Bautz!. Widmar Puhl

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Bautz! - Widmar Puhl

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in mir wieder gemeldet. Heute produzieren immer weniger Bauern immer mehr Lebensmittel und die meisten Menschen leben in großen Städten; wohin also heute mit diesem Ur-Vergnügen?

      Ich möchte es mir wenigstens im Kleinen erhalten und kultivieren. In dem Wort „ernten“ steckt das englische Wort „to earn“, durch Arbeit verdienen. Das tun wir ja alle nach Möglichkeit für unseren Lebensunterhalt. Aber am Fließband, an der Ladenkasse, am Bankschalter, am Steuer oder am Schreibtisch denkt ja kein Mensch mehr an wogende Kornfelder, Ackerbau und Obstgärten. Unsere alltägliche Ernte ist sehr abstrakt und un-sinnlich geworden.

      Dass diese sinnliche Freude nicht verloren geht, ist mir aber wichtig. Vielleicht hat mancher Grundstücks- oder Gartenbesitzer genau aus diesem Grund so viel Arbeit in seinen Besitz gesteckt und so viel Freude an der Plackerei, obwohl das nicht jedem bewusst ist. Das muss auch nicht sein. Erntefreude ist tief im Menschen verankert und nicht auszurotten. Für die meisten Zeitgenossen ist es nicht immer leicht, ein Schlupfloch, ein Ventil für diesen Trieb zu finden. Man hat selten das Glück, ernten zu können, wo man nicht gesät hat. Um die meisten Verlockungen dieser Art stehen Zäune, die man respektieren muss.

      Wer im Spätsommer oder Herbst mit dem Auto oder Fahrrad in die Gegend um den Bodensee fährt, kann zahlreiche Erntefreuden haben, auch wenn

      er kein Stück Land mit einem Zaun drum besitzt. Überall darf man mit den Augen ernten: Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Nüsse, Quitten, Zwiebeln, Kohl – alles ist voll von Obst und Gemüse, so weit das Auge reicht. Man sieht die Leute bei der Arbeit, und am Straßenrand kann man alles kaufen: direkt. Frischer und preiswerter als beim Erzeuger geht´s nicht. Ich habe auch schon auf einem Erdbeerhof mein Obst selbst geerntet. Immer mehr Bauern laden dazu ein; es wird billiger, wenn man ihnen Arbeit abnimmt. Und es kann einen Riesenspaß machen.

      Wenn ich überhaupt keine Zeit für solche Ausflüge habe oder nicht die rechte Jahreszeit dafür ist, gehe ich manchmal nur auf den Markt, um in Berührung mit dem Naturereignis Ernte zu kommen, um zu riechen, zu sehen und vielleicht auch zu schmecken. Vielleicht sollte ich das viel öfter tun. Man verlernt sonst so vieles. Es ist doch schön und gar nicht mehr so selbstverständlich, wenn man eine Fenchelknolle von einer Lauchstange unterscheiden kann.

      Nächsten Herbst gehe ich bestimmt wieder spazieren und schaue nach, ob „meine“ Haselnüsse noch kein anderer entdeckt hat.

       Bewegung

      Kinder toben gern herum; die Freude an der Bewegung gehört offenbar zu den ursprünglichen Dingen im Leben. Aber dann kommt eine lange Zeit, in der wir erzogen werden, still zu sitzen. „Setz dich auf den Hosenboden“ – das war ein viel gehörter und sehr verhasster Satz in meiner Kindheit. Doch irgendwann trägt diese Erziehung Früchte. Sogar der Hund muss lernen: „Sitz!“ Nach dem Lernen kommt das Arbeiten, und da sitzen immer mehr Menschen erst recht. Von morgens bis abends. Einen letzten Rest der alten Bewegungsfreude, im Mangel, im Nicht-Können, enthält die umgangssprachliche Formulierung, dass einer „gesessen hat“. In der Haft, das sagt die Sprache mit deutlicher Wehmut, gibt es die Freiheit der Bewegung nicht, und folglich auch kaum die Freude daran.

      Ich übe eine sitzende Tätigkeit aus. Vielleicht fällt mir gerade deswegen ein geflügeltes Wort ein, das im Rundfunk kursiert: „Der Sender hat unseren Kopf gemietet, aber nicht unseren Hintern“.

      Mir gefällt dieser Satz nicht zuletzt deshalb, weil er so beweglich und vielseitig ist, auch vieldeutig und frech. Im Kern sagt er: Arbeit ist mehr als das Absitzen von Zeit. Scherz beiseite: Ganze Heerscharen von Angestellten joggen, machen Jazzgymnastik, besuchen Tanzkurse, bevölkern Fitness-Studios und Schwimmbäder. Dahinter steckt nicht nur Gesundheitsbewusstein, eine Mode oder Geschäftssinn, sondern auch der elementare Wunsch nach Bewegung. Manche fühlen den so unbändig, dass sie zu unchristlich früher Stunde aufstehen. Ich habe den Verdacht, dass man das mit allen Appellen an die Vernunft nicht erreichen könnte.

      Bei mir ginge das jedenfalls nicht. Wie war das noch: Schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl…? Auch im Spaß wiederhole ich solche Parolen aus der Nazizeit nicht gern. Meine Abneigung gegen jeden Drill sitzt tief. Ich mache lieber lange, ausgedehnte Spaziergänge und Wanderungen, bei jedem Wetter, mit weit ausholenden, kräftigen Schritten. Der Kopf wird klar, die Lunge weitet sich, die Beine sind dankbar für die Bewegung. Der Mensch ist zum Laufen geboren. Ganz gleich, was man tut und wie man sich bewegt: „Die Bewegung des Leibes und der Glieder ist dem Leibe und der Seele gesund“, wussten schon die Gebrüder Grimm.

      Dabei geht es nicht um sportliche Höchstleistungen. Es ist die Freude an der ungebundenen, spielerischen Bewegung, die mich und andere treibt. Wäre es anders, könnte ich mir auch nicht vorstellen, warum gerade so viele ältere Menschen sich mit einem Genuss bewegen, der früher als würdelos gegolten hätte. Ein ziemlich dummes Sprichwort darüber ist „Tanz und Spiel will ein Ziel“. Das Wesen von Tanz und Spiel ist doch gerade in Tanz und Spiel selbst zu suchen! Das Freie, das Zweckfreie, macht ja den tiefsten Grund der Freude daran aus, das Einfache, das Archaische.

      Die Bewegung ist uns in die Wiege gelegt – auch das Wort „Wiege“ ist noch darin enthalten. Auch der „Weg“ und das Schwingen der Waage. Wenn ich andere Menschen frage, warum sie sich gern bewegen, bekommt ich die verschiedensten Antworten. Zwei Dinge kommen aber fast immer dabei vor: Der Spaß am freien Spiel und ein gutes, oft neues Körpergefühl durch das Beherrschen oder Überwinden von Widerständen. Das kann Kraft bedeuten, Sicherheit, aber auch Grazie, Schönheit, Ebenmaß, Ästhetik.

      Alle großen Dinge sind einfach. Aber nicht alle einfachen Dinge sind leicht zu erklären. Vielleicht kann man sich auch mit dem Genuss begnügen, den sie bringen. Der russische Schriftsteller Vissarion Belinski hat schon im vorigen Jahrhundert geschrieben: „Alles Vernünftige hat seinen Ausgangspunkt und sein Ziel: Die Bewegung ist die Äußerung des Lebens, das Ziel ist der Sinn des Lebens.“

      Die körperliche Bestätigung dafür, dass ich lebe, gehört einfach zu meiner Lebensfreude. Wer das versteht, begreift auch, warum Menschen sogar im Rollstuhl Sport treiben. Leben ist Bewegung. Wer sich nicht mehr bewegt, ist tot.

      Armut und Würde

       Die Würde des Menschen ist unantastbar

      (Artikel 1 Gundgesetz)

      „Nicht wer wenig hat ist arm, sondern wer viel wünscht“, schrieb der römische Philosoph Seneca. Passt dieser Gedanke noch in die Konsumwelt von heute? Werbung und Medien wecken ständig neue Wünsche. Auch Erziehung und kulturelle Tradition erzeugen den Wunsch, bestimmten Vorbildern zu genügen. Welche dieser Wünsche sind berechtigt und welche nicht? Der Staat hat ebenfalls Wünsche. Seine Bürger sollen auf eigenen Füßen stehen, nach Möglichkeit Steuern zahlen und am öffentlichen Leben teilnehmen durch ihr Engagement im Ehrenamt, in Kultur und in politischen Parteien. Was aber, wenn immer mehr Menschen das möchten, aber gar nicht können, weil ihre Arbeit zu wenig einbringt oder weil sie krank sind?

      Als arm gilt, wer lebenswichtige Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann: Körperliche Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlaf und Gesundheit; geistige Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Anerkennung und Teilhabe an kulturellen und politischen Leben. Wenn das Einkommen unterhalb der sogenannten Armutsgrenze liegt, ist die freie Gestaltung des Lebens unmöglich. Deshalb haben Armut und Würde viel miteinander zu tun. Der Obdachlose, der im Pappkarton schläft, ist in dieser Entscheidung nicht mehr frei.

      Noch vor 200 Jahren galt Armut grundsätzlich nicht als gesellschaftlich verursacht, sondern als persönlich verschuldet oder gar "gottgewollt". Mit der Industrialisierung wuchs in Europa

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