Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander
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Zu diesem Zeitpunkt wurde mein Regiment aus Prentiss' Division ausgegliedert und sollte für den Rest des Tages nicht mehr bei ihr kämpfen. Man schickte uns nach rechts, um dort eine Geschützbatterie zu unterstützen, deren Namen ich bis heute nicht erfahren konnte. (Einige Jahre nach der Niederschrift dieses Textes erfuhr ich, dass es sich um Richardson's Battery, Co. D, 1st Missouri Light Artillery gehandelt hatte.) Die Kanonen waren auf der Kuppe einer Anhöhe aufgestellt und als wir sie erreichten, waren sie schon lebhaft bei der Arbeit. Unsere neue Stellung befand sich etwa 100 Meter hinter der Batterie, wo wir uns flach auf die Erde legen sollten. Von der Stellung der Geschütze zu unserer Position hin fiel das Gelände sanft ab und da wir uns so flach wie möglich an die Erde pressten, sausten die Kugeln und Granaten der Rebellen über uns hinweg.
Hier war es auch, dass ich gegen 10.00 Uhr morgens erstmals Grant sah. Er saß natürlich zu Pferde, war von seinem persönlichen Stabe umgeben und war offensichtlich unterwegs, um sich mit eigenen Augen einen Überblick über seine Linien zu verschaffen. Er stürmte an der Spitze seines Stabes im Galopp zwischen uns und den Geschützen an uns vorbei. Die Batterie lieferte sich noch immer ein hitziges Gefecht mit der feindlichen Artillerie und so zischten Kugeln und Granaten über uns hinweg und rissen Äste aus den Bäumen, aber Grant ritt vollkommen gleichmütig durch diesen Sturm. Er schien die Geschosse so wenig zu beachten, als seien sie Papierkügelchen.
Unsere Bewachung dieser Batterie dauerte bis 14.00 Uhr an. Dann wurden wir nach rechts geschickt, schwenkten nach links um, überquerten die zu unserer Linken gelegene Corinth Straße und formierten uns in Gefechtslinie. So kletterten wir durch einen kleinen Graben und eine Anhöhe hinauf, wo wir ein Regiment an der linken Flanke von Hurlbuts Linie ablösten. Die Truppen hier waren in erbitterte Kämpfe verwickelt und das bereits, wie wir später erfuhren, seit über vier Stunden. Ich erinnere mich noch, wie wir die Anhöhe hinauf vorrückten und zu schießen begannen. Ich schaute mich um und der erste Anblick, der mir ins Auge sprang, war eine "Schwade" (wie wir im Westen sagen) von toten Männern in blauen Uniformen. [Anm. d. Übers.: "Schwade" bezeichnet in der Landwirtschaft eine Reihe abgemähten, zusammengerechten Grases oder Getreides.] Einige lagen zusammengekrümmt mit den Gesichtern im Schmutz, andere mit ihren fahlen Gesichtern dem Himmel zugewandt. Diese tapferen Jungs waren totgeschossen worden, während sie versucht hatten, die Linie zu halten. Wir verteidigten diese Stellung, bis wir unsere Munition verschossen hatten und von einem anderen Regiment abgelöst wurden. Nachdem wir unsere Patronentaschen wieder aufgefüllt hatten, wurden wir erneut mit der Unterstützung unserer Geschützbatterie beauftragt. Die Jungs legten sich wieder auf die Erde und begannen, sich leise miteinander zu unterhalten. Viele unserer Kameraden, die noch eine Stunde zuvor lebendig und wohlauf gewesen waren, hatten wir tot auf dieser blutgetränkten Anhöhe zurücklassen müssen. Und die Schlacht tobte noch immer, zur Linken wie zur Rechten, allüberall … es war ein stetes, fürchterliches Lärmen, das nie wieder enden zu wollen schien.
Es war wohl irgendwann zwischen 16.00 und 17.00 Uhr, als eine seltsame Stille eintrat. Unsere Batterie stellte das Feuer ein und die Kanoniere stützten sich auf ihre Geschütze und begannen zu lachen und sich zu unterhalten. Plötzlich kam ein Stabsoffizier angeritten und wechselte einige vertrauliche Worte mit dem Kommandeur der Batterie, bevor er an unseren Colonel herantrat und auch ihm etwas zuflüsterte. Sogleich wurden von einer Senke im Hinterland die Artilleriepferde herangeführt, die Kanonen wurden angespannt und die Batterie setzte sich quer durch das Gehölz nach hinten ab. Auch wir wurden in Bewegung gesetzt und folgten ihr. Es war dermaßen still, dass die einzigen Geräusche, die ich hören konnte, aus dem Knirschen der Räder der Geschützlafetten und Protzen bestanden, die durch das Gesträuch rollten. Wir erreichten den Waldrand und überquerten ein freies Feld. Hier sah ich vor uns und zu unserer Rechten Reihen von Männern in Blau, die alle in die gleiche Richtung marschierten wie wir und es war offensichtlich, dass wir uns erneut zurückzogen. Plötzlich brach von links, von rechts und von unserer gerade aufgegebenen Stellung hinter uns ein fürchterlicher Donner los und die Kugeln flogen wie Hagel um uns herum. Unsere Reihen eilten im Laufschritt weiter. Eine Zeit lang wurde noch versucht, einen organisierten Rückzug durchzuführen, aber bald brach jegliche Ordnung völlig auseinander. Ich war zutiefst verzweifelt und dachte, die Schlacht sei unrettbar verloren. Eine wirre Masse von Männern, Kanonen, Protzen, Fuhrwerken und Ambulanzwagen, allesamt Trümmer einer zerschlagenen Armee, strömte über einen schmalen Trampelpfad auf die Anlegestelle zu, während von unserem Rücken her ein erbarmungsloser Bleiregen auf uns einprasselte. Bei dieser katastrophalen Lage der Dinge konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die Division von General Prentiss in Gefangenschaft geraten war.
An dieser Stelle möchte ich kurz abschweifen, um von einer kleinen Begebenheit zu berichten, die sich während jenes kritischen Stadiums der Schlacht zutrug und mir als rührendes Beispiel des Patriotismus und der selbstlosen Opferbereitschaft für unsere Sache (Eigenschaften, die vielen der einfachen Unionssoldaten zu eigen waren) im Gedächtnis geblieben ist.
Es gab in meiner Kompanie einen Deutschen mittleren Alters namens Charles Oberdieck. Laut der Stammrolle der Kompanie war er im damaligen Königreich Hannover (einer heutigen Provinz von Preußen) gebürtig. Er war ein typischer Deutscher: hellblondes Haar, blauäugig, ruhig und wortkarg, von einfacher und dürftiger Bildung, jedoch ein Mustersoldat, der ohne Widerrede oder Murren die Anweisungen seiner Befehlshaber befolgte. Vor dem Kriege hatte er sich seinen Lebensunterhalt verdient, indem er in den bewaldeten Hügeln bei der Mündung des Illinois River Feuerholz hackte oder für 14 Dollars Monatslohn als Arbeitskraft bei den Farmen auf dem Lande aushalf. Er war Junggeselle, seine Eltern waren bereits verstorben und er hatte keine lebenden Verwandten, weder in seinem Vaterlande noch in seiner neuen Heimat. Zur Zeit unserer Einschreibung waren wir weitläufige Nachbarn gewesen. Ich hatte ihn bereits im Zivilleben gekannt und so war er mir gegenüber ein wenig redseliger als bei den übrigen Jungs der Kompanie. Ein oder zwei Tage nach der Schlacht saßen wir zusammen in unserem Lager im Schatten eines Baumes und sprachen über unsere Erlebnisse im Kampf. "Charley" fragte ich ihn, "Was hast du am Sonntagnachmittag gegen 16.00 Uhr empfunden, als sie unsere Linie zerschlagen hatten, wir uns ungeordnet zurückzogen und es so aussah, als sei die ganze unselige Angelegenheit entschieden?" Er klopfte die Asche aus seiner Pfeife, warf mir einen raschen Blick zu und entgegnete: "Ich will dir mal sagen, was ich empfunden hab'. Ich sorg' mich nicht mehr um Charley. Ich hab' kein Weib und keine Kinder, kein' Vater und keine Mutter. Wenn Charley getötet wird, dann int'ressiert das keinen, keiner wird um ihn weinen. Also denk' ich nicht an mich, aber eins kann ich dir sagen: um uns're Sache tät's mir leid!"
Der noble, einfache Charley! Zu jener Stunde, als alles verloren schien, lag ihm nur die Gefahr für die Sache auf der Seele. Als wir das feindselige, triumphierende Donnern der Rebellengeschütze in unserem Rücken hörten, das uns wie die Totenglocke für dieses letzte, große Experiment des zivilisierten Menschen, unter den Nationen dieser Erde eine vereinigte Republik frei von dem Fluche allmächtiger Könige und selbstsüchtiger Adeliger zu errichten, in den Ohren dröhnte – in diesem Moment dachte er, wie er es in seinen einfachen Worten auszudrücken versuchte, einzig und alleine an den drohenden Untergang der Sache.
Wir waren auf unserer bereits erwähnten Flucht wohl nur noch weniger als einen Kilometer von der Anlegestelle entfernt, als wir auf eine