Erziehungskunst III. Rudolf Steiner
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Zwei Lehrer berichten über das cholerische Temperament.
Rudolf Steiner zeichnet folgende Figuren an die Tafel:
Was ist das? Das ist auch eine Charakterisierung der vier Temperamente. Die melancholischen Kinder sind in der Regel schlank und dünn; die sanguinischen sind die normalsten; die, welche die Schultern mehr heraus haben, sind die phlegmatischen Kinder; die den untersetzten Bau haben, so dass der Kopf beinah untersinkt im Körper, sind die cholerischen Kinder.
Bei Michelangelo und Beethoven haben Sie eine Mischung von melancholischem und cholerischem Temperament.
Nun bitte ich, durchaus zu berücksichtigen, dass wir, wenn es sich um das Temperament beim Kinde handelt, als Lehrer durchaus nicht berufen sind, die betreffenden Temperamente von vornherein als »Fehler« anzusehen und bekämpfen zu wollen. Wir müssen das Temperament erkennen und uns die Frage stellen: Wie haben wir es zu behandeln, um ein wünschbares Lebensziel mit ihm zu erreichen, so dass aus dem Temperament das Allerbeste wird und die Kinder mit Hilfe des Temperaments das Lebensziel erreichen? Gerade beim cholerischen Temperament würde es ja sehr wenig helfen, wenn wir es austreiben wollten und etwas anderes an seine Stelle setzten. In der Tat geht aus dem Leben und der Leidenschaft des Cholerikers sehr viel hervor, und insbesondere in der Weltgeschichte wäre vieles anders geworden, wenn es nicht die Choleriker gegeben hätte. Aber gerade beim Kind muss man sehen, dass man es trotz seines Temperaments zu entsprechenden Lebenszielen bringt. Beim Choleriker sind möglichst zu berücksichtigen erdichtete Situationen, künstlich gebildete Situationen, die man in die Aufmerksamkeitssphäre des Kindes bringt. Man sollte zum Beispiel bei einem tobenden Kind die Aufmerksamkeit auf erdichtete Situationen lenken und diese erdichteten Situationen selbst cholerisch behandeln, so dass ich dem jungen Choleriker zum Beispiel erzähle von einem wilden Kerl, dem ich begegnet bin, den ich ihm vormale wie eine Wirklichkeit. Dann würde ich in Ekstase kommen, würde schildern, wie ich ihn behandle, wie ich ihn beurteile, so dass er die Cholerik an anderem sieht, an Ausgeklügeltem, so dass er die Tat sieht. Dadurch wird man in ihm die Kraft sammeln, dass er auch anderes gut begreifen kann.
Rudolf Steiner wird gebeten, die Szene zwischen Napoleon und seinem Sekretär zu erzählen.
Rudolf Steiner: Da müsste man erst die Baukommission um Erlaubnis fragen! – Diese in der Rede vorgemalte Szene müsste die redende Person so behandeln, dass Cholerisches dabei herauskommt. Das wird immer Kraft sammeln beim cholerischen Kinde, so dass man es dann weiter behandeln kann. Ein Ideal wäre: der cholerischen Gruppe eine Situation vormalen, um auf diese Weise wiederum Kraft gesammelt zu haben. Dann hält es immer ein paar Tage an. Die Kinder werden dann ein paar Tage hindurch gar nicht gehindert sein, die Dinge aufzunehmen. Sonst toben sie innerlich an gegen Dinge, die sie begreifen sollten. Nun möchte ich, dass Sie folgendes versuchen: Von diesem Behandeln der Temperamente sollte etwas bleiben, und da würde ich Fräulein B. bitten, auf höchstens sechs Seiten eine zusammenfassende Darstellung zu geben von der Eigentümlichkeit der Temperamente und ihrer Behandlung, auf Grund alles dessen, was ich hier besprochen habe. Es braucht nicht schon morgen zu sein. Dagegen möchte ich Frau E. bitten, sich vorzustellen, sie hätte zwei Gruppen vor sich: sanguinische Kinder und melancholische Kinder, und sie sollte so abwechseln mit einer Art Zeichenunterricht, mit einfachen Zeichenmotiven, dass das eine Mal gedient wäre den sanguinischen, das andere Mal den melancholischen Kindern. Jetzt möchte ich außerdem noch bitten: Herr T. kann dieselbe Sache machen mit dem Zeichnen für phlegmatische und cholerische Kinder, so dass Sie uns dann dies morgen vorführen können, so wie Sie es sich zurechtgelegt haben. Dann würde ich vielleicht Fräulein A., Fräulein D. und Herrn R. bitten, folgende Aufgaben zu behandeln: Sie denken sich, Sie sollen ein und dasselbe Märchen erzählen, zweimal hintereinander, so, dass Sie es nicht ganz gleich erzählen, sondern in verschiedene Sätze einkleiden und so weiter. Das erste Mal nehmen Sie mehr Rücksicht auf sanguinische, das zweite Mal auf melancholische Kinder, so dass beide etwas davon haben. Dann würde ich bitten, dass Herr M. und Herr L. sich mit der schwierigen Aufgabe befassen, die individuelle Beschreibung eines Tieres oder einer Tiergattung zu geben und sie das eine Mal für cholerische, das andere Mal für phlegmatische Kinder zuzurichten. Herr O., Herr N., und vielleicht hilft auch Herr U. mit, die würde ich bitten, einmal die Aufgabe zu lösen, wie man im Rechnen Rücksicht nehmen konnte auf die vier Temperamente, gerade nur im Rechnen. Nicht wahr, wenn Sie nun auf solche Dinge wie auf die Temperamente so Ihre Aufmerksamkeit lenken, um danach die Klasse für den Unterricht einzuteilen, müssen Sie vor allen Dingen darauf Rücksicht nehmen, dass der Mensch als solcher ein fortwährend Werdender ist. Und das ist etwas, was wir uns in unserem Erzieherbewusstsein immer-während aneignen müssen, dass der Mensch ein fortwährend Werdender ist, dass er Metamorphosen unterliegt im Verlaufe seines Lebens. Und ebenso gut wie wir stark reflektieren auf die einzelnen Temperamentsanlagen der einzelnen Kinder, können wir reflektieren auf das Werdende, und können sagen: In der Hauptsache sind alle Kinder Sanguiniker, ob sie auch im einzelnen phlegmatisch oder cholerisch sind. Alle Jünglinge und Jungfrauen sind eigentlich Choleriker, und wenn es nicht so ist, wenn es in dieser Zeit nicht da ist, ist es eine ungesunde Entwicklung. Im Mannes- und Frauenalter ist der Mensch Melancholiker. Und im Greisenalter ist er phlegmatisch. Das beleuchtet wiederum doch ein wenig die Situation in Bezug auf die Temperamente, denn Sie sehen da etwas, was ganz besonders notwendig ist, in unserer jetzigen Zeit zu berücksichtigen. Wir lieben in unserer jetzigen Zeit, uns starre, fest definierte Begriffe zu machen. In Wirklichkeit geht alles ineinander, so dass man in dem Augenblick, wo man gesagt hat, der Mensch bestehe aus Kopf-, Brust- und Gliedmaßenmensch, sich auch klarmachen muss, dass eben alles ineinandergeht. So ist ein cholerisches Kind nur der Hauptsache nach cholerisch, ein sanguinisches nur der Hauptsache nach sanguinisch und so weiter. Gelegenheit, vollcholerisch zu sein, hat man eigentlich erst im Jünglings- und Jungfrauenalter. Manche bleiben ihr ganzes Leben hindurch Jünglinge, weil sie sich das Jünglingsalter ihr ganzes Leben hindurch bewahren. Nero und Napoleon kamen überhaupt nicht über das Jünglingsalter hinaus. Wir ersehen daraus, wie sich Dinge, die eigentlich im Werden miteinander wechseln, doch wieder im Wechsel ineinanderschieben. Worauf beruht des Dichters, wie überhaupt geistige Produktivität? Worauf beruht es, dass man Dichter werden kann? Darauf, dass man gewisse Eigenschaften des Jünglings- und Kindesalters das ganze Leben hindurch bewahrt. Man hat um so mehr Anlage zur Dichtkunst, je mehr man jung geblieben ist. Es ist in gewissem Sinne ein Unglück für den Menschen, wenn man sich nicht die Möglichkeit bewahrt, gewisse Jugendeigenschaften, ein gewisses Sanguinisches, so für das ganze Leben zu bewahren. Es ist sehr wichtig für den Erzieher, sanguinisch durch Entschluss werden zu können. Das ist außerordentlich wichtig, dass man das als Erzieher berücksichtigt, so dass man diese glückliche Veranlagung des Kindes als etwas ganz Besonderes pflegt. Alle produktiven Eigenschaften, alles, worauf das Gedeihen des geistig-kulturellen Gliedes des sozialen Organismus beruhen wird, das werden die jugendlichen Eigenschaften des Menschen sein, das wird gemacht werden von Menschen, die Jugendtemperament bewahrt haben. Schäften hereinragen, auch wenn wir jung sind. Denn alles wirtschaftliche Urteil beruht auf der Erfahrung. Erfahrung wird nicht besser bewirkt als dadurch, dass in den Menschen gewisse Alterseigenschaften hereinragen, und der Greis ist ja Phlegmatiker. Der Geschäftsmann gedeiht am besten, wenn er in die übrigen Merkmale und Eigenschaften des Menschen ein gewisses Phlegma beigemischt hat, das eigentlich schon ein Greisenhaftes ist. Das ist das Geheimnis sehr vieler Geschäftsleute, dass sie sonst sehr gute Geschäftsleute sind, aber etwas Greisenhaftes beigemischt haben, namentlich in Dispositionen und so weiter. Derjenige, der in der Wirtschaft nur das sanguinische Temperament entwickeln würde, der würde nur zu Jugendprojekten kommen, die nie fertig werden. Der Choleriker, der jünglinghaft geblieben ist, würde sich durch gewisse spätere Maßregeln frühere verderben. Der Melancholiker kann ja sowieso nicht Geschäftsmann werden. Dagegen ist eine harmonische Geschäftsentwicklung mit einer greisenhaften Fähigkeit verbunden, die einen in die Lage versetzt, Erfahrungen aus dem Wirtschaftsleben zu sammeln. Wer Neigung zur Erfahrung hat, der ist stets ein phlegmatischer Greis. Harmonische Temperamente mit Phlegma, das gibt die beste Wirtschaftskonstellation. Sie sehen, dass man, wenn man die Zukunft der Menschheit bedenkt, solche Dinge beachten, Rücksicht