Trojanische Pferde. Peter Schmidt

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Trojanische Pferde - Peter Schmidt

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ich einen Fritz Marten, der draußen in der Gartenstadt wohnte. Als mein Taxi vor seinem Haus hielt, bellte hinter der Hecke ein Hund, und eine schlampig gekleidete junge Frau rief mir zu, ich solle mit den Schwulen im Nachbarblock anbändeln, sonst werde sie ihren Bullterrier auf mich hetzen. Ich erkundigte mich, ob sie Marten heiße, und als sie das bejahte, ob ihr Mann zu Hause sei.

      “Sie wollen zu Fritz?”, fragte Sie. “Bitte entschuldigen Sie. Seitdem das neue Pissoir gegenüber gebaut wurde, treibt sich hier nur noch finsteres Gesindel herum.”

      Marten saß unter einem Mahagonischrank voller Schwimmtrophäen. Er schien so ziemlich alles gewonnen zu haben, was es in der Branche zu holen gab, außer den Olympiamedaillen. Inzwischen war er leicht verfettet und hatte ein ungesund rotes Gesicht. Er rückte nur zögernd mit seinem Wissen über Keißen junior heraus. Es schien ein paar Dinge in ihrer gemeinsamen Vergangenheit zu geben, die ihm peinlich waren.

      Erst als ich seine Frau bat, uns auf meine Kosten in der Gaststätte am Ende des Viertels etwas zu trinken zu besorgen, wurde er etwas redseliger. Er hatte Keißen junior in einem Internat kennengelernt, in das Keißen senior ihn gesteckt hatte, um ihn sich vom Halse zu schaffen. Alles, was Keißen an seinem Sohn interessierte, war einen ebenso asketischen und erfolgreichen Schwimmchampion aus ihm zu machen, wie er selbst einer gewesen war.

      “Es geht darum, mehr über den Tod eines ertrunkenen Mädchens herauszufinden. Und über ihre Schwester, die vielleicht ebenfalls ertrinken könnte.”

      Beim Wort “ertrunken” klappte Martens Unterkiefer herunter, als wenn ich einen unanständigen Witz gemacht hätte. Er sah mich auf eine merkwürdig starre Weise an, gefasst und zugleich peinlich berührt.

      “Ich möchte nicht, dass meine Frau von den alten Geschichten erfährt.”

      “Gab es Probleme mit Keißen junior?”

      “Probleme … nein. Na ja, wie man’s nimmt. Haben Sie schon mal jemanden ohne Probleme gesehen …? Ich glaube … also, wenn Sie mich so direkt fragen …”

      Die Art, wie er herumdruckste und meinem Blick auswich, gefiel mir nicht. So benahm sich nur jemand, der kein reines Gewissen hatte. Reines Gewissen relativ gesehen und was die schweren Verbrechen anbelangte, denn wir haben alle kein reines Gewissen – oder dürften zumindest keins haben bei all den hungrigen Mägen und klapperdürren Gespenstern in der Welt und unseren Fettbäuchen.

      Schon die Anhäufung von mehr Geld, als man in einem langen Leben vernünftigerweise verbrauchen kann, ist unmoralisch. Es ist unmoralisch, jetzt nicht sofort etwas dagegen zu unternehmen, und es ist unmoralisch, lang und breit darüber zu reden und danach auch nichts dagegen zu unternehmen. Wäre ich ein Moralapostel, würde ich vorschlagen:

       Erschießen wir uns gegenseitig! So bleibt das Verbrechen unter uns.

      Marten nahm die Flasche, die seine Frau auf meine Kosten besorgt hatte, aus der Papiertüte – irgendein mit Wasser und viel künstlichem Aroma auf Trinkstärke herabgesetzter klarer Alkohol –, drehte den Verschluss ab und trank einen Schluck ohne Glas. Dabei blickte er verdrießlich zu seinem Schrank voller Schwimmtrophäen hinauf und murmelte etwas, das ich nicht verstand.

      “Sie wollen mir zu verstehen geben, es sei irgend etwas falsch gelaufen mit Keißen junior, und Sie würden’s sich ja gerne von der Seele reden, weil ich schon mal da bin? Aber so einfach geht das alles nicht?”

      “Robert war ziemlich unglücklich über die ehrgeizigen Pläne seines Vaters. Er ging ihm aus dem Wege. Keißen wollte immer nur Trophäen sehen. Was sonst noch in seinem Sohn vorging, hat ihn nie interessiert. Roberts Standardspruch, falls er sich überhaupt dazu herabließ, außerhalb der Schulstunden mit jemandem zu reden, war: ‘Hast du schon mal versucht, dir selbst beim Denken zuzusehen?’

      Wenn sie mich fragen, war Keißen junior chronisch depressiv.”

      “War oder ist?”

      “Er starb bei einem Autounfall. Sein Wagen rollte während einer Kanalüberfahrt von der Fähre und versank zwischen Plymouth und Cherbourg im Meer.”

      “Auch nicht der Tod, den sich ein Schwimmchampion wie er wünschen würde?”

      “Das Wasser schien ihn magisch anzuziehen, eine Art Hassliebe, glaube ich. Wir trainierten zusammen im Swimmingpool des Internats. Man kann nicht sagen, dass ihm das keinen Spaß gemacht hätte. Aber seine Laune besserte sich erst, als wir ein hübsches neues Spiel entdeckten …”

      Marten schwieg, weil seine Frau hereingekommen war. Sie nahm ein paar Gläser aus der Vitrine und stellte sie vor uns hin. Er wartete ab, bis sie wieder gegangen war und man sie in der Küche hantieren hörte …

      “Ich hab’s noch keinem Menschen anvertraut. Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.”

      “Wäre ich einer meiner gewitzten Kollegen in der Branche, würde ich sagen, jetzt ist die beste Gelegenheit dazu, es nachzuholen. Aber Sie können sicher sein, dass ich Verständnis für Ihre Skrupel habe, einen langjährigen Freund in die Pfanne zu hauen, obwohl er ja inzwischen tot ist, wie Sie selber sagen. In dem Fall will ich auch nicht weiter in Sie dringen”, erklärte ich und erhob mich probeweise ein paar Zentimeter von meinem Stuhl – aber nur soviel, dass er noch genügend Zeit hatte, mich daran zu hindern.

      “Nein, bleiben Sie ruhig sitzen”, sagte er. “Es ist nur … ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen.”

      “Lassen Sie sich Zeit. Ich hab’s nicht eilig.”

      “Meine Frau darf auf gar keinen Fall etwas davon erfahren”, wiederholte er.

      “Warum sollte sie?”

      “Das wäre sehr unangenehm für mich. Sie ist ziemlich empfindlich, empfindlicher als andere Frauen.”

      “Sie können sicher sein, dass ich alles, was Sie sagen, vertraulich behandeln werde. Mord mal ausgenommen, weil uns das eine Menge Ärger einbringen könnte.”

      “Nein, als Mord würde ich es nicht bezeichnen”, sagte er. “Es war kein Mensch, sondern ein Hund. Der Hund des Hausmeisters. Er kam oft zu uns in den Pool gesprungen. Wir haben ihn beim Tauchen an den Hinterpfoten unter Wasser gezogen, bis er … ja, bis er ertrunken war …” Marten machte eine Pause. “Ich fühlte mich ziemlich elend danach. Es war wie ein Rausch – der strampelnde Hund, der unter Wasser grässlich jaulte, die Luftblasen … Robert schien förmlich aufzuleben. Von dem Tag an war er wie verwandelt.”

      “Sie wollen sagen, er hatte so etwas wie seine Passion entdeckt?”

      “Klingt scheußlich, nicht wahr? Aber das war es wohl, eine Passion. Wir vergruben die Hundeleiche im Internatsgarten. Ich schwor mir, so etwas nie wieder zu tun. Der Hausmeister schaffte sich einen zweiten Hund an. Er kam ein paar Wochen später auf dieselbe Weise um. Diesmal hatte Robert sich nicht mal die Mühe gemacht, seine Leiche zu vergraben. Er ließ das Tier einfach im Swimmingpool liegen.”

      “Sie meinen, zu dem Zeitpunkt hatte er schon nicht mehr alle Tassen im Schrank?”

      “Seine Leistungen in der Schule wurden immer besser, und er gewann seine erste Trophäe. Dadurch verbesserte sich auch die Beziehung zu seinem Vater. Ich stellte ihn wegen des Hundes zur Rede, aber er lachte nur und behauptete, er habe nichts damit zu tun. Robert wurde mir immer unheimlicher, weil er einen seltsamen Ehrgeiz entwickelte. Er trainierte seine Lunge, bis er minutenlang unter Wasser auf dem Boden des Pools sitzen konnte, mit

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