Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten
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Die ersten Bürogebäude
Zeniths Türme strebten über den Morgennebel auf; nüchterne Türme aus Stahl, Sandstein und Zement, robust wie Felsen, doch schlank wie Silbernadeln, weder Zitadellen noch Kirchen, sondern solide, schöne Bürogebäude. Der Nebel hatte Mitleid mit den verwitterten Gebäuden früherer Generationen, mit dem Postamt samt seinem schindelgeplagten Mansardendach, den rotgeziegelten Minaretten plumper alter Häuser, den Fabriken mit ihren spärlichen, rußverschmierten Fenstern, den lehmfarbenen Wohnhäusern aus Holz. Die Stadt wimmelte von solch grotesken Gebilden, die mehr und mehr von blitzblanken Türmen aus dem Geschäftszentrum verdrängt wurden, und auf den weiter außerhalb gelegenen Hügeln reihte sich ein neues, hell schimmerndes Haus ans andere. Gewiss Heimstätten für Frohsinn und Beschaulichkeit.
(aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920)
Die Wirtschaft wuchs, und mit ihr die Städte. In New York stieg die Bevölkerungszahl zwischen 1850 und 1920 von 515.000 auf 5,6 Millionen an.1 In Berlin lebten 1850 noch 418.000 Menschen, 1920 waren es fast 3,9 Millionen und London verzeichnete zeitgleich einen Anstieg von 2,6 auf 7,4 Millionen Einwohner.2 Zugezogen waren die Menschen vom Land und den kleinen Gemeinden, um in den aufstrebenden Städten Arbeit zu finden. Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen boomten vor allen Dingen in den urbanen Zentren. Mit ihnen explodierte förmlich der Bedarf an Bürofläche in den begehrten Innenstadtlagen. Die Folge waren rasant steigende Quadratmeterpreise und der Beginn der Immobilienspekulation. Man nutzte jeden Quadratmeter Fläche, der zum Verkauf stand. Brachflächen wurden erschlossen, alte Häuser abgerissen und durch neue Bürogebäude ersetzt. Der Erwerb von Grund und Boden war derart kostspielig geworden, dass man schließlich vermehrt begann, in die Höhe zu bauen.
Doch zunächst blieben die unteren Etagen der Wohnhäuser und Bürogebäude bei den Städtern noch beliebter, als die mühsam durch Treppensteigen zu erreichenden oberen Stockwerke. Je höher die Etage, desto günstiger die Miete. 1853 erfand man den hydraulischen Lastenaufzug.3 Siebzehn Jahre später, im Jahr 1870, war es vermutlich die Equitable Life Insurance, die als Erstes einen Personenaufzug in ihrem Bürogebäude einbauen ließ. Damit änderten sich die Präferenzen der Bewohner. Man erkannte die Vorzüge, die mit den höheren Etagen verbunden waren: Die Aussicht über die wachsende Stadt war prächtiger, die Luft war frischer, das Licht heller und dem Straßenlärm, der jedes Jahr zuzunehmen schien, ließ sich von hier oben viel leichter entkommen.
Dem Wachstum der Häuser waren zu diesem Zeitpunkt aber noch enge Grenzen gesetzt. Die herkömmliche Bauweise, Stein auf Stein, ließ nur eine bestimmte Bauhöhe zu. Mit jeder weiteren Etage, die man hinzufügte, erhöhte sich die Traglast auf die darunter liegenden Wände. Man löste das statische Problem, in dem man die tragenden Wände der unteren Geschosse verstärkte, mit großen Fensteröffnungen sparsam umging und die oberen Etagen des Gebäudes verjüngte. Aber nach etwa zehn, zwölf Etagen war erst einmal das Maximum erreicht. Mit ihrer dennoch bereits beachtlichen Höhe von circa dreißig bis vierzig Metern und ihrer sich verjüngenden Form reichten die neuen Riesen an so manches Kirchengebäude aus der Nachbarschaft heran, weshalb man ihnen auch den Spitznamen Cathedrals of Commerce gab.4
Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die neue Stahlskelettbauweise durch. Damit ließen sich Gebäude von dreißig, vierzig oder mehr Etagen errichten. In Städten wie New York und Chicago brach ein regelrechter Wettstreit um das höchste Gebäude der Welt aus. Zum erneuten einstweiligen Stillstand kam es, als die nächste technische Grenze bei etwa fünfzig Geschossen erreicht war. Jetzt war es nicht die Statik, die den Konstrukteuren Probleme bereitete, sondern die Lichtverhältnisse im Inneren der Gebäude. Die damals vorhandenen künstlichen Beleuchtungssysteme waren noch nicht weit genug entwickelt, um eine ausreichende Belichtung aller Flächen zu gewährleisten. Höhere Gebäude forderten größere Fundamente und Gebäudetiefen, um genügend Standfestigkeit zu gewährleisten. Maximal zehn bis fünfzehn Meter drang das Sonnenlicht ins Innere. Ohne künstliches Licht hätte man die Gebäude nicht ausreichend belichten und nutzen können. Die Glühbirne wurde 1879 von Thomas Edison erfunden, aber es dauerte noch viele weitere Jahre, bis die Technik weit genug entwickelt war, um ein ausreichend stabiles und leuchtstarkes Licht abzugeben. Vorübergehend behalf man sich, in dem man die Gebäude nach oben hin abstufte. Auch wählte man L-, T-, H- oder U-förmige Gebäudekörper, um einen passenden Kompromiss aus Tiefe und Höhe zu erwirken, aber irgendwann war auch hier alles ausgereizt. Erst in den 1930er wurde elektrisches Licht in Gebäuden üblich, und ab da konnte man wieder weiter in die Höhe bauen.
Auch in Europa tauchten Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Bürogebäude auf. Etwa das 1864 errichtete Oriel Chambers aus Liverpool oder das Hauptquartier der Sun Insurance Company aus dem Jahr 1849.5 Aber im Vergleich zu ihren amerikanischen Vorbildern aus New York, Philadelphia und Chicago waren sie deutlich kleiner und kamen insgesamt seltener vor.
Open Spaces
Für Eric Sundstrom, Dozent für Umweltpsychologie an der Universität von Knoxville und Verfasser des im Jahr 1986 veröffentlichten Buches Work Places - The Psychology of the Physical Environment in Offices and Factories, gehört die Erfindung der Stahlskelettbauweise zum wichtigsten Einflussfaktor auf das Interior Design amerikanischer Büroräume.1 Die neue Bautechnik ermöglichte den weitestgehenden Verzicht auf tragende Außen- und Innenwände. Vermieter konnten damit flexibel auf die verschieden nachgefragten Quadratmeterflächen und Anforderungen der Mieter reagieren. Mieter präferierten ohnehin open spaces. Bereits 1924 hieß es: "Large open offices are better than the same space cut into smaller rooms, because they make control and communication easier and provide better light and ventilation.“2
Einheitliche Bautechnik und ähnliche Arbeitsprozesse bedingten auch die gleichförmige Gestaltung des Gebäudeinneren. In der Mitte jedes Geschosses befand sich ein Erschließungskern, in dem die Treppenhäuser, Fahrstühle und Schächte für die technische Infrastruktur des Gebäudes angeordnet waren. Um diesen im Verhältnis zur Gesamtfläche relativ kleinen Kern verlief die nutzbare Bürofläche. Der open space war das Herzstück jeder größeren Firma. Hier arbeitete der Großteil der Angestellten: Sekretärinnen, Schreibmaschinenkräfte, Buchhalter, Maschinisten und Hilfsarbeiter. Das Inventar war schlicht, zweckmäßig und standardisiert. Die Metal Office Furniture Company (heute Steelcase), eine der ersten Firmen, die sich auf Büromöbel spezialisierte, stellte 1915 den Modern Efficiency Desk vor; eine einfache Konstruktionen, bei der Tischbeine und Arbeitsplatte aus robustem Stahl geformt waren.3 Sie war billig zu produzieren, lange haltbar und nicht entflammbar. Aus dem gleichen Material stammten Regale, Schränke und Hängeregister, die Unmengen von Dokumenten beherbergten. Um den offenen Arbeitsbereich herum gruppierte man die Meetingräume und Einzelbüros für die leitenden Angestellten. Je höher ihr Rang im Unternehmen war, umso größer und hochwertiger ausgestattet durften auch ihre Büros sein. Es war das sichtbare Zeichen der Stellung des Einzelnen im Unternehmen. Ein mittlerweile wichtiges Abgrenzungsmerkmal und Statussymbol, da der einheitliche Kleidungsstil über alle Ränge hinweg die äußerliche Unterscheidbarkeit zunehmend erschwerte.