Nachtschwärmer Online. Jules van der Ley
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Nachtschwärmer Online - Jules van der Ley страница 6
Ist doch jeck, oder?
Ich höre was, die Diesellok! Der Tunnel wirkt wie ein Schalltrichter. Komm, wir halten uns die Ohren zu und ducken uns, bis die der Güterzug vorbei ist.
…
Uff, das wäre überstanden, und ich glaube, wir leben noch. Das war eine wilde Musik aus Motorkrach und Eisen, nicht wahr? Mir singen die Ohren, als wäre mein Kopf mal ein Amboss gewesen.
Komm, wir fahren, rollen gemächlich auf den Tunnel zu und lassen die Elefanten einfach Dickhäuter sein. Das ist Journalistenschnack. Schreibst du zuerst „Elefant“, dann sollst du bei der nächsten Erwähnung ein anderes Wort verwenden. Ein Synonym. Jetzt sag mir mal ein gescheites Synonym zu „Elefant“? Das ist doch albern, oder? Irgendeiner hat sich mal den „Dickhäuter“ rausgewrungen, und jetzt lernt jeder drittklassige Zeitungsschreiber, dass man statt Elefant Dickhäuter schreiben soll. Einen Radfahrer nennen sie bei der zweiten Erwähnung „Pedaltreter“, danach „Pedalritter“. Eigentlich ist Pedaltreter sachlich falsch. Autofahrer treten das Kupplungs-, das Brems-, das Gaspedal, Radfahrer treten eine Kurbel.
„Pedaltreter bei einem Unfall ums Leben gekommen. Drahtesel verbogen.“
Möchtest du so blöd sterben? Ich nicht.
Der Sohn des Bürgermeisters heißt beim zweiten Erwähnen „Sprössling“. Es ist Schreiben ohne Denken, oder?
Genug der Klugscheißerei. Ich könnte dir noch erzählen, dass auf der deutschen Seite des Drielandenpunts ein Nudistencamp liegt. Ob die jetzt da oben nackt in ihren Holzhäusern sitzen und haben nur eine warme Mütze auf dem Kopf?
Da habe ich es doch lieber umgekehrt. Bin gut eingepackt und habe den Kopf frei. Ach, du bist von meinem Gerede ganz schläfrig geworden? Dann lehne einfach den Kopf bei mir an. Es ist ganz harmlos, versteht sich.
Halt, du nicht! Du bist ein Mann. Stell dir eine Frau neben dir vor. Wenn du darauf stehst, meine ich. Tut mir leid, falls du zufällig auf Männer stehst, - in meinem Alter will ich nicht mehr umschulen.
Wir rollen jetzt auf das Tunnelmundloch zu. Willst du eine lange Durchfahrt oder eine verkürzte? Komm, nimm die verkürzte. Wir sehen sowieso nichts.
…
Das Tunnelende. Wir flutschen raus aus dem Kohlensack, ein Glück. So ein Wald bei Nacht ist immer noch heller als ein Tunnel.
Bist du eigentlich wirklich schon müde? Ich habe den Eindruck, oder bin ich es selbst?
Wir halten jedenfalls gleich. Bald lichtet sich der Wald, und auf der rechten Seite tauchen die Lichter von Moresnet auf.
Vielleicht sollten wir zuerst ins Café gehen, damit dir wieder warm wird. Die Müdigkeit kühlt doch ziemlich aus, nicht wahr?
Ah, die Tür ist noch auf. Wir gehen einfach hinein. Wir sind die einzigen Gäste. Kein Wunder, denn in Moresnet werden schon früh die Bürgersteige hochgeklappt.
Gleich kommt Madame Grosch und fragt uns, was wir möchten. Ich hoffe, du kannst Esperanto. Na, hör mal, du als Cosmopolitin! Komm, wir suchen uns einen Platz am Fenster. Guck mal stiekum, Madame Grosch hat schon die Pantoffeln an. Sie wollte eigentlich ins Bett.
Da gehören wir zwei auch hin. Wir trinken unseren Tee, und dann gehst du in deins und ich in meins.
Gute Nacht, meine Liebe.
Madonna mit Schraubverschluss
Glaubst du eigentlich, dass es draußen angenehmer ist, wenn der Wind aus Westen kommt?
Guck mal zum Fenster hinaus. In welche Richtung neigen sich die Bäume vom Moresneter Kalvarienberg? Nicht zu sehen bei der Dunkelheit?
Sag mal, Madame Grosch wird gleich kommen und uns unwirsch fragen, ob wir etwa noch was trinken wollen. Sie war ja schon auf dem Sprung ins Bett, als wir zur Tür reinkamen.
Wir könnten eigentlich weiter. Nur, dass uns draußen natürlich bittere Kälte erwartet. Das schreckt ein bisschen ab. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Wind wirklich auf West gedreht hat. Der Mond scheint taghell, siehst du das?
Wenn der Mond so klar und hell am Himmel steht, können wir eigentlich keinen Westwind haben. Denn der treibt vom Atlantik immer wieder Wolken heran. Vielleicht kommt der Wind aus Ost oder Süd. Dann ist es zwar kalt, doch die Kälte ist trocken. Die Kälte, die der Westwind macht, die geht dir leider durch alles durch. Da hilft auch deine dicke Jacke nicht. Bei Westwind in dieser Jahreszeit, da musst du dich nicht warm anziehen. Nein, du musst dich ganz warm anziehen.
Weißt du, was wirklich witzig ist? Man hat ja bei diesem Wetter manchmal Schwellenangst, steht in der warmen Stube, hinter einem bullert der Ofen von Madame Grosch und man denkt: Was, da soll ich jetzt hinaus? Und dann auch noch in finstrer Nacht? Ja, aber mit der Schwellenangst hat es etwas Seltsames. Sie dauert nicht eine Sekunde lang, dann bist du schon drüber. Siehst du.
Was dir von drinnen im Café noch kalt und unwirtlich vorkam, ist jetzt eine schöne klare Nacht. Der Wind hat nachgelassen. Wir haben uns bei Madame Grosch gestärkt, sind warm angezogen, die Luft riecht gut, was willst du noch mehr.
Irgendwie, findest du das nicht auch, irgendwie riecht es hier immer ein bisschen nach Fritten. Der Geruch hängt so leise süßlich in der Luft. Wie ein feines Parfum, das man aber selber nicht unbedingt haben möchte.
Na ja, wir sind in Belgien. Es ist schon ein bisschen exotisch, dieses Land. Du merkst es an vielen Dingen. Nur ein Beispiel, - wir überqueren hier die Straße – ein Beispiel: Wenn du an der Kapelle entlang nach Südosten schaust, dann liegt hinter den bunt gewürfelten Häusern aus Bruchsteinen ein Tal. Und rate mal, wer da seinen Reiterhof hat!
Kannst dich an „Heitschi bummbeitschi…“ erinnern? Nein, du warst vielleicht noch zu jung, als Heintje das sang. Allerdings sieht man die alten Aufnahmen immer wieder mal im Fernsehen. Heintje heißt heute Hein Simons. Und Hein Simons hat hinter Moresnet einen allseits beliebten Reiterhof. Ich will jetzt nichts Falsches sagen. Denn ich habe schon lange nichts mehr darüber gehört. Weil in den letzten Jahren meine Ohren ein bisschen zu gewesen sind, weißt du?
Früher fuhr ich hier oft mit dem Rennrad lang. Im Hellen natürlich. Da sah ich manchmal ganze Busladungen frommer Frauen. Die Busse kamen aus dem Ruhrgebiet und werweißwo her. Die Frauen gingen zuerst auf den Kalvarienberg. Liefen ihn ab – sag, hättest du dazu Lust? So im Dunklen auf einem Kalvarienberg? Das hast du bestimmt noch nicht oft gemacht. Ich will dich heute nämlich nicht auf den schrecklich hohen Viadukt schleppen. Du bist mir eigentlich zu schade, da werde ich dich nicht auf eine eisige Brücke fahren! Du würdest ja zweimal frieren. Einmal weil der Wind dort oben immer heftig weht, und zum anderen, weil du dich vor der Höhe fürchtest.
Und wer weiß, ob der Beamte aus Welkenraeth mir überhaupt die Wahrheit gesagt hat, als ich ihn heute Morgen telefonisch über den Zustand der Brücke befragt habe. Man darf die Leute hier nicht zu wörtlich nehmen. Sie sind oft ein wenig phlegmatisch. Das macht sie andererseits liebenswert, je nach dem, wie sich der Phlegmatismus bei einem auswirkt.
Also, atmosphärisch gesehen, sind mir die Wallonen fremder als die Niederländer oder die Flamen.