Erziehungskunst III. Rudolf Steiner
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L. schildert das Pferd für phlegmatische und cholerische Kinder.
Rudolf Steiner: Bei Tierbeschreibungen wird es nun aber ganz besonders wichtig sein, dass wir in jeder Einzelheit besonders ins Auge fassen, dass der Mensch eigentlich das ganze Tierreich ist. Das ausgebreitete Tierreich ist der Mensch. Nicht wahr, solche Ideen kann man den Kindern nicht theoretisch beibringen. Das soll man auch nicht. Aber nehmen wir an, jemand sollte die Sache ausführen, die Herr L. angeschlagen hat, aber den Unterschied machen zwischen Phlegmatiker- und Cholerikergruppe. Die Phlegmatischen werden wenig leicht erfassbar sein. Und es wird das nicht leicht haften, was Sie mit ihnen durchnehmen über ein bekanntes Tier. Sie haben das Pferd oft gesehen, haben daher nur wenig Interesse dafür. Solche Dinge sollen aber haften. Da würde ich zu den phlegmatischen Kindern sagen: »Seht einmal, wie unterscheidet ihr euch denn eigentlich von einem Pferde? Wir wollen nur kleine Unterschiede nehmen. Nicht wahr, ihr habt alle einen solchen Fuß: Da sind die Zehen, da ist die Ferse, da ist der Mittelfuß. Das ist euer Fuß. Jetzt seht euch einmal den Pferdefuß an: Das ist der Hinterfuß vom Pferde. Wo sind die Zehen? Wo ist die Ferse und wo ist der Mittelfuß? Bei euch ist dann weiter herauf das Knie. Wo ist das Knie beim Pferde? Da seht einmal: Da sind die Zehen, die Ferse ist da ganz oben, das Knie ist da noch weiter oben. Da ist das ganz anders. Nun stellt euch einmal vor, wie anders so ein Pferdefuß aussieht als euer Fuß!« Das wird das phlegmatische Kind in Spannung versetzen, und es wird das schon behalten. Bei dem cholerischen Kinde würde ich eine Geschichte erzählen, wie das Kind ganz draußen ein Pferd findet im Walde. Das Pferd läuft, weit hinten läuft der Mann, dem es durchgegangen ist, nach, und das Kind muss das Pferd abfangen beim Zügel. Wenn ich weiß, dass ich ein cholerisches Kind habe, kann ich versuchen, ihm das beizubringen, wie es das machen soll, wie es die Zügel erfasst. Es in die Phantasie zu versetzen, wie es das Pferd abfängt, das ist sehr gut. Auch das cholerische Kind hat im geheimen etwas Angst vor dieser Prozedur, aber man kommt einem cholerischen Temperament entgegen, wenn man ihm zumutet, das zu tun. Es wird dann etwas beschämt sein, etwas bescheidener.
Dann möchte ich bemerken, dass Sie namentlich im Anfang diese Dinge sehr kurz gestalten sollten. Daher würde ich in diesem Falle Herrn M. bitten, seine Erzählung auch für sanguinische und melancholische Kinder auszuführen, aber beide Male furchtbar kurz. Ebenso Herrn L., aber Einzelheiten herauszuheben, die dann bleiben, die dazu dienen, das Kind in Spannung zu versetzen. Wir müssen uns klar sein, dass wir den Unterrichtsstoff hauptsächlich dazu verwenden, um die Willens-, Gemüts- und Denkfähigkeiten des Kindes zu ergreifen, dass es uns viel weniger darauf ankommt, was das Kind gedächtnismäßig behalt, als dass das Kind seine seelischen Fähigkeiten ausgestaltet.
O. führt aus, wie man im Rechnen Rücksicht nehmen könnte auf die vier Temperamente, erwähnt aber, dass er mit seiner Aufgabe nicht richtig fertig geworden wäre.
Rudolf Steiner: Das ist etwas, was ich vorausgesehen habe, denn die Aufgabe ist etwas sehr Schwieriges. Sie werden das ganz gründlich beschlafen müssen. Aber nehmen Sie folgendes als neue Aufgabe: Denken Sie sich eine Klasse, in der acht- bis neunjährige Kinder sitzen. Es kommt ja natürlich in dem Unterricht der Zukunft darauf an, dass möglichst viel soziale Instinkte, sozialer Wille, soziales Interesse erzogen werde. Nun denken Sie sich drei Kinder, wovon das eine ausgesprochen phlegmatisch, das andere ausgesprochen cholerisch und das dritte ausgesprochen melancholisch ist. Ich will ihre übrigen Eigenschaften nicht erwähnen. Die kämen in der dritten bis vierten Woche, nachdem der Unterricht begonnen hat, und sagen zu Ihnen: »Mich können alle anderen Kinder nicht leiden!« Diese werden sich nun gleichsam erweisen als die Aschenbrödel, denen gegenüber sich die andere Klasse etwas ablehnend verhält, die gepufft werden, die man stößt, die man überall zurücksetzt. -Ich möchte Sie bitten, bis Montag darüber nachzudenken, wie der Erzieher versuchen wird, diesem Übel am besten abzuhelfen. Wie man diese Kinder zu beliebten Kindern machen könne, das ist eine wichtige Aufgabe für die ganze Erziehung. Ich bitte Sie, das recht geistvoll durchzudenken, und das als eine sehr wichtige pädagogische Aufgabe zu betrachten.
Vierte Seminarbesprechung
25. AUGUST 1919, STUTTGART
Rudolf Steiner: Wir werden nun fortfahren in der Aufgabe, die wir uns gestellt haben, und werden übergehen zu dem, was Herr N. uns zu sagen hat über die Behandlung des Rechnens unter dem Gesichtspunkt der Temperamente der Kinder. Es wird sich mehr handeln um die Art des Verhaltens beim Rechnenlehren.
N. entwickelt das Klarmachen eines Bruches, indem er ein Stück Kreide zerbrechen lässt.
Rudolf Steiner: Ich hätte nur zunächst das eine zu bemerken, dass ich zum Beispiel nicht Kreide verwenden würde, weil es zu schade ist, die Kreide zu zerbrechen. Ich würde einen wertloseren Gegenstand aussuchen. Es würde genügen ein Stück Holz oder so etwas, nicht wahr? Es ist nicht gut, die Kinder frühzeitig daran zu gewöhnen, nützliche Gegenstände zu zerbrechen.
N. fragt, wenn das Kind keine ganz vertikale Richtung hält, sich nicht gerade hält, ob dann dadurch die Erfassung räumlicher und geometrischer Formen erschwert wäre?
Rudolf Steiner: In einem bemerkbaren Maße ist das nicht vorhanden. Es kommt bei solchen Dingen viel mehr auf die Tendenzen an, nach denen der menschliche Organismus aufgebaut ist, als auf den Bau der einzelnen menschlichen Persönlichkeiten. Es hat sich das mir einmal besonders stark entgegengestellt nach einem Vortrag in München, wo ich ausführte, dass es eine gewisse Bedeutung hat für den Bau des Menschen, dass sein Rückgrat in der Linie eines Erddurchmessers liegt, während das Tier seine Rückenlinie waagerecht darauf hat. Nachher kam ein gelehrter Arzt aus Karlsruhe und machte geltend, dass der Mensch, wenn er schläft, sein Rückgrat ja in horizontaler Linie habe! – Da sagte ich: Nicht darauf kommt es an, ob der Mensch sein Rückgrat in verschiedene Stellungen bringen kann, sondern darauf, dass der ganze menschliche Bau architektonisch so angeordnet ist, dass sein Rückgrat in der Normalhaltung vertikal ist, wenn er es auch in schiefe oder andere Lagen bringen kann. – Sie würden, wenn Sie das nicht in Betracht zögen, niemals verstehen können, wie gewisse Hinordnungen für die menschlichen Sinne, die sich noch im Intellekt finden, doch auftreten zum Beispiel bei Blindgeborenen. Der Mensch ist als Wesen so aufgebaut, dass sein Intellekt auf sein Auge hin tendiert, so dass man selbst bei Blindgeborenen noch Vorstellungen hervorrufen kann, die auf das Auge hin gerichtet sind, wenn ein Mensch so geartet ist, wie zum Beispiel die blinde Helen Keller. Es kommt an auf die Tendenz, auf die Anlagen im allgemeinen des menschlichen Organismus, nicht auf das, was zufällige Lagen hervorbringen können. Dann möchte ich das Folgende an Herrn Ns. Ausführungen anschließen. Es kommt weniger darauf an, dass wir diese Dinge kritisieren, denn das kann man immer. Es kommt darauf an, dass solche Dinge vorgebracht werden, und dass wir versuchen, uns in solche Dinge hineinzufinden. Gehen wir einmal von der Addition aus, und zwar so, wie wir die Addition auffassen. Nehmen wir an, ich habe Bohnen oder ein Häufchen Holunderkügelchen. Nun will ich für den heutigen Fall annehmen, dass die Kinder schon zählen können, was sie ja auch erst lernen müssen. Das Kind zählt, es hat 27. – »27«, sage ich, »das ist die Summe.« Wir gehen aus von der Summe, nicht von den Addenden! Die psychologische Bedeutung davon können Sie in meiner Erkenntnistheorie verfolgen. Diese Summe teilen wir jetzt ab in Addenden, in Teile oder in Häufchen. Ein Häufchen Holunderkügelchen, sagen wir 12; weiter ein Häufchen, sagen wir 7; weiter eines, sagen wir 3; weiter eines, sagen wir 5. Dann werden wir die Holunderkügelchen erschöpft haben: 27 =12 + 7 + 3 + 5. Wir machen ja den Rechnungsvorgang von der Summe 27. Solch einen Vorgang lasse ich nun eine Anzahl von Kindern machen, welche ausgesprochen phlegmatisches Temperament haben. Man wird sich allmählich bewusst werden, dass diese Art des Addierens besonders geeignet ist für Phlegmatiker. – Dann