New York City and Me. Cornelia Gräf
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Doch den kompletten Tag vertrödeln möchte ich dann doch nicht, dazu ist das Wetter nach der stürmischen Nacht auch wieder viel zu schön. Ich möchte mir eine CD einer bestimmten Künstlerin, auf die ich erst kürzlich aufmerksam geworden bin, kaufen und laut Google gibt es im East Village einen Laden, der günstig – was hier halt so günstig ist – gebrauchte CDs verscherbelt. Das klingt doch gut. Also heißt es am Sonntag „go east“. Ich fahre bis zu St. Mark’s Place und laufe die gleichnamige Straße entlang. Und ja, also so irgendwie, auch beim dritten oder vierten Besuch in dem Viertel: „Irgendwie ist es nicht ganz so meines“, denke ich, als ich an den winzig anmutenden Geschäftchen und Cafés vorbeilaufe. Irgendwie zu kaputt, zu rau. Irgendwann stoße ich auf die 1st Avenue. Hm. Komisch. Ich glaube, ich bin zu weit. Also Handy raus, Google-Maps-App an. Ich muss dran vorbei gerannt sein. Also nochmal retour und dieses Mal gründlich schauen, 20 St. Mark’s Place ist die Adresse von Sounds. Und dann – ach so, ja sag das doch gleich: Man muss da erst ganz viele Stufen hochlaufen und dann kann man oberhalb ein Geschäft erahnen. Vielleicht bin ich ja doch schon eine New Yorkerin, als die ich den Blick gar nicht mehr hebe. Durch die alte Tür betrete ich einen staubig anmutenden dunklen Laden und werde freundlich von einem jungen Kerl, der Kopfhörer umhängen hat und wie auf einem Art DJ-Podest steht, begrüßt. Ich bin die einzige Kundin. Artig stelle ich meine Handtasche in das Regal am Eingang, wie mir von einem Schild geheißen wird und schicke fortan sekündlich Stoßgebete in den Himmel, dass sie nachher noch da ist. Im Geschäft läuft Country-Musik. Nicht ganz die Stilrichtung, die ich hier erwartet hätte. Passt irgendwie nicht zur Gegend, der Verkäufer passt irgendwie auch nicht zum Laden, aber wir sind in New York und vielleicht passt das deshalb doch alles ganz wunderbar. Ich schaue die Platten durch. Das, was ich eigentlich suche, ist nicht dabei, aber zwei andere CDs wechseln den Besitzer. Ich verlasse mit schwarzen Fingern (der Laden ist definitiv staubig!) und neuer Musik das Geschäft.
Da es schon wieder früher Nachmittag ist und etwas zu essen mir und meinem Magen gelegen käme, laufe ich um die Ecke zu Veselka. Veselka ist ein Restaurant, das sich der ukrainischen Küche verschrieben hat. Passt also bestens zu meinem „Ost”-Tag. Ich wollte schon vor ein oder zwei Jahren hierher, damals war aber alles restlos überfüllt, sodass ich im gegenüberliegenden Starbucks gelandet bin. Das soll mir heute nicht passieren und ich kann sogar noch im Freien ein Plätzchen ergattern. Ich entscheide mich für die vegetarian plate, einem Allerlei aus Käse- und Kartoffel-Piroggen und fleischloser Kohlroulade. Dazu gehört noch eine Suppe – ich wähle die vegetarische Borscht. Wenn schon, denn schon. Außerdem habe ich die berühmte Rote-Beete-Suppe wohl das letzte Mal als Kind zu Gast bei einer russischen Mitschülerin gegessen. Und das knallpinke Süppchen, welches mir sodann kredenzt wird, ist wirklich vorzüglich. Leicht säuerlich. Einfach ein ganz eigener spezieller Geschmack, aber sehr sehr gut. Das dazu gereichte Brot ist leider nicht ganz mein Fall, denn es schmeckt wie weicher Zwieback – und wenn man mich mit etwas jagen kann, ist es Zwieback. Der Salat ist keine wirkliche Erwähnung wert. Kaum habe ich ausgelöffelt, kommt der Teller mit den herzhaften Köstlichkeiten: Kohlroulade mit einer cremigen Reis-Pilz-Füllung in dicker Bratensauce, zu den Piroggen wird noch Zwiebelschmelze und Sauerrahm gereicht. Während ich mich über das Essen hermache, fällt mir auf, dass ich auch gestern in Chinatown gefüllte Teigtaschen verzehrt habe. Schon interessant, wie in verschiedenen Regionen und Kulturen so manch Kulinarisches so gleich und doch so unterschiedlich ist. So gut das Essen ist, so sättigend und mächtig ist es auch. Die Frage der netten Kellnerin „Do you care for any dessert, Madam?”, muss ich deshalb dankend verneinen. Man sollte sich übrigens im Klaren sein, dass man sich hier in einem festen Dialog bzw. Ritual befindet. Denn man darf sich zwar beim Essen an sich gerne Zeit lassen (übertreiben sollte man es aber auch nicht), doch sobald man die Gabel (oder als kultivierter Europäer Messer und Gabel) beiseitegelegt hat, tickt die unsichtbare Uhr. In schnellster Zeit wird der oder die Kellner/in angerauscht kommen und die Dessertfrage stellen. Die darf man natürlich gerne mit ja beantworten und sich so eine weitere Verweil-erlaubnis erkaufen. Antwortet man aber mit nein, wird einem spätestens dreißig Sekunden später – selbstverständlich ohne speziell darum gebeten zu haben – die Mappe mit der Rechnung auf den Tisch gelegt. Dann heißt es Bargeld oder Kreditkarte platzieren, das Trinkgeld (Minimum 15%, besser 18%-20 %!) keinesfalls vergessen. Manche Restaurants rechnen den tip schon automatisch in die Gesamtsumme mit ein. Also genau schauen, was auf der Rechnung gelistet ist, nicht dass man doppelt bezahlt! Wiederum andere, wie das Veselka heute beispielsweise, drucken unten als Service für so Mathe-Asse wie mich drauf, welcher Betrag 15, 18 oder 20% entspricht. Zusammenrechnen muss ich aber leider trotzdem noch selber. Also bezahle ich, schütte noch das restliche halbe Glas hausgemachter Limonade (sehr zu empfehlen!) in mich rein und erhebe mich. Uffz. Hunger werde ich eine ganze Weile heute nicht mehr haben.
Das nächste Ziel auf meiner Liste, da wieder nur zwei Straßenecken weiter, ist Buffalo Exchange. Die Geschäfte dieser Second-Hand-Kette sind mein größtes Lebensglück und der größte Fluch zugleich. Was die Kapazität meines Kleiderschranks betrifft, muss ich sagen, dass ich Buffalo Exchange zum Glück erst bei meinem vorletzten Aufenthalt vor einem Jahr entdeckt habe, da die Chelsea-Filiale genau gegenüber unseres damaligen Hotels lag. Das Tolle an Buffalo Exchange? Man kann sagenhafte Designer-Schnäppchen (ich möchte an dieser Stelle beispielsweise den ungetragenen Calvin-Klein-Hosenanzug für 26 Dollar oder ein Michael-Kors-Seidentop für 23 Dollar erwähnen) machen, aber auch zauberhafte Stücke unbekannterer Marken erstehen. Außerdem kann man jeden Tag kommen und es gibt jeden Tag ein mindestens zur Hälfte ausgetauschtes Sortiment. Der Haken an der Sache: Man braucht gute Nerven. Zum einen sind die Kleiderständer brechend voll und man muss sich durch wahre Kleiderberge kämpfen (immer in der Angst, das perfekte Kleid aus Versehen zu übersehen), außerdem – und das wiegt fast noch schlimmer – wird man zwangsweise Zeuge der Gespräche der zahlreichen ach-so-lässigen Mitarbeiter, die zu 80% aus den Wörtern oooooooh, aaaaaawsooooome, like, totally, yeah und that is sooo cuuuuute! bestehen. Für die Filiale in der Lower East Side, in die ich mich heute wagte, empfiehlt sich zudem eine gute körperliche Konstitution. Ich weiß einfach nicht, was die da schaffen. Im Mai hatte es in dem Laden rund 45° Celsius und man musste sich schon sehr zusammenreißen, um nicht einfach ohnmächtig zusammenzuklappen. Heute dagegen (Außentemperatur in beiden Fällen ungefähr gleich) hatte ich Angst, am Kleiderbügel festzufrieren, so arktisch kalte Luft hat ein Gebläse in den Raum gepustet. Vielleicht lag’s auch daran, dass letztlich zwei Strickpullover für zusammen 25 Dollar mit mir nach Hause durften.
So, was nun? Wie gesagt, so ganz meins ist es da unten in der LES (Lower East Side) nicht, aber ich hatte meine CD noch nicht und irgendwie hatte ich vorhin, als ich mich verlaufen hatte, im Augenwinkel noch ein anderes Geschäft wahrgenommen, an dessen Fassade stand: „We sell & buy CDs”. Ob es Intuition oder Zufall war? Ich machte mich jedenfalls nochmals auf den Weg dorthin, einen Versuch war es ja wert. Die Auslage im Fenster stimmte mich optimistisch, das passte vom Genre her. Aber irgendwie sah der Laden geschlossen aus, an der Türe hingen zig Zettel, auf einem konnte ich schließlich Öffnungszeiten entziffern. Eigentlich sollte offen sein. Vorsichtig drehte ich am Türknopf und die Tür sprang auf. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber mit sowas?! Abertausende CDs stapelten sich kreuz und quer bis hoch zur Decke. Lediglich ein kleiner, vielleicht vierzig Zentimeter breiter, Gang führte zwischen einem wahren Gebirge aus CD-Hüllen nach hinten. Während ich gerade noch versuchte, meine Gedanken zu ordnen, ob ich aus Versehen ins Lager gestolpert oder in der Wohnung eines CD-Messies gelandet war, ertönte aus der Tiefe des Raumes plötzlich: „Can I help you, Miss?” Nach dem ersten Schreck und der Erkenntnis, dass die Frage doch recht freundlich vorgetragen war, setzte ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen und erblickte ganz hinten ein kleines Männlein auf einem Hocker sitzend. Mir schossen lauter Gedanken gleichzeitig durch den Kopf: „Bin ich in der Winkelgasse aus JK Rowlings Zauberwelt gelandet und werden gleich noch ein paar Eulen durch die Gegend flattern?”, „Werde ich hier gleich unter Tonnen an CDs begraben und erst in Tausend