Die schönsten Augen nördlich der Alpen. Jules van der Ley

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Die schönsten Augen nördlich der Alpen - Jules van der Ley

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      „Rotzwichsgelb.“

      „Dass so schöne Lippen derart hässliche Wörter formen können, hätte ich nie gedacht.“

      „O, ich kenne noch andere! Was halten Sie von ‚Geschlechtsorgananomalien’? Darüber haben wir uns gestern noch in der Sauna unterhalten, als ein wirklich bizarrer Kerl vorbeikam.“

      „Brrr! Ach, wissen Sie was? Lassen wir das mit kürschnerrot. Ich will dann lieber doch keinen Verkehrsunfall aquarellieren. Mir ist grad ein bisschen schlecht.“

      Neulich in meinem Schlafzimmer

      Weil ich keine Läden an den Fenstern habe, ist es in meinem Schlafzimmer nicht stockdunkel, sondern die Dunkelheit hüllt mich in ein sanftes Tuch, leicht, duftig und transparent, so dass immer noch schemenhaft etwas zu sehen ist, solange ich die Augen offen halte. Neulich sah ich einen Schatten an der Zimmerdecke.

      Ich dachte: „Hören Sie mal, Herr Nachbar, das geht aber nicht, dass Sie Ihren Schatten durch meine Decke hängen lassen.“

      „Ja, was kann ich denn dafür? Der ist eben so schwer. Kommen Sie mal in meine Situation, dann ist ihr Schatten auch schwer. Die werden nämlich immer schwerer und sacken dann durch.“

      „Ach, und Sie sind ihn los? Auf meine Kosten verunzieren Sie meine makellose Zimmerdecke. Diese fatalistische Haltung ziemt sich nicht. Was würden Sie sagen, wenn Ihr Obernachbar seinen Müll einfach vor Ihre Wohnungstür stellen würde?“

      „Meine schweren Gedanken sind kein Müll.“

      „Aber es sind Ihre schweren Gedanken. Und die haben nicht durch meine Zimmerdecke zu hängen.“

      „Bitte schimpfen Sie nicht mit mir. Das macht mir großen Kummer. Ich habe doch schon genug davon. Erst heute hat mich einer nicht richtig zurück gegrüßt, sondern hat gesagt, er würde mich gar nicht kennen. Mehrmals habe ich ihn wieder gesehen, und jedes Mal hat er so komisch gegrinst, als würde er denken, da kommt wieder der Idiot, der mich zu kennen glaubt.“

      „Sie sind nicht aufrichtig und nennen mir nicht die wahre Ursache Ihres schweren Schattens. An guten Tagen würden Sie über den Vorfall schmunzeln.“

      „Gute Tage?“

      „Ja, die hat jeder. Manchen stehen sie gar nicht zu, aber man hat sie ab und zu. Seneca würde sagen, dass Ihre Bilanz nicht stimmt. Sie erwarten zuviel, achten nicht, was da ist, sondern blicken neidvoll auf das, was Sie nicht bekommen können. Damit machen Sie sich den Tag kaputt. Und bei mir hängt mitten in der Nacht Ihr Schatten an der Decke. Holen Sie ihn rauf. Sie werden spüren, er ist ganz leicht. Denn das ist die ganze Kunst: das Schwere leicht und das Leichte schwer zu nehmen.“

      „Das Leichte schwer?“

      „Ja, legen Sie Ihr Augenmerk auf das Leichte. Geben Sie den kleinen, erfreulichen, zuweilen ulkigen Dingen Bedeutung.“

      „Hallo, Herr Unternachbar!“

      „Ja?“

      „Ich glaube, Sie reden im Schlaf.“

      Kellerassel verstößt gegen intergalaktisches Recht

      Es hat geregnet. Ein schwerer Landregen ist niedergegangen. Im Hof zwischen den feuchten Fliesen kriecht mit provozierender Langsamkeit eine Assel. Die Abmessungen einer Asselwelt zugrundegelegt, betrachte ich sie aus großer Höhe, derweil ich meinen Fahrradsattel trocken wische. Weil ich so wenig über Asseln weiß und weil sie sich so seltsam stoisch bewegt auf ihren kaum sichtbaren sieben Beinpaaren, stelle ich mir vor, die Assel wäre das Raumschiff einer außerirdischen Spezies, eher noch das Landungsschiff, mit dem sie unsere Welt erkunden.

      Im Inneren, links und rechts an den Außenwänden entlang sitzen je sieben außerirdische Navigatoren in Reihe hintereinander je über einem Bein und steuern es per Joystick. Die fortgeschrittene Asseltechnik würde hier eine Automatisierung erlauben, aber die Außerirdischen steuern die Beine manuell, damit sie sich bei der Langsamkeit ihres Erkundungsfahrzeugs nicht tödlich langweilen. Außerdem trainieren sie die mentale telepathische Vernetzung, die allein es erlaubt, die Bewegungen von 14 Beine zu koordinieren. Telepathische Vernetzung ist nicht unproblematisch. Wenn alle geistig miteinander verbunden sind, reicht die verregnete schlechte Laune eines einzigen, um die gesamte Besatzung in bodenlosen Grimm zu stürzen. Man faucht sich telepathisch an, weil das fünfte Bein links mal wieder aus dem Takt ist, weshalb die angestrebte Vorwärtsbewegung stoppt. „Scheiße im Quadrat! So kommen wir hier nie mehr weg!“, rufen 13 Navigatoren entnervt im Chor und bringen die Beine nun völlig durcheinander.

      Aber was? Obwohl ich nur ganz friedlich mein Fahrrad vom Hof schieben will, hat man in mir einen Feind ausgemacht, und ohne sich um diplomatische Kontakte überhaupt zu bemühen, feuern die Asselianer mehrere Salven winziger Geschosse nach meinen Schuhen ab. Auslöser war ein Streit auf der Kommandobrücke. Der Asselkommandant hatte nach einem Kaffee verlangt. Sein persönlicher Referent brachte ihm eine volle Tasse mit den Worten: „Sieht nach Regen aus, Exzellenz!“ „Ja“, antwortete der Asselkommandant: „Aber wenn man genau hinschaut, merkt man doch, dass es Kaffee sein soll.“ Das wiederum erboste seinen ohnehin gereizten Referenten, dass er die volle Kaffeetasse in die Ecke schleuderte, leider in die Steuerungseinheit des Verteidigungssystems. Das hatte eine Fehlfunktion und meldete „ALARM! Feindliche Bedrohung durch zwei riesige Boote!“, weshalb quasi automatisch die Warnschüsse auf meine Schuhe abgegeben wurden.

      Es muss nicht zum ersten Mal zu derlei feindlichen Akten gekommen sein. Jedenfalls habe ich jetzt die Erklärung für den desolaten Zustand meiner Laufschuh. Was ich für die üblichen Verschleißspuren gehalten habe, kommt vom Alienbeschuss! Meine Herren! Ja, muss das denn sein? Das ist doch eindeutig ein schwerer Verstoß gegen intergalaktisches Recht. Man muss wohl den asselianischen Botschafter einbestellen.

      Wie ich beinah versehentlich gestorben wäre

      Es gab eine Zeit, da habe ich fast täglich mit einem Milchkaffee vor der Biobäckerei Doppelkorn gesessen, das bunte Treiben am Ende der Limmerstraße beobachtet, in mein Notizbuch geschrieben und geraucht. Aus dieser Zeit kenne ich einen kleingewachsenen Migranten, einen unglaublich freundlichen Mann, schon ein bisschen grauhaarig, der eine deutsche Freundin hat, die zwei Köpfe größer ist als er. Eine Weile hatten wir uns nicht gesehen. Ich war längere Zeit krank gewesen, hatte das Rauchen drangegeben und fuhr nicht mehr zu Doppelkorn, weil das Personal dort dauernd wechselte, so dass ich nicht mehr wie ein Stammkunde behandelt wurde, sondern man mich ansah, als wäre ich erst gestern von einem Planetensystem im Pferdekopfnebel eingewandert. Stattdessen sieht man mich jetzt fast täglich am Anfang der Limmerstraße, wo ich im Bio-Supermarkt das angebotene Mittagsmenü zu mir nehme, das aber meistens nur aus einer veganen Suppe besteht, genau richtig für einen, der nicht gerne zunehmen möchte. Hier werde ich immer bevorzugt behandelt und kann in Ruhe essen.

      Vorgestern gab es Minestrone, und wie ich die löffele, sehe ich den kleinen Migranten mit seinem Einkauf bei der Kasse stehen und bezahlen. Da ahne ich nichts Gutes und konzentriere mich auf die Suppe. Aber irgendwann drängt mich die Höflichkeit hinüberzuschauen, unsere Blicke treffen sich, ich winke zum Gruß ihm zu, glaube, meine Pflicht erfüllt zu haben, und in Ruhe weiter essen zu dürfen. Doch da ruft er: „Geht es Ihnen gut?!“ und erwischt mich mit einem Schluck Minestrone im Mund.

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