit einem schottischen Schal, dessen Fransen ihr bis auf die Absätze herabhingen. Es war eine große, hübsche Frau, mit einem kecken Gesicht und üppigem rotem Haar, zu rot, um echt zu sein. Zum erstenmal sah Scarlett eine Frau, die ohne Zweifel >etwas mit ihrem Haar aufgestellt hatte<, und konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
»Wer ist das, 0nkel Peter?«
»Weiß nicht.«
»Natürlich weißt du es, ich sehe es dir an. Wer ist das?«
»Sie heißt Belle Watling.« 0nkel Peters Unterlippe schob sich langsam mißbilligend vor. Es entging Scarlett nicht, daß er weder »Miß« noch »Mrs.«gesagt hatte.
»Wer ist das denn?«
»Gnädige Miß Scarlett«, sagte Peter geheimnisvoll, »Miß Pitty liebt es nicht, daß Sie nach etwas fragen, das Sie nichts angeht. Es gibt hier in der Stadt ein Pack von Leuten, die nicht mitzählen, und über die zu reden, hat überhaupt keinen Zweck.«
Scarlett schwieg auf seinen Verweis. »Das muß bestimmt ein schlechtes Frauenzimmer sein!«
Noch nie zuvor hatte sie ein schlechtes Frauenzimmer gesehen. Sie drehte sich umund starrte der Frau nach, bis sie sich in der Menge verlor.
Endlich hatten sie die Geschäftsgegend hinter sich, die Wohnhäuser kamen in Sicht. Einzelne davon begrüßte Scarlett als alte Freunde, das würdige, stattliche Leydensche Haus, das Bonnellsche Haus mit den kleinen weißen Säulen und den grünen Fensterläden, das unnahbare Barockhaus aus rotem Backstein hinter niedrigen Hecken, das der Familie McLure gehörte. Sie kamen immer langsamer vorwärts. Aus den Haustüren, aus Gärten und vom Fußweg aus wurden sie von Damen angerufen. Einige kannte sie flüchtig, an andere hatte sie eine unbestimmte Erinnerung, die meisten waren ihr völlig unbekannt. Pittypat hatte anscheinend ihre Ankunft überall angekündigt. Immer wieder mußte sie den kleinen Wade in die Höhe halten, damit Damen, die sich durch den Straßenschlamm bis zu den Prellsteinen vorwagten, ihn bewundern konnten. Jede rief Scarlett zu, sie dürfe nur in ihren Strickund Nähzirkel, nur in ihr Lazarettkomitee eintreten, und unbekümmert sagte sie nach rechts und nach links zu.
Als sie an einem weitläufigen grünen Fachwerkhaus vorbeikamen, rief ein kleines schwarzes Mädel: »Da kommt sie!«, und Dr. Meade, seine Frau und der kleine dreizehnjährige Phil kamen heraus und begrüßten sie. Scarlett erinnerte sich daran, sie auch auf ihrer Hochzeit gesehen zu haben . Mrs. Meade trat auf den Prellstein ihres Hauses und reckte den Hals, um das Baby zu sehen. Aber der Doktor achtete nicht auf den Schmutz und stapfte bis an den Wagen heran. Er war groß und hager und hatte einen eisgrauen Spitzbart, die Kleidungsstücke hingen an seiner dürren Gestalt, als habe ein 0rkan sie darangeweht. Atlanta betrachtete ihn als die Wurzel aller Kraft und aller Weisheit, und es war nicht zu verwundern, daß etwas von dem allgemeinen Glauben in ihn selbst übergegangen war. Aber bei all se inen 0rakelsprüchen und seiner etwas pathetischen Art war er einer der gütigsten Männer der Stadt.
Nachdem er Scarlett die Hand geschüttelt und Wade die Wange gestreichelt hatte, verkündete er, Tante Pittypat habe ihm unter Eid versprochen, daß Scarlett keinem anderen Lazarett und keinem anderen Verbandzeugkomitee angehören dürfe als demvon Mrs. Meade.