Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
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Dieser Arsch, dachte sie, er denkt, dass ich zwar als Ex-Polizistin die Sache hinkriege, aber andererseits so mittellos bin, dass ich nichts erzähle. Wenn das so ist, streiche ich jetzt gleich das Schweigegeld ein. Sie sah den Mann kalt an: »Also, ich fasse noch einmal zusammen: Sie wollen, dass ich ein Kind finde. Sie wissen nicht, wo es ist; Sie wissen auch nicht, wie es heißt; Sie wissen nur, wie der Name der Großmutter lautete. Sie wollen das Kind finden, weil es eine außereheliche Verwandte von Ihnen ist, wobei Sie sich sehr im Ungefähren bewegen. Mein Gott, selbst wenn es Ihre uneheliche Tochter ist: Was soll’s? Sie sehen doch auch jeden Tag, in welcher Welt wir leben. Das interessiert doch keinen Menschen. Wo lauert denn da ein Skandal?«
Der Mann räusperte sich umständlich und sah ihr weiter unbewegt in die Augen. Ärgerlich stellte sie fest, dass er bislang noch nicht einmal auf ihre Brüste geschaut hatte, was sonst ausnahmslos jeder Mann tat. Zumal bei diesem Sweatshirt. Doch er sprach unbewegt weiter: »Mich interessiert es aber, Frau Preuß, allein dies ist relevant. Abgesehen davon möchte ich darauf hinweisen, dass ich mit keinem Wort andeutete, sie sei meine Tochter. Überdies ist die Bezeichnung Kind nicht zutreffend. Sie müsste heute fünfzehn Jahre alt sein. Mithin, und an dieser Stelle komme ich auf Ihre Sicht auf diese Welt zurück, dürfte sie sich gerade Gedanken machen, in welches Bett sie demnächst steigen wird, um ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Es ist also eilig. Aber das nur am Rande. Ich möchte nun verbindlich wissen, ob Sie den Fall übernehmen.«
Verkniffen erwiderte sie seinen erwartungsvollen Blick und beschloss, aufs Ganze zu gehen: »Tja, mein Herr, so richtig viele Hinweise wollen Sie mir offenbar nicht geben. Das sieht ganz nach einer Schnitzeljagd aus, einer langen, teuren Schnitzeljagd. Ich hoffe sehr, dass Sie sich der damit verbundenen Kosten bewusst sind. Diskretion ist nicht billig heutzutage.«
Ungerührt zückte der Mann seine Brieftasche, zählte umständlich einige Scheine heraus und warf sie vor ihr auf den Tisch.
»Fünftausend Euro. Ich erwarte, dass Sie mir jeden Montag gegen siebzehn Uhr einen Bericht erstatten. Sollten Sie Fortschritte gemacht haben, erhalten Sie die gleiche Summe. Sollten Sie keine Fortschritte gemacht haben, sind Sie gefeuert. Nun, mehr gibt es nicht zu sagen. Ich wünsche viel Erfolg.«
Mit diesen Worten erhob er sich und verließ grußlos ihr Büro. Sie betrachtete die zehn großen Geldscheine, freute sich über die damit verbundene Möglichkeit, ein paar Schulden bezahlen zu können und ärgerte sich gleichzeitig. Nicht über den Mann, sondern über ihren Bauch. Immer, wenn ihr Bauch ein dumpfes, bohrendes Gefühl von angstvollem Misstrauen entwickelte, war bislang ein ungutes Ende nicht fern gewesen. Nach langer Zeit hatte sich dieses Gefühl wieder ein, in dem Moment, in dem der Mann die Scheine auf den Tisch gelegt hatte. Sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass ihr Bauch immer recht hatte mit seinen Warnungen, und doch: Sie brauchte das Geld. Sie grinste die Geldscheine schief an. »Außerdem bin ich geil darauf, mal wieder eine richtig schreckliche Sache aufzudecken.«
3
Der Abend ließ die Luft nicht so stark abkühlen, dass ein Feuer wirklich notwendig gewesen wäre. Die Jugendlichen hatten jedoch darauf bestanden. Ihrer Meinung nach gehörte zu einem Wandertag das abschließende Feuer. Nun saßen oder standen alle um die Flammen herum, machten Witze und tranken die alkoholfreie Bowle, die von der Schulleitung spendiert worden war. Etwas abseits kümmerten sich die Erzieher mit einem Schwenkgrill über einem zweiten Feuer um den Nachschub. Die Internatsleiterin schaufelte halb angebrannte Würstchen auf Pappteller, trieb Frau Heyner, ihre ältliche Stellvertreterin, dazu an, diese Teller an die Jugendlichen zu verteilen, warf neue Würstchen auf den Grill und spähte trotz aller Geschäftigkeit ständig zu dem einzigen männlichen Erzieher hinüber. Schließlich war fürs Erste alles getan, sie umrundete das Lagerfeuer und gesellte sich zu ihm.
»Nun, Herr Burg, was beobachten Sie da so ausdauernd?«
Der Angesprochene wandte seinen Blick von dem anderen Feuer ab und sah sie an: »Ich kann nicht genug bekommen. Die Art und Weise, wie diese Pubertierenden sich umschleichen, ist einfach sehenswert. Schauen Sie doch, die Jungs auf der einen Seite, die Mädchen auf der anderen Seite. Sie belauern sich, machen sich Mut mit Scherzen, spähen am Feuer vorbei auf der Suche nach einem Wesen, das den Blick aufnimmt. Das ist einfach faszinierend.«
Eusterholz lächelte nachsichtig. An und für sich war dieser Burg ein netter Kerl, freundlich und intelligent, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Auch die Schüler fanden ihn nett, andererseits fürchteten sie ihn, weil er jeden Streich, jeden Unfug mit unglaublicher Zielsicherheit zum Urheber zurückverfolgen konnte. Mister Allwissend nannten sie ihn, ein wesentlich schmeichelhafterer Spitzname als der ihr zugedachte Kampfhund. Und doch schien er eine Macke zu haben. Für ihren Geschmack verhielt er sich einfach zu ruhig, zu abgeklärt. Nicht so wie ein Lehrer, eher wie ein Elitesoldat, der ständig überall seine Augen hatte und seine Umgebung auf mögliche Angreifer analysierte.
»Herr Burg, leider sind Sie aber kein Zuschauer bei einem Spektakel, das seine Sieger und Verlierer quasi selbständig ermittelt. Sie sind der Boss, Sie bestimmen die Regeln und Sie sind für alles verantwortlich. Dem müssen Sie sich stellen.«
Der Gescholtene zeigte einen schwachen Ansatz von Lächeln.
»Das weiß ich und dem stelle ich mich auch. Trotzdem erlaube ich mir, öfters einmal die Kids zu studieren. Außer Freude bringt das nebenbei auch neue Erkenntnisse. Die möchte ich nicht missen.«
»So? Neue Erkenntnisse? Na, dann lassen Sie mich doch einmal daran teilhaben. Vielleicht habe ich Sie falsch eingeschätzt.«
Burg sah sie an, wie ein Vater sein Kind ansieht, wenn es gerade die neueste Theorie über das Kinderkriegen erzählt. Eusterholz bemerkte es, doch der Ausdruck in seinen Augen verschwand so rasch, dass sie annahm, sich geirrt zu haben.
»Nun ja, da wäre zum einen dieser Junge dort, Sägebrecht.«
»Oh ja, ein toller Name. Trotzdem entwickelt er sich prächtig.«
»Äußerlich, ja. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass er so eine Art Bandenchef ist?«
»So würde ich es nicht ausdrücken, Herr Burg. Er verfügt über eine ganze Reihe Freunde, die ihn respektieren. Sicher ist nur, dass er das große Wort führt.«
Burg schenkte ihr ein nachsichtiges Schmunzeln. »Ich fürchte, das ist nur die halbe Wahrheit. Normalerweise wird jemand, der so einen Namen trägt und dann noch so aussieht wie er, höchstens ein aufmüpfiger Außenseiter, mit dem keiner spricht. Sehen sie doch genau hin: ein klapperdürrer Albino, der mehr Pickel hat, als in sein Gesicht passen, dazu diese helle nasale Stimme. Aber die Jungs achten ihn, die Mädchen machen ihm schöne Augen.«
Eusterholz lachte und kreuzte die Arme vor der Brust. »Sagen wir mal so: Wenn der mich anbaggern würde, bekäme ich das Zucken. Aber wie Sie selbst sicher schon festgestellt haben, laufen die Dinge in der Pubertät nicht immer nach rationalen Gesichtspunkten ab. Die Unsicherheit der Mädels bedeutet für ihn einen unschätzbaren Vorteil. Wahrscheinlich wird er nie wieder so glücklich sein.«
Burg klemmte den rechten Arm unter die Achsel und benützte die linke Hand, um seinen Kopf hineinzulegen. Diese nachdenkliche Haltung war eine Art Markenzeichen von ihm. Immer, wenn er sich so hinstellte, kamen seine Worte aus dem Innersten seiner Denkfabrik. »Kann schon sein, dass er nie wieder so glücklich