Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten
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Frederick Taylor’s Scientific Management
Tja, wir wissen – und das nicht nur aus der Bibel,
denn auch die Vernunft sagt uns das Gleiche:
Ein Mensch, der sich nicht krümmt und seine Pflicht tut,
selbst wenn sie ihn manchmal langweilt,
der ist nichts weiter als ein – na ja,
der ist einfach nur ein Schwächling. Ein Schlappschwanz!
(aus Sinclair Lewis Babbitt, 1920) 1
Technologischer Fortschritt und Massenfertigung beschleunigten das Wirtschaftswachstum. Binnen kürzester Zeit schossen neue Unternehmen, Fabriken, Geschäfte und Büros wie Pilze nach einem warmen Herbstregen aus dem Boden. Dank neuer Fertigungstechnologien konnte man Produkte zu günstigeren Stückkosten produzieren und die Absatzmenge deutlich erhöhen. Für die Bevölkerung bedeutete dies Wohlstand. Wer Arbeit besaß, erfreute sich an seiner steigenden Kaufkraft und deckte seinen Bedarf an den neusten Produkten und Dienstleistungen. Die Menschen wurden zu Konsumenten, die mehr und mehr kauften und damit wiederum die Produktion anheizten. Produkte wurden standardisiert, normiert und zu immer größeren Stückzahlen abgesetzt.
Dies brachte bald aber auch gewisse Probleme mit sich, denn auf eine Produktion solchen Umfangs waren viele Unternehmen organisatorisch nicht vorbereitet.2 Man besaß kaum Erfahrung bei der Bewältigung großer organisatorischer Abläufe. Organisches Wachstum, die Einführung von Hierarchien und Instanzen waren den Unternehmen und ihren Geschäftsführern fremd. Es mangelte an ausgebildeten Fachkräften, die sich mit den Abläufen in großen Organisationen auskannten, und es mangelte an Managern, die den Weitblick behielten. Viele Mitarbeiter wussten überhaupt nicht mehr, ob ihre Aufgaben sinnvoll waren, welche Rolle sie im System spielten und mit welchen Aufgaben man ihre Kollegen betraute. Abstimmungen untereinander waren fehlerhaft, die Beurteilung der eigenen Arbeitsqualität und die der Kollegen wurde immer schwieriger. Aus Mangel an Durchsicht konzentrierten sich die Arbeiter auf sich selbst und sahen ansonsten den wachsenden Missständen mit zunehmender Gleichgültigkeit entgegen. Effektive Zusammenarbeit war unter diesen Umständen kaum möglich. Die Folgen waren Misswirtschaft, Verschwendung, oft auch Korruption. In einigen Betrieben wuchsen die Probleme und die Unzufriedenheit dermaßen stark an, dass Konflikte zwischen Managern und ihren Untergebenen ausbrachen. Gegenseitige Schuldzuweisungen, Arbeitsniederlegungen und Streiks waren die Folge. Vorgesetzte beschuldigten die Angestellten der Verschleppung und Trödelei, Angestellte hielten ihre Chefs für willkürlich, unfähig und in ihren Aufgabenzuweisungen ambivalent.
In den Büros sah es nicht viel besser aus als an den Fließbändern. Auf den Tischen der Schreibkräfte türmten sich Berge von Papier, Arbeitsprozesse gerieten durcheinander, Verantwortlichkeiten blieben ungeklärt. Die sprunghaft angestiegene Produktion führte in den Betrieben zu enormen Verwerfungen und Ineffizienzen. Früher oder später würden sie dem ein oder anderen Unternehmen das Genick brechen. Es bestand dringender Handlungsbedarf, mehr Effizienz in die einzelnen betriebswirtschaftlichen Prozesse zu bringen. Bloß wie?
Im heutigen Stadtgebiet von Philadelphia, in Nachbarschaft der Philadelphia Universität, liegt der beschauliche Stadtteil Germantown. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Bezirk noch eine unabhängige Stadt, gegründet 1683 von einer Gruppe deutscher Siedler; Quaker und Mennoniten, die mit dem Schiff Concord aus Deutschland über den Atlantischen Ozean übergesiedelt waren, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Damals nannten sie den Ort Deitscheschsteddel. Über Generationen kultivierten sie das Land, schufen Grundbesitz, sammelten Vermögen und Ansehen. Franklin Taylor entstammte einer dieser alten Quaker-Familien. Er war ein wohlhabender Anwalt, der eine Kanzlei in Germantown führte, als Mitte des 19. Jahrhunderts gerade das Maschinenzeitalter angebrochen war. Auch seine Frau Emily Winslow zählte zu einer angesehenen Familie, den Delanos, zu denen auch Franklin Delano Roosevelt gehörte. Franklins und Emilys Sohn Frederick kam am 20. März 1856 zur Welt. Seine Eltern förderten ihn mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Junge schien begabt, konzentrationsfähig, den Naturwissenschaften zugetan. Noch in seinen Kindheitstagen begann er damit, zu experimentieren und zu analysieren. Seine Vorliebe für Details und Akribie schien sich hier bereits abzuzeichnen. Als er das Jugendalter erreichte, spendierten ihm seine Eltern einen längeren Aufenthalt in Europa. Dort lernte er die Sprache seiner Vorfahren, dazu Französisch, Latein und Altgriechisch. Um sich auf sein Studium in Harvard vorzubereiten, begab er sich wieder zurück in sein Heimatland auf die Phillips Exeter Academy in New Hampshire, die unweit von Harvard lag. Die schwierige Aufnahmeprüfung bestand er wenig später mit Bravour. Aber sein Glück ließ ihn im Stich, denn bereits kurze Zeit nachdem er sein Studium aufgenommen hatte, sah er sich gezwungen es auch schon wieder abzubrechen. Der Grund dafür waren starke Kopfschmerzen, die ihn während der anstrengenden Lektüre ohne Unterlass plagten; vermutlich die Folge seiner extremen Kurzsichtigkeit.
Nach reiflichem Überlegen entschied er sich 1874 zu einer Lehre als Werkzeugmacher und Maschinist bei der Enterprise Hydraulic Works in Philadelphia. Nach Ende der zweijährigen Ausbildung wechselte er zu Midvale Steel, dessen damaliger Präsident eng mit seiner Familie befreundet war. Unter dessen Protegé gelang ihm der schnelle Aufstieg vom Werkstattschreiber, über den Vorarbeiter- und Meisterposten bis hin zum Leitenden Ingenieur des Werkes.
Von Anfang an war ihm die Arbeitsweise der Arbeiter und Vorgesetzten ein Dorn im Auge. Überall sah er undurchdachte, ineffiziente Arbeitsvorgänge. Er unterstellte dem größten Teil der Belegschaft Faulheit und Müßiggang; nannte es Sich-Drücken-Vor-Der-Arbeit oder Drückebergerei.3 Die Arbeiter würden zu viel schwatzen, zu viele Zigarettenpausen einlegen und vor jeder bereits absehbaren Pausenzeit ihre Arbeitsintensität langsam absenken: „So allgemein verbreitet ist gerade dieses „Sich-Drücken“, dass sich kaum ein guter Arbeiter finden lässt, der nicht einen beträchtlichen Teil seiner Zeit darauf verwendet, ausfindig zu machen, wie langsam er arbeiten kann, um trotzdem bei seinem Arbeitgeber den Eindruck zu erwecken, er arbeite in flottem Tempo“4, hielt Taylor in seinen Aufzeichnungen fest. Schuld daran trugen seiner Ansicht nach aber nicht die Arbeiter selbst. In ihnen sah er einfach das menschliche Bedürfnis, den geringsten Widerstand zu gehen und sparsam mit ihren Kräften umzugehen. Dort, wo sie sich dem prüfenden Blick des Vorgesetzten entziehen konnten und sich ihnen die Gelegenheit zum Müßiggang bot, ergriffen sie sie auch. Es waren daher auch nicht die Arbeiter, denen man die Missstände anlasten konnte. Wie Taylor beobachten konnte, schien kein einziger Vorgesetzter eine Ahnung zu haben, wie die einzelnen Tätigkeiten der Arbeiter auszusehen hatten, wie lange sie dauern durften, und mit welchen Mitteln man sie am besten vollzog. Niemand von ihnen hatte sich offensichtlich jemals Gedanken über die einzelnen Arbeitsschritte und Bewegungen der Arbeiter gemacht. Keiner wusste, ob die Arbeitsmittel und Werkzeuge wirklich sinnvoll verwendet wurden oder ob es nicht auch bessere Möglichkeiten für deren Einsatz gab. Beladen mit diesen Eindrücken beschloss Taylor, es zu seiner Aufgabe zu machen, sich alle Arbeitsvorgänge genau anzuschauen, um den Vorgesetzten und Vorarbeitern konkrete Verbesserungsvorschläge zu geben. Eine Zeit lang ging das auch gut, bis sich seine Kollegen zunehmend in ihrer Arbeit eingeschränkt und belästigt fühlten. Sie entzogen ihm das Vertrauen und beschwerten sich bei seinen Vorgesetzten. Die Situation begann zu eskalieren und Taylor musste schließlich das Handtuch werfen und Midvale verlassen.
Aber seine Mühen waren nicht umsonst gewesen. Bei einigen einflussreichen Vorgesetzten hatte Taylor einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. 1898 holte ihn ein ehemaliger Kollege, der inzwischen von Midvale zu Bethlehem Steel gewechselt war, zu sich in die Firma, um als Beratender Ingenieur die Betriebsprozesse zu optimieren. Dort sollte man Taylor ausreichend Gelegenheit bieten, umfangreiche Zeitstudien und