Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten
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Die Arbeit im Büro oder Geschäft war beliebt unter den Menschen. Sie galt als leichter, sauberer und angenehmer. Besonders junge Bewerber eiferten einem Job im Büro oder in einem der schicken Läden in der Innenstadt nach. Dabei ging es den einfachen Angestellten finanziell oft nicht viel besser als den Fabrikarbeitern, was ihnen auch den Spitznamen des Stehkragenproletariats einbrachte. Den Vätern und Müttern war dies aber gleich. Wünschten sie sich einst für ihre Kinder eine Lehre in einem angesehenen Handwerksbetrieb, hielt man eine Anstellung in der Verwaltung eines Betriebes nun für deutlich zukunftssicherer.
Berlin, eine Stadt der Angestellten
Hunderttausende von Angestellten
bevölkern täglich die Straßen Berlins,
und doch ist ihr Leben unbekannter als das der
primitiven Volksstämme, deren Sitten
die Angestellten in den Filmen bewundern.
(Siegfried Kracauer, Die Angestellten, 1930)
Der deutsche Journalist, Soziologe und Geschichtsphilosoph Siegfried Kracauer reiste Ende der 1920er Jahre nach Berlin, um sich einen persönlichen Eindruck von der neu heranwachsenden Arbeiterschaft in der Hauptstadt Deutschlands zu verschaffen. Über Wochen beobachte, befragte und interviewte er die Bewohner der Stadt: von der Sekretärin, über den einfachen Bankangestellten und Sachbearbeiter bis zum Betriebsleiter einer großen Fabrik. Seine Gedanken und Erkenntnisse flossen in den Essayband Die Angestellten ein. Berlin schien für seine Feldforschung geradezu prädestiniert. Nirgendwo sonst in Deutschland hatte sich der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft auf so beeindruckende Weise vollzogen wie in dieser Stadt. So stellte Kracauer bei seiner Stippvisite schnell fest: "Berlin ist heute die Stadt der ausgesprochenen Angestelltenkultur; das heißt eine Kultur, die von Angestellten für Angestellte gemacht und von den meisten Angestellten für eine Kultur gehalten wird."1 In den goldenen Zwanzigern, auf dem kurzzeitigen wirtschaftlichen und kulturellen Höhepunkt zwischen zwei monströsen Kriegen, war Berlin zu einer Stadt der Angestellten geworden; mehr als irgendeine andere Stadt in Deutschland. Überall auf den Straßen konnte man den neuen Arbeitertypus sehen und Augenzeuge des Bürokults werden. So ließ der russische Autor Wladimir Nabokov, der selbst von 1922 bis 1939 in Berlin lebte und arbeite, seinen Protagonisten Fjodor in dem Roman Die Gabe in die Straßenbahn einsteigen und gegenüber einem Angestellten mit Aktentasche Platz nehmen. Sein Held musterte sein Gegenüber und sinnierte über den neuen Zeitgeist: „…wegen des Bürokults; deswegen, weil man unweigerlich Zahlen, Geld zu hören bekommt, wenn man seine innere Stimme belauscht (oder eine beliebige Unterhaltung auf der Straße).“2 Woher dieser plötzliche Bürokult? Was waren die Gründe für ihr starkes Aufkommen? Kracauer fasste es knapp zusammen: „Die Gründe für die ungeheure Vermehrung mögen in der Fachliteratur nachgelesen werden. Sie sind im Wesentlichen an die Strukturwandlungen der Wirtschaft geknüpft. Die Entwicklung zum modernen Großbetrieb bei gleichzeitiger Veränderung seiner Organisationsform; das Anschwellen des Verteilungsapparates; die Ausdehnung der Sozialversicherung und der großen Verbände, die das Kollektivleben zahlreicher Gruppen regeln - das alles hat, jedem Abbau zum Trotz, die Ziffern nach oben getrieben.“3 Das kann man positiv lesen. Die Wirtschaft wuchs, und mit ihr der allgemeine Wohlstand. Weniger erfreulich fand Kracauer allerdings, dass Qualität in Quantität umgeschlagen war. Schuld war die Rationalisierung und Mechanisierung der Arbeit: „Seit der Kapitalismus besteht, ist innerhalb der ihm gezogenen Grenzen schon immer rationalisiert worden, aber die Rationalisierungsperiode 1925 bis 1928 bezeichnet doch einen besonders wichtigen Abschnitt… Sie hat das Eindringen der Maschine und der Methoden des „fließenden Bandes" in die Angestelltensäle der Großbetriebe bewirkt…. Durch diese nach amerikanischem Muster vorgenommene Umstellung - sie ist noch lange nicht abgeschlossen - erhalten große Teile der neuen Angestelltenmassen eine gegen früher herabgeminderte Funktion im Arbeitsprozess."4 Das waren nicht unbedingt Neuigkeiten. Bereits 1840 schrieb der französische Aristokratensohn Alexis de Tocqueville in seinem Essay Über die Demokratie in Amerika: „Je stärker das Prinzip der Arbeitsteilung zur praktischen Anwendung gelangt, desto schwächer, beschränkter und abhängiger wird der Arbeiter. Das Handwerk macht Fortschritte, der Handwerker Rückschritte.“5 Zur Veranschaulichung mag man sich ein Diagramm aus zwei Graphen vorstellen, die bislang in enger Beziehung zueinander standen. Der eine stellt das Bildungsniveau der Arbeiter dar, der andere den geistigen Anspruch an seine Tätigkeit. Es ist ein menschlicher Wesenszug, erlangtes Wissen zu mehren und von Generation zu Generation weiterzugeben. Aber zu jenem Zeitpunkt als Taylors Scientific Management die Fabriken und Verwaltungen der ganzen Welt eroberte, liefen die beiden Graphen plötzlich auseinander. Das Bildungsniveau der Bevölkerung nahm zu, aber der Anspruch vieler Tätigkeiten fiel kläglich ab. C. Wright Mills schätzte, dass in den 1930er Jahren allein in den USA zwischen 10 bis 12 Millionen Angestellte unter dem Niveau ihrer Fähigkeiten arbeiteten.6 In Deutschland sah es nicht viel anders aus. Allein dieser Umstand ist schon bedauerlich genug. Aber es kam noch schlimmer. Gerade diejenigen, die sich für die Herabsetzung des Anspruchs verantwortlich zeichneten, forderten deswegen keineswegs geringere Qualifikationen von ihren Bewerbern. Ganz im Gegenteil, man setzte die Messlatte der Einstellungskriterien ständig höher. Neben den geforderten Schulabschlüssen mussten die Bewerber und Mitarbeiter auch immer aufwendigere Tests über sich ergehen lassen. Selbst psychologische Tests wurden üblich. In einer Verwaltungsmitteilung einer Kommanditgesellschaft aus dem Jahr 1927 heißt es: „Jeder wird an den Posten gestellt, den er nach seiner Fähigkeit, Kenntnissen, psychischen und physischen Eigenschaften, kurz: nach der Eigenart seiner ganzen Persönlichkeit am besten auszufüllen imstande ist. Der richtige Mensch an der richtigen Stelle.“7 Dass das unsinniges Geschwätz war, war Kracauer schnell bewusst geworden. Die Arbeiter, denen er begegnete, fühlten sich meist unterfordert und gelangweilt. Sie waren überqualifiziert und fanden keine Gelegenheit, ihre wahren Fähigkeiten anzuwenden. Und Persönlichkeit spielte, wenn überhaupt, erst auf den höheren Rängen der Hierarchie eine Rolle. Dumm nur, dass dorthin nur die wenigsten kamen, denn die Aufstiegschancen lagen in der Bürowelt mittlerweile bei nahezu Null. Das bestätigten nicht nur die betroffenen Angestellten, sondern auch Funktionäre, Betriebsräte und Abgeordnete. Der Weg nach oben war von vornherein verstellt. Nicht Fähigkeiten oder die richtige Persönlichkeit entschieden, sondern Dünkel. So nahm ein hochrangiger Wirtschaftsfunktionär gegenüber Kracauer auch kein Blatt vor dem Mund: „Man ist in ihr durch Geburt, durch gesellschaftliche Beziehung, durch die Empfehlung hoher Beamter und wichtiger Kunden; selten durch Leistungen aus den Betrieb heraus.“8 Der Prozess