Der Gärtner war der Mörder. Wolfgang Schneider
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„Super Sound, oder? Des is amal richtig erdiger Rock! Is aus den siebzigern, weißt schon. Des war'n noch Zeiten, wo man anständige Musik g'macht hat und nicht so einen Elektro-Scheiß wie'st ihn heutezutage überall kriegst!“ Sedlmeyer war da überwiegend anderer Ansicht. Was den sogenannten Elektro-Scheiß anbelangte, hatte der Mann in seinen Augen nicht unrecht – er selbst konnte damit auch nichts anfangen – aber anständige Musik war das hier deswegen noch lange nicht. Der Rotnasige wartete nicht auf eine Antwort, er führte stattdessen seine Erläuterungen fort:
„Der DJ is a Spezi von mir, der legt hier öfters auf.“ Dabei wandte er sich nach rechts, hob seine Flasche und prostete dem DJ über den Tresen zu: „Prost Ernstl!“. Dann trank er mit einem zügigen Schluck sein Bier leer und suchte den Blick der Bedienung. Die sah ihn mit der leeren Flasche herum wedeln, ein Blickkontakt genügte und sie hatte ihm eine neue hingestellt. Sedlmeyer war beeindruckt, wie effizient das Zusammenspiel zwischen Gast, Bier und Bedienung in dieser Konstellation funktionierte; es hatte sicherlich einiges an Einarbeitung und praktischer Übung bedurft, bis die Dinge sich so gut eingespielt hatten. Er beschloss, auf die Toilette zu gehen. Auf dem Weg dorthin fiel ihm ein kleines Regal auf, in dem die üblichen Kneipen-lifestyle-Postkarten aufgereiht waren. Eine Karte stach ihm ins Auge: ein Foto eines ungemachten Bettes mit der Überschrift „Lieber auf Latten als unter Bohlen“. Er schüttelte den Kopf und ging auf die Toilette. Als er wieder zurück kam, unterhielt sich sein rotnasiger Sitznachbar wieder mit dessen beiden Mitstreitern zur Rechten. Sedlmeyer nippte an seinem Bier und versuchte erneut, DJ Ernstl's Musikauswahl etwas abzugewinnen. Aber da war nichts zu machen. Jetzt bewegte sich das ganze bedrohlich in die Softrock-Ecke: garantiert auch nicht seine Tasse Tee. Er nahm sich vor, beim nächsten Besuch in seinem Lieblings-Plattenladen den dortigen Verkäufer um einen neuen Kneipen-Tip zu bitten. Er sinnierte eine Weile hin und her, dann setzte plötzlich abrupt die Musik aus. Er sah zum DJ hinüber; der hob entschuldigend beide Hände und machte sich danach konzentriert an seiner Anlage zu schaffen. Der Rotnasige neben ihm rief lautstark nach rechts:
„Mei Ernstl, was machst'n scho wieder! Hast an richtigen Schalter wieder ned g'funden!“. Er lachte herzhaft. Dann wandte er sich der Bedienung zu:
„Du Kathi, kannst bitte dem Herrn DJ a mal an Schnaps bringen! Sonst wird des nix mehr mit dem! Und bringst mir auch gleich noch einen, bittschön! An Obstler wenn'st hast, des wär lieb, dank dir schön.“ Kurze Zeit später hatte er seinen Schnaps vor der Nase stehen und prostete quer über den Tresen dem DJ zu:
„Prost Ernstl!“ Dann kippte er ihn in einem Zug weg und wandte sich wieder an Sedlmeyer:
„Des da hinten, des is der Ernstl, also quasi der DJ.“ Sedlmeyer nickte.
„Den Ernstl kenn ich noch von früher her, weißt schon, in den achtzigern war des, da ham mir mal zusammen in einer Band gespielt, der Ernstl und ich!“ Er sah Sedlmeyer bedeutungsvoll an. Dann fuhr er fort: „Und ich sag's dir gleich, wie's is: des war'n noch andere Zeiten damals!“ Dieser Satz leuchtete Sedlmeyer sofort ein: Fokuhila-Frisuren, neongelbe Frottee-Schweißbänder, Stretch-Jeans, Björn Borg und Nena, die achtziger, wie sie manche am liebsten aus den Geschichtsbüchern streichen würden. Der Rotnasige nahm einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche und sagte:
„Des war a super Zeit, war des! Weißt, ich damals an den Drums, in unserer Band, und der Ernstl am Bass. Normalerweise bist ja als Bassist immer eher im Hintergrund, aber beim Ernstl war des was ganz was anderes. Der war so voll im flow drin, weiß schon, und fast die gesamten Songs hat er geschrieben damals, der war sozusagen das brain in unserer Band!“ Dabei lachte er amüsiert. „Und auf der Bühne, mei ich sag's dir! Da war er der Star, der Ernstl, obwohl er nur Bassist war! Prost!“ Sie stießen erneut an. Dann sagte Sedlmeyer:
„Es gibt schon einige Bassisten, die innerhalb der Band eine tragende Rolle spielen, so ungewöhnlich ist das nicht.“
„Ah geh!“
„Ja, Billy Sheehan zum Beispiel.“
„Kenn ich ned.“
„Der hat schon mit vielen von den ganz großen zusammen gespielt: Tony McAlpine, Steve Vai, David Lee Roth...“
„Ah so, ja, den Steve Vai, den hab ich schon mal g'hört. Des is irgendwas mit Hardrock oder so.“
„Ich würde es eher Heavy-Metal nennen“, präzisierte Sedlmeyer. Das brachte den Rotnasigen auf eine Idee und er war wieder in seinem Element:
„Du, weißt was! Ich hab einen Spezi, der war mal Roadie bei den Scorpions! Ohne Scheiß, der hat die komplette Tour damals mit gemacht von denen, mit allem drum und dran, der war voll im Geschäft mit denen! Und weißt was! Ich verrat dir jetzt was...“ Dabei neigte er sich verschwörerisch zu Sedlmeyer hinüber und sagte mit gesenkter Stimme:
„Mein Spezi, also der, wo mal Roadie war bei den Scorpions... Der hat eine original Flying-V von denen! Vom Rudolf Schenker persönlich!!!“ Die sogenannte Flying-V war eine legendäre E-Gitarre von Gibson, deutlich erkennbar an ihrem pfeilförmigen Korpus und besonders beliebt bei Rock-Bands der härteren Gangart – und unter anderem Markenzeichen der Scorpions.
„Der mit der Flying-V war aber eher der Michael Schenker“ korrigierte Sedlmeyer.
„Ja, da kannst recht haben“, sagte der Rotnasige, „aber die Gitarre ist jedenfalls von denen. Da sagst nix mehr, oder?“ Sedlmeyers Bewunderung hielt sich in Grenzen.
„Ich weiß nicht recht... Die Scorpions sind nicht so meine Baustelle, was die machen, ist mir zu gewollt.“
„Ja ich hab 'dacht, du bist a alter Rocker!“ Dabei grinste er kumpelhaft, „was findst'n du nachad guad?“
„Pantera zum Beispiel, oder Steeler,...“ So, als ob er die Antwort gar nicht gehört hätte, fuhr der Rotnasige fort:
„Ich steh ja total auf die Seventies, weißt schon. So mit erdigem Gitarren-Sound und so. Weißt, bei mir muss des a ehrliche Musik sein, ned so verkünstelt. Ich bin quasi ein ehrlicher Mensch, da brauch ich auch a ehrliche Musik, weißt schon.“ Er lachte herzhaft, offenkundig sehr zufrieden mit sich selbst. Dann fuhr er fort:
„Du, weißt was! Jetzt verzähl ich dir a mal a G'schicht! Seiner Zeit, damals mit unserer Band, also der Ernstl und ich, mir hätt'n fast a mal in England g'spielt! Weißt warum? Ich kenn einen, a Spezi von mir, dem sei Schwägerin, also die kannte damals die Königin von England! Ich verzähl dir keinen Scheiß!“ Sedlmeyer blickte ihn stirnrunzelnd an. Dann sagte er:
„Ja steht denn die Königin von England auch auf erdigen Rock?“
„Weißt, des wär' jetzt nicht direkt bei der Königin selber g'wesen. Aber ohne Scheiß, mir hätten damals fast a Konzert in England g'habt. Mir ham ja auch schon immer englische Texte gesungen, weißt schon, heute zutage singen's ja alle auf deutsch, des passt doch überhaupt ned zamm!“ Dann wandte er sich wieder der Bedienung zu:
„Du Kathi, bringst mir noch a Halbe bitte? Des wär lieb von dir. Und sag bitte dem Ernstl, er soll a mal was von Pink Floyd auflegen!“ Pink Floyd. Die hatten zwar böse Ausrutscher in die Untiefen des indiskutablen Weichspül-Rock auf dem Kerbholz, wie Sedlmeyer fand, aber er konnte sich ihrer suggestiven musikalischen Genialität dennoch nicht entziehen. Besonders die frühen Alben hatte er schon immer faszinierend gefunden; es widersprach zwar seinem Credo, außer Heavy-Metal nicht viel auf dieser Welt vorzufinden, was musikalisch bemerkenswert