Indische Reisen. Ludwig Witzani
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So kochten die Emotionen auf beiden Seiten hoch, doch es war keine Lösung in Sicht. Ein Gerichtsverfahren folgte dem nächsten, und als ein Gerichtsurteil im Jahre 1992 endgültig entschied, dass alles beim Alten bleiben und die inzwischen fast verwaiste Moschee nicht abgerissen werden sollte, kam es zum Eklat. Ein schon vorher aus allen Teilen des Landes herangekarrter Hindumob stürmte am 6. Dezember 1992 die Moschee, schlug sie in kürzester Zeit kurz und klein und errichtete auf ihren Trümmern in aller Eile einen provisorischen Schrein, der als Ram-Janmabhumi-Tempel bezeichnet und nun ebenfalls als sakrosant erklärt wurde.
Damit war Indiens offene Wunde wieder aufgerissen. Obwohl in Ayodhya das Gelände der geschändeten Moschee sofort von einem großen Armeeaufgebot besetzt wurde, um alle weiteren Veränderungen des status quo zu verhindern, brachen unmittelbar nach der Stürmung der Moschee bürgerkriegsähnliche Unruhen im ganzen Land aus. Angeheizt von den Parolen verantwortungsloser Demagogen auf beiden Seiten gingen sich Moslems und Hindus an die Kehle, und Tausende Tote, vor allem in Maharashtra und Gujarat, waren die Folge.
Wie aber sollte es weitergehen? Niemals würden die über einhundertfünfzig Millionen Moslems in Indien dulden, dass auf den Ruinen einer mutwillig zerstörten Moschee ein Hindutempel errichtet werden würde. Ebenso wenig aber wollten die Hindus zulassen, dass der gerade erst etablierte Ramaschrein wieder abgebaut würde. Wie eine heiße Kartoffel wurde der Streitfall von Gericht zu Gericht gereicht, während die Armee ihre Präsenz an den Ruinen der Babri-Moschee immer mehr ausbaute. Schließlich erging das Urteil, dass der Ramatempel auf dem Gelände der zerstörten Moschee erbaut werden sollte, wenn der unzweifelhafte Nachweis gelänge, dass vor 1528 an der Stelle der Babri-Moschee auch tatsächlich ein Ramatempel gestanden hätte. Dieser Nachweis konnte nicht zwingend erbracht werden. Fundamentalistische Überzeugung und wissenschaftlicher Nachweis waren nicht zur Deckung zu bringen.
Seitdem gilt der ehemalige Moscheebezirk von Ayodhya als Indiens heikelster Platz, und ein Besuch auf dem Gelände der zerstörten Babri-Moschee lehrt mehr über die innerindischen Religionskonflikte als ein Dutzend Seminare. Es handelt sich allerdings um eine Sehenswürdigkeit der besonderen Art, um die alle großen Fernreiseanbieter einen großen Bogen machen. Zu angespannt ist die Stimmung, zu schnell kann aus nichtigen Anlässen eine Gewalt entstehen, die niemand mehr kontrollieren kann.
So weit ich sehen konnte, war ich tatsächlich der einzige Tourist in Lord Ramas Stadt, und so war es kein Wunder, dass ich immer wieder angesprochen wurde. Ein Inder, mit dem ich an einem Tschaistand ins Gespräch kam, stellte sich als Pilger aus Indore in Madhya Pradesh vor und erzählte, dass die Steinmetze in Ayodhya schon mit der Planung für den neuen Ramatempel begonnen hätten. Für ihn konnte es keinen Zweifel daran geben, dass in uralten Zeiten in Ayodhya ein großer Ramatempel gestanden hatte, und bald würde es wieder so sein, spätestens dann wenn die BJP die nächsten Wahlen gewänne. An einem Marktstand mit Rama- und Sitabildern in allen Größen und Preislagen wurden DVDs angeboten, auf denen der Angriff auf die Moschee als Filmdokumentation zu sehen war. Untermalt von martialischer Musik zeigten die Aufnahmen in verwackelten Bildern wie die fanatisierten Massen am 6. Dezember 1992 brüllend durch die Straßen Ayodhyas zogen, um sich mit den Polizisten zu prügeln, die nach kurzer Zeit Reißaus nahmen. Hindufahnen wehten im Wind, Umrisse einer Ramaskulptur wurden eingeblendet, dann erschienen Hindus mit Hacken, Spaten und Beilen und begannen damit, die Moschee zu demolieren.
Während ich mir diese Filmausschnitte ansah, bildete sich eine Zuschauergruppe von Jugendlichen um mich, die mit beifälligem Kopfnicken dem Geschehen auf dem Screen folgten. Die Stimmung war triumfalistisch, über die Kräfteverteilung vor Ort konnte es keine Zweifel geben.
Hinter dem Devotionalienmarkt befand sich der Bezirk der zerstörten Moschee, doch auf den ersten Blick war nichts anderes zu erkennen als ein mehrstöckiges Haus und eine hohe Mauer, die jeden Einblick in das Gelände verhinderte. Soldaten hatten den gesamten Bezirk weiträumig abgeriegelt und mehrere Kontrollposten errichtet, an denen alle Pilger intensiv gefilzt wurden. Meine Kamera, meinen Reiseführer, selbst mein Skizzenbuch musste ich bei einer wenig vertrauenserweckenden Gepäckaufbewahrung abgeben, und selbst danach war der diensthabende Offizier unsicher, ob ich als Ausländer ohne schriftliche Genehmigung irgendeiner Behörde Zutritt zum Gelände erhalten sollte. Er war klein und fett, schnauzbärtig und dunkelhäutig, alles in allem keine Heldengestalt, die an Lord Rama erinnerte, aber deutlich verärgert über die Scherereien, die ihm meine Anwesenheit bereiteten. Ein Rückruf in die Kommandozentrale ergab keine bündige Auskunft, sodass er sich erst einmal eine Zigarette ansteckte und rauchte. Dann geschah eine halbe Stunde nichts, während ich mich in den Schatten setzte und die indischen Pilger beobachtete, die die Kontrollen anstandslos passierten und in dem Haus verschwanden. Dann erschien ein zweiter Offizier, wechselte ein paar Worte mit seinem Mitstreiter, der eine wegwerfende Handbewegung in meine Richtung machte. Dann durfte ich hinein.
Zu meiner Überraschung begann nur wenige Meter hinter dem Eingang ein mannshoher, etwa einen Meter fünfzig breiter Käfiggang, der über eine Strecke von etwa zweihundert Metern aus dem Haus heraus auf das Gelände der zerstörten Moschee führte. Rechts und links von diesem schlauchartigen Käfigverhau standen schwer bewaffnete Soldaten und beobachten mit Argusaugen jede Regung innerhalb der Menschenmenge. Die Armeeangehörigen hatten automatische Waffen in den Händen und die meisten von ihnen standen hinter Sandsäcken, als sei jeden Augenblick der Ausbruch einer rasenden Menge aus dem Drahtverhau möglich. Aus der Luft gegriffen war diese Vorsicht nicht - seitdem im Oktober 2001 Hindufundamentalisten auf dem Gelände randaliert hatten und vor allem seitdem fünf schwer bewaffnete moslemische Selbstmordattentäter im Juli 2005 den Ramaschrein angegriffen hatten, mussten die Behörden jederzeit mit einer Attacke rechnen.
Niemand schaut in das Herz religiös ergriffener Mitmenschen hinein, doch als ich mich umblickte, kam mir diese Vorsorge übertrieben vor. Jugendliche in ihren besten Jeans und mit gefakten Marken-Shirts, alte Mütterlein in ihren Saris, aber auch Brahmanen in ihren weißen Umhängen bewegten sich brav und gottergeben im Entengang durch den Käfig. Neben mir ging ein älterer Hindu aus Kathmandu, der mir erzählte, dass er sein Leben lang für die Wallfahrt nach Ayodhya gespart hatte. Nun sei seine Frau überraschend gestorben, und er müsse Rama alleine seine Verehrung bezeugen.
Langsam änderte sich die Stimmung, je mehr wir uns dem Ramaschrein näherten. Von vorne hörte man die Gesänge und Parolen der Pilger, die den Schrein bereits erreicht hatten, die Skandierungen pflanzten sich fort bis in meine Umgebung, in der nun sogar die älteren Frauen zu zetern begannen. Die Körpersprache der Pilger um mich herum veränderte sich, plötzlich lag Spannung in der Luft, und die Jugendlichen im Käfiggang blickten mit düsteren Mienen auf die Soldaten jenseits der Käfiggitter. Es dauerte noch weitere zehn Minuten, ehe ich inmitten dieser aufgeregten Menschenmenge den Eingang der zerstörten Moschee erreichte und aus etwa vier Metern Entfernung einen Blick auf den Ramaschrein werfen konnte. Durch die hin- und herlaufenden Soldaten kaum zu sehen, erkannte ich ein winziges Murti, eine Götterdarstellung auf einem Unterstand, eingehüllt in rote Tücher und geschmückt mit zahlreichen Blumengirlanden. Das wars. Kaum zu glauben, dass ein derart kümmerliches Gebilde einen ganzen Subkontinent in Wallung bringen konnte. In meiner Umgebung aber brachen die meisten Pilger beim Anblick des Ramaschreins in laute Ram-Ram Rufe aus, manche schüttelten die Fäuste und einige rüttelten sogar an den Gitterstäben, als wollten sie aus dem Käfig ausbrechen. Ein Hauch von Hysterie lag in der Luft, die Mienen vieler Pilger schwankten