Nachtschwärmer Online. Jules van der Ley
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Ja doch, du brauchst mich nicht zu schubsen, ich erzähle noch von den Busladungen frommer Frauen. Also zuerst zogen sie in Rotten, Rudeln, Haufen oder freundlichen Gruppen über den Moresneter Kalvarienberg. Dann runter in die Kapelle. Geld raus, Kerzen aufgestellt.
„Sollen wir noch ins Café von Frau Grosch?“
„Ne, dat jeht nit, dä Busfahrer wartet!“
Wenn der Busfahrer sie alle wieder eingeladen hatte, fuhr er die Frauen zu Heintjes Reiterhof. Weil Heintje einst so schön „Mama!“ gesungen hat. Man muss das verstehen, viele Mamas werden vermutlich zu wenig gedrückt zu Hause, so wie ich dich jetzt drücke.
Willst du wirklich auf den Kalvarienberg? Weißt du überhaupt, was das ist? Ich bin ein abgefallener Katholik. Deshalb weiß ich, wozu man ihn hat. Ja ja, wenn du es selbst weißt, …
Jedenfalls, - komm, wir gehen links rum! – jedenfalls finde ich die Grotten auf dem Moresneter Kalvarienberg ziemlich schräg. Du warst sicher schon mal in einem Märchenwald, wo solche Figurengruppen aus Kunstharz in typischen Situationen stehen.
So machen die das hier. Die Mutter Maria zum Beispiel – du weißt ja, in Banneux gibt es die Mutter Gottes aus Plastik, mit nem Schraubverschluss oben auf dem Kopf. Da kannst du dann das heilige Quellwasser einfüllen. Und immer, wenn du ein bisschen heilig sein willst, drehst die Kappe von der Mutter Gottes ab und trinkst aus ihr.
So eine Plastikmuttergottes kannst du hier auch finden, allerdings ohne Schraubverschluss. Und natürlich das ganze Volk, das zu einem Kreuzweg gehört. Man will sich alles handfest vorstellen, egal wie kitschig das wirkt. So sind die Belgier eben.
Gute Nacht, meine Liebe!
Verehrte Kundschaft,
wegen anhaltenden Schneefalls und zunehmender Vereisung war das Befahren der Strecke Aachen-West - Moresnet - Plombiers (Bleiberg) und so weiter vergangene Nacht nicht möglich, - wobei Plombieres keinen Bahnhof hat, sondern nur Erwähnung findet, weil sich oberhalb des Ortes eine stählerne Brücke befindet, die sich auf mächtige gemauerte Pfeiler stützt, die ihrerseits so unfassbar hoch sind, dass es ein unverantwortliches Risiko wäre, die Strecke mit Ihnen an der Seite zu befahren. Denn dort oben ist nicht nur die Vereisung der Strecke schrecklich, es bläst auch leider ein sibirischer Wind.
Aus diesem Grunde bieten wir Ihnen hier lediglich noch einige Minuten Wortgeplänkel, das, wenn Sie viel Phantasie haben, so ähnlich klingen mag wie das leise Rattern der Räder unserer allseits beliebten Nachtdraisine. Sie wissen schon, an den Nahtstellen macht es tocktock. Es ist fast das gleiche Geräusch wie das einer Tastatur. Allerdings geben wir zu bedenken, dass unser Tastaturbediener einen deutlich schnelleren Rhythmus hat. Falls Sie in diesem Text Tippfehler finden, dann denken Sie daran, es liegt am Winter. Vereisung der Tasten, nichts zu machen.
Selbst im innerstädtischen Bereich, (wobei sie das Wort "innerstädtisch" nicht ganz ernst nehmen dürfen und das Wort "Bereich" eigentlich unnötig ist), also selbst innerhalb der Stadt ist die Strecke nicht sicher.
Wir haben die örtlichen Verhältnisse hochgerechnet, das heißt, wir haben uns nicht per Augenschein davon überzeugen können, wie es nun wirklich ist dort oben auf der zugigen Brücke hoch über dem Flüsschen Geule. Die Geule ist zugefroren, in jedem Fall, doch ein Rinnsal ist sie nicht. Nur, wenn Sie jetzt hoch oben auf der Draisine säßen und würden einen Blick hinab werfen ins Tal, was wiederum nur ginge, wenn Sie absolut schwindelfrei sind; bei einem solch gewagten Blick hinab ins Tal hätten Sie den fälschlichen Eindruck, dass die Geule ein eisiges Rinnsal ist.
Sie hätten jedoch wahrscheinlich kaum den Mut, sich über den Rand der Draisine zu lehnen; es sei denn, man hielte Ihre Hand. Nicht allein wegen der ungewöhnlichen Höhe der Brücke, sondern auch wegen der eisigen Böen aus östlichen Richtungen, die Sie hinabzufegen drohen.
Schade, es hätte dramatisch oder immerhin romantisch werden können, wenn die örtliche Bahnverwaltung die Fahrt nicht untersagt hätte.
P.S.: Inzwischen hat uns die belgisch hoheitliche Bahnverwaltung für die Provinz Lüttich mitgeteilt, dass man in spätestens ein zwei Monaten die verwaltungsmäßigen Vorbereitungen getroffen haben wird, damit die landesweite Ausschreibung über die Vergabe der Enteisungsarbeiten auf der Brücke von Plombieres zügig vorangetrieben werden könne.
Lediglich die Zustimmung der Zentralbehörde in Brüssel zu dem eigens für diesen Notfall entwickelten 7-seitigen Formblatt in den drei Amtssprachen des belgischen Königreiches müsse noch abgewartet werden.
Der König aller Belgen werde danach unverzüglich siegeln.
P.P.S.: Sollten sich jedoch die Witterungsverhältnisse rasch ändern, wenn der Wind zum Beispiel auf West umschlagen würde, wodurch er höhere Temperaturen brächte, da er von der nahen Nordsee und dem Golfstrom darin aufgewärmt wird, dann jedoch, bei laueren Winden, würden die Ausschreibungsvorbereitungen unverzüglich gestoppt. Das Siegel des Königs würde man aus der Vorlage entfernen und in einen Panzerschrank legen, wo es fortan unberührt verrotten dürfe. Also, in diesem durchaus wünschenswerten Fall werde die Strecke wieder frei gegeben, ohne dass man die Enteisungsarbeiten durchführt.
Das Befahren geschähe dann auf eigene Verantwortung.
Heute mit Kerzenlicht
Eigentlich bin ich ziemlich froh, dass der Viadukt von Plombieres gestern vereist war. Da muss es unwirtlich gewesen sein, bei der eisigen Kälte und den heftigen Eiswinden aus Ost. Unter einem das Nichts, den Wind um die Ohren, da wäre ich dir ein feiner Zugführer gewesen, hätte ich dich hingezerrt.
Jetzt sind wir einmal im Dunkeln über den Kalvarienberg gelaufen, und drüben wartet schon die Kapelle. Hör mal, guck dir die Kreuzwegsstationen bitte im Hellen an. Man sieht jetzt sowieso nicht viel. Das meiste müsste ich dir beschreiben. Und dann wunderst du dich nachher, wenn du alles im Hellen besiehst, über meine dichterische Freiheit. Ein bisschen musst du mich nämlich auch erfinden lassen, sonst könntest du ja gleich mit einem Reporter gehen. Der würde es dir dann korrekt erklären, doch ob Zauber drin ist, weiß du dann nicht.
Madame Grosch da drüben in ihrem Café, sie heißt natürlich nicht wirklich Grosch. Ich kann die arme Frau nicht einfach so vorführen, doch dass sie in Schluppen serviert, das habe ich wirklich mit eigenen Augen gesehen. In dem Café war ich natürlich auch schon mal, zusammen mit einer guten Freundin. Die habe ich aber aus den Augen verloren. Irgendwie schade. War manchmal schön mit ihr.
Ja, klar, jetzt sind wir zwei hier und weißt du, was ich jetzt tue? Wir sind doch im Augenblick ziemlich allein, oder? Sieht uns ja keiner. Da könnte ich eigentlich mal eben aus der Rolle fallen.
Nicht, was du jetzt denkst. Nein, ich drehe mich jetzt einfach mal von dir weg. Darf ich das? Geht das für einen Moment? Kannst dir ja die Ohren zu halten.
Tastatur an Bildschirm:
Einige Verhaltensregeln während der Reise:
- Sind Sie zufällig ein guter Mann, der hier liest: bitte stellen Sie sich vor, Sie seien der Erzähler und suchen Sie sich als Begleiterin die Dame Ihres Herzens aus.
- Sind Sie jedoch eine schmucke Frau, dann halten Sie es einfach genauso, doch wenn Sie auf Männer stehen, dann eben umgekehrt.