Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

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Von alten und neuen Bürowelten - Maik Marten

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Internationalen Stils bekannt gewordene Architektursprache lehnte die bisherigen Gebäude mit ihren fast imperial wirkenden, übermächtigen Fassaden ab. Stattdessen verwendeten ihre Vertreter mit der Fassadenvorderkante bündige Verglasungen in unterschiedlichen Ausprägungen und Tönungen. Die sogenannten curtain walls verliehen den Gebäuden eine neue Leichtigkeit, die so viel besser zu dem optimistischen Lebensgefühl in den späten 1940er und 1950er Jahren passen sollte, während der sich die Menschen von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges erholten und ihnen das rasche Wirtschaftswachstum einen zuvor noch nicht gekannten materiellen Wohlstand bescherte.

      Glasfassaden lassen viel Licht ins Innere des Gebäudes, leider aber auch viel Wärme. Selbst an sonnigen Wintertagen kann sich ein Gebäude mit einer Glasfassade binnen weniger Minuten auf ein unerträgliches Maß aufheizen. Erfahrungen, die die Architekten und Bauherren erst sammeln mussten. Als Le Corbusier zwischen 1929 und 1933 das Gebäude La Cité de Refuge für die Pariser Heilsarmee entwarf und errichten ließ, hatte er die Auswirkungen der Sonneneinstrahlung noch völlig unterschätzt. In dem Heim sollten Obdachlose vorübergehend Zuflucht finden, bis sie wieder in der Lage wären, auf eigenen Beinen zu stehen. An manchen Pariser Sommertagen wurde es allerdings für die Bewohner zu einem kaum erträglichen Refugium. Die Sonne heizte jeden einzelnen Raum erbarmungslos auf. Während des Zweiten Weltkriegs zerschmetterte eine Fliegerbombe, die vor dem Gebäude abgeworfen wurde, die gesamte Glasfassade. Le Corbusier, der sich an den Reparaturarbeiten nach dem Krieg beteiligte, nutzte die Gelegenheit daher auch, die Fassade um eine Brise Soleil (das französische Wort bedeutet soviel wie Sonnenbrecher bzw. Sonnenschutz) zu ergänzen, die den Bewohnern fortan mehr Schutz vor der intensiven Sonneneinstrahlung bieten konnte.

      Neben der Hitze gab es noch ein weiteres, nicht zu verachtendes Problem, das man in den Griff bekommen musste: die Luftfeuchtigkeit. Es ging dabei nicht nur allein um das Wohlbefinden der Bewohner, sondern auch darum, wie sich die Feuchtigkeit negativ auf Bausubstanz, Möbel und alles, was sich in einem Gebäude befindet und genutzt wird, auswirkt.

      Man-Made Weather

      Um 1900 liefen die Druckerpressen der Sacket-Wilhelm Company in Brooklyn, New York auf Hochtouren. Die Geschäfte der Druckerei florierten. Man druckte mehrere auflagenstarke Zeitschriften, darunter das damals sehr populäre Magazin Judge.1 Aber die Luftfeuchtigkeit in den Räumen bereitete den Inhabern der Druckerei große Schwierigkeiten. Stieg die Feuchtigkeit zu stark an, setzten sich winzige Wassertröpfchen auf das zu verarbeitende Papier. Die frisch gedruckte Tinte verschmierte und trocknete langsamer. Der Produktionsprozess zögerte sich unnötig hinaus. Nach einer Lösung für das Problem suchend, traten die Geschäftsführer des Unternehmens an die Buffalo Forge Company heran, die als Spezialist auf dem Gebiet der gewerblichen Heiztechnik galt. Dort vertraute man dem jungen Elektroingenieur Willis H. Carrier das schwierige Projekt an. Seine Aufgabe bestand darin, eine Apparatur zu entwickeln, die in der Lage sein würde, die Feuchtigkeit aus der Luft herauszufiltern. Seine Firma wusste, wie man Heizungssysteme baute, aber mit der Entwicklung eines Systems, das Luft trocknen konnte, betrat man Neuland. Man war froh, einen jungen, ehrgeizigen Absolventen der Cornell University in seinen Reihen zu haben, der sich voller Enthusiasmus der Herausforderung stellte. Carrier kannte den Effekt, wenn die Feuchtigkeit, die in warmer Luft enthalten ist, plötzlich abkühlt und an Gegenständen beschlägt. Er lässt sich zum Beispiel sehr gut an kalten Getränkegläsern beobachten. Brillenträger können ein Klagelied singen, wenn sie im Winter von draußen in warme Räume treten und plötzlich wie im dichten Nebel stehen. Carrier musste also eine Technik entwickeln, wie man sich diesen Effekt mechanisch zunutze machen konnte. Er tüftelte eine ganze Weile, bis er es schließlich schaffte, eine Apparatur zu entwickeln, in der gekühltes Wasser durch Spiralen geleitet wurde, an denen sich die Feuchtigkeit der Umgebungsluft absetze und anschließend auffangen ließ. Dabei trat ein weiterer Effekt auf: Die Raumtemperatur kühlte sich ab. Carrier erahnte sofort, welche Bedeutung seine Beobachtung hatte. In den folgenden Tagen experimentierte er mit Hilfe von Taupunkttabellen des Wetteramtes, bis sich die Ergebnisse verlässlich reproduzieren und die Leistung der Maschine genau kalibrieren ließ, sodass eine konstante Luftfeuchtigkeit und Temperatur in Abhängigkeit der jeweiligen räumlichen Gegebenheiten zu bewerkstelligen war.2 Er nannte seine Entwicklung den Apparatus for Treating Air.3 Es war die erste Klimaanlage der Welt.

      Nach der erfolgreichen Installation bei der Sacket-Wilhelm Druckerei folgten zunächst weitere gewerbliche Kunden, die die Maschine verwendeten, um ihre Produktionsprozesse zu optimieren. Erst in den 1920er Jahren, als man Carriers System um einen Ventilator ergänzte, konnte man die Klimaanlage auch in Wohn- und Geschäftsgebäuden sinnvoll einbauen. Zu den ersten und populärsten Kunden zählte der Madison Square Garden in Manhattan. Dort verwendete man die Anlage nicht nur, um die Raumtemperatur zu regulieren, sondern auch um Eis für die Eislaufbahn herzustellen. Zum üblichen Standard in Bürogebäuden wurden Klimaanlagen aber erst in den 1950er Jahren. Lange Zeit nach dem Bau der La Cité de Refuge in Paris.

Arbeitsplätze ohne Nähe zum natürlichen Licht in einem open space des Union Carbide Corporation Building, erbaut: 1957-60

      Abb. 11: Arbeitsplätze ohne Nähe zum natürlichen Licht in einem open space des Union Carbide Corporation Building, erbaut: 1957-60; Quelle: U-M Library Digital Collections

      Zwei weitere, technische Entwicklungen setzten sich etwa zur gleichen Zeit wie die Erfindung der Klimaanlage durch: zum einen energiesparendere Neonlampen, zum anderen die Verwendung von abgehängten Decken, hinter denen man die technische Infrastruktur des Gebäudes kaschieren konnte. Zusammen mit der neuen Klimatechnik war man praktisch unabhängig von natürlicher Belichtung und Belüftung. Besonders in den USA, wo die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen kein Recht auf einen Fensterplatz gewährleisten, nutzte man dies aus. Hier konnte man einen Großteil der Arbeitsplätze auch weit im Inneren der Büroetagen platzieren. Das erhöhte entscheidend die Rentabilität der Immobilien. Jede noch so ungünstig gelegene Fläche ließ sich verwerten.4 Es freute Investoren, Vermieter und Unternehmer. Es traf die einfachen Büroangestellten. Viele von ihnen sollten den ganzen Arbeitstag über kein einziges Mal das Sonnenlicht erblicken.

      Die Entwicklung in Europa

      Der Bedarf an Bürofläche war in Europa für lange Zeit deutlich geringer ausgeprägt als in den USA. Die amerikanische Bürowirtschaft spielte den Vorreiter. Dort war der Geburtsort des Scientific Managements, dort hatte die Rationalisierungswelle die Fabriken und Büros als Erstes erfasst und von Grund auf umgekrempelt. Und dort war das finanzielle Kapital geschaffen worden, um alle Dimensionen der Wirtschaft größer zu skalieren. Natürlich hatte auch in Europa das Scientific Management viele begeisterte Nachahmer gefunden. Aber hier durfte alles eine Nummer kleiner sein: das Wachstum der Angestelltenzahlen, Anzahl und Dimensionen der Bürogebäude und die Begeisterung für offene, effizientere Bürokonzepte. Und auch wenn Bezeichnungen wie Großraumbüro oder Schreibmaschinensaal Größe suggerierte: Europäische Großraumbüros waren meist kleiner als ihre amerikanischen Pendants, und sie ergänzten auch nur die überwiegend konventionell geschnittenen Büroflächen. Kleine, enge, verwinkelte Büros in alten Gebäuden; schmale Korridore in der Mitte, von denen links und rechts, zu den Fenstern hin, die Büroräume abgingen, waren in den historischen Städten Europas weitaus üblicher.

      Auch in Deutschland vollzog sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Wandel von einer Gesellschaft aus Bauern und Handwerkern zu einer Industrienation. Die Menschen verließen mit ihren Familien das Land und suchten Wohnraum und Arbeit in den wachsenden Städten und Ballungszentren. Das Ruhrgebiet wurde zur Kohlegrube, Sachsen zum Kompetenzzentrum der Textilwirtschaft und Berlin zum Hotspot der Elektro- und Lokomotivtechnik. August Borsig baute in seinem Berliner Feuerland Lokomotiven, Alfred Krupp schoss in Essen aus stählernen Kanonen, Friedrich Engelhorn bezeichnete seine neu gegründete Aktiengesellschaft die Badische Anilin & Sodafabrik, Carl Zeiss entwickelte in

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