Winnetou Band 1. Karl May
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Gürtel hatte er ein Messer und zwei Pistolen stecken. Als er seinen Stuhl an der Tafel wieder erreichte,
warf er erst auf mich und dann auf die Dame des Hauses einen listigen Blick und fragte:
»Mag Mylady nicht, bevor wir an das Essen gehen, diesem Greenhorn sagen, um was es sich handelt,
wenn ich mich nicht irre?«
Der Ausdruck "wenn ich mich nicht irre" war bei ihm zur stehenden Redensart geworden. Die Lady
nickte, drehte sich mir zu, deutete auf den jüngeren Gast und sagte:
»Ihr werdet vielleicht noch nicht wissen, daß Mr. Black hier Euer Nachfolger ist, Sir.«
»Mein Nachfolger?« stieß ich ganz betroffen hervor.
»Jawohl. Da wir heut Euern Abschied von uns feiern, waren wir gezwungen, uns nach einem neuen
Lehrer umzusehen.«
»Meinen Abschied ?«
Heute preise ich das Schicksal, daß ich in jenem Augenblick nicht photographiert worden bin, denn ich
habe jedenfalls wie die personifizierte Verblüfftheit ausgesehen.
»Ja, Euern Abschied, Sir,« nickte sie mit einem wohlwollenden Lächeln, welches ich aber nicht für am
Platze fand, denn mir selbst war keineswegs zum Lächeln. Sie fügte hinzu: »Es hätte eigentlich gekündigt
werden sollen, doch wollen wir Euch, den wir so lieb gewonnen haben, nicht hinderlich sein, Euer Glück
so bald wie möglich zu ergreifen. Es tut uns innig leid, Euch von uns gehen zu sehen, doch geben wir
Euch unsere besten Wünsche mit. Reist in Gottes Namen morgen ab!«
»Abreisen? Morgen? Wohin denn?« brachte ich mühsam hervor.
Da schlug mir Sam Hawkens, der neben mir stand, mit der Hand auf die Achsel und antwortete lachend:
»Wohin? Nach dem wilden Westen mit mir. Ihr habt ja Euer Examen glänzend bestanden, hihihihi! Die
andern Surveyors reiten morgen fort und können nicht auf Euch warten; Ihr müßt unweigerlich mit. Ich
und Dick Stone und Will Parker, wir sind als Führer engagiert, immer den Kanadian hinauf und ins New
Mexiko hinein. Denke doch nicht, daß Ihr hier und ein Greenhorn bleiben wollt!«
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles war abgekartete Sache gewesen! Surveyor,
Feldmesser, vielleicht gar für eine der großen Bahnen, welche geplant wurden. Welch ein froher
Gedanke! Ich brauchte gar nicht zu fragen; ich erhielt die Auskunft unaufgefordert, denn mein alter, guter
Henry trat zu mir, faßte mich bei der Hand und sagte:
»Hab's Euch ja schon gesagt, weshalb ich Euch gern habe. Ihr seid hier bei braven Menschen, aber ein
Hauslehrerposten ist nichts für Euch, Sir, gar nichts. Ihr müßt nach dem Westen. Habe mich darum an die
Atlantik und Pazifik Company gewendet und Euch examinieren lassen, ohne daß Ihr es wußtet. Habt gut
bestanden. Hier ist die Installation.«
Er gab mir das Dokument. Als ich einen Blick in dasselbe warf und da mein wahrscheinliches
Einkommen verzeichnet fand, gingen mir die Augen über. Er aber fuhr fort:
»Es wird geritten; Ihr braucht also ein gutes Pferd. Habe den Rotschimmel gekauft, den Ihr selbst
zugeritten habt; sollt ihn bekommen. Und Waffen müßt Ihr auch haben; werde Euch den Bärentöter
mitgeben, das alte, schwere Gun, welches ich nicht brauchen kann, mit dem aber Ihr bei jedem Schusse in
das Schwarze trefft. Was sagt Ihr dazu, Sir, he?«
Ich sagte zunächst gar nichts; dann, als ich die Sprache wiederfand, wollte ich die Gaben von mir weisen,
hatte aber keinen Erfolg. Diese guten Menschen hatten beschlossen, mich glücklich zu machen, und es
hätte sie tief gekränkt, wenn ich bei meiner Ablehnung geblieben wäre. Um, wenigstens für einstweilen,
alle Weiterungen abzuschneiden, nahm die Lady an der Tafel Platz, und wir Andern waren gezwungen,
ihrem Beispiele zu folgen; es wurde gegessen, und das Thema durfte nicht gleich wieder aufgenommen
werden.
Erst nach Tische erfuhr ich, was ich wissen mußte. Die Bahn sollte von St. Louis aus durch das Indian-
Territory, New Mexiko, Arizona und Kalifornien nach der Pazifikküste gehen, und man hatte den Plan
gefaßt, diese weite Strecke in einzelnen Sektionen erforschen und ausmessen zu lassen. Diejenige
Sektion, welche mir und noch drei andern Surveyors unter einem Oberingenieur zugefallen war, lag
zwischen dem Quellgebiete des Rio Pecos und des südlichen Kanadian. Die drei bewährten Führer Sam
Hawkens, Dick Stone und Will Parker sollten uns dorthin bringen, wo wir eine ganze Schar von wackeren
Westmännern vorfinden würden, die für unsere Sicherheit zu sorgen hatten. Natürlich waren wir
außerdem auch des Schutzes aller Fortsbesatzungen sicher. Um mich so recht zu überraschen, war mir
dies alles erst heut gesagt worden, freilich etwas sehr spät. Doch beruhigte mich die Mitteilung, daß für
meine vollständige Ausrüstung bis auf das Kleinste gesorgt worden sei. Es blieb mir nichts weiter zu tun,
als mich meinen Kollegen vorzustellen, welche in der Wohnung des Oberingenieurs auf mich warteten.
Ich ging in Begleitung von Henry und Sam Hawkens hin und wurde auf das freundlichste begrüßt. Sie
wußten, daß ich hatte überrascht werden sollen, und konnten mir also die Verspätung nicht übelnehmen.
Als ich am andern Morgen zunächst von der deutschen Familie Abschied genommen hatte, ging ich zu
Henry. Er schnitt meine Dankesworte dadurch ab, daß er, mir die Hände herzlich schüttelnd, in seiner
derben Weise mich unterbrach:
»Haltet den Schnabel, Sir! Ich habe Euch doch nur deshalb hinausgeschickt, damit mein altes Gun wieder
einmal mitreden kann. Kehrt Ihr zurück, so sucht mich auf und erzählt, was Ihr erlebt und erfahren habt.
Dann wird es sich zeigen, ob Ihr das noch seid,