Toxicus. Anita Jurow-Janßen
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„Allein. Aber nicht in der Nähe des Bahndamms. Ganz am anderen Ende von Oldenburg.“
„Wo genau?“
„Du gibst wohl gar keine Ruhe, bevor du nicht alles weißt, was?“ Er grinste sie schelmisch von oben herab an.
Sanne sah ihm bittend in die Augen.
„Na gut. In Nadorst. Jetzt weißt du aber alles, was ich auch weiß. Können wir jetzt über dich reden?“
Sanne sah auf ihre Uhr. „Sei nicht böse, ich habe gleich einen Nachhilfeschüler.“
„Bist du Lehrerin?“
„Noch nicht. Aber in zwei Jahren vielleicht. Ich hatte erst eine Lehre angefangen. Daher dauert es noch ein bisschen. Aber ich muss jetzt wirklich los. Wir können ja mal was zusammen trinken.“
„Dann gib mir noch schnell deine Handynummer.“
Er zog schon sein Smartphone aus der Jackentasche, aber sie erinnerte ihn daran, dass er schon eine Nachricht von ihr bekommen hatte.
Schnell verließ sie das Lokal. Sie musste sich beeilen, um nicht zu spät zu kommen.
6. Kapitel
Professor Doktor Christian Linley war spät dran. Sein Parkplatz war besetzt gewesen und wütend hatte er sich einen anderen suchen müssen. Als er die Treppe zum ersten Stock der Uni hochhastete, sah er Lukas vor sich laufen und hielt unvermindert seinen Schritt ein. Er mochte Lukas. Genau genommen war er verliebt in ihn. Als er direkt hinter ihm war, fiel ihm einmal mehr der schöne Körper von Lukas auf, besonders der runde Po. Linley war schwul, hatte sich aber bisher nicht geoutet, weil er eine Freundin hatte und es nicht fertigbrachte, sie zu verletzen. Er war feige, das wusste er. Als er Lukas das erste Mal in einem seiner Seminare gesehen hatte, spürte er sofort, dass dieser ihm gefährlich werden könnte. Nach einer Weile gestand er sich ein, dass er Sybille nicht liebte. Er hatte sich selbst belogen und wusste nicht, wie er sich jetzt aus der Situation retten sollte. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Sein Vater, ein hoch angesehener Professor in London, sowie seine Mutter Rosali, eine Deutsche, die als Lehrerin an einem Gymnasium Deutsch und Geografie unterrichtete, waren sehr konservativ. Er befürchtete, dass er nicht nur enterbt, sondern vermutlich sogar verstoßen werden würde, sobald er seine Homosexualität zugäbe. Er war seit knapp drei Jahren in Deutschland, war Dozent für Bio und Chemie, und es war noch nicht sicher, ob er nach England zurückgehen würde. Er hatte sich hier an der Uni schon nach kurzer Zeit einen Namen gemacht, weil er mit seinen Studenten eine Studie über Schlangengift erarbeitet hatte, die Schlagzeilen in den Medien gemacht hatte. Es ging um eine Versuchsreihe mit Gegengiften, die sehr erfolgreich verlaufen war und ihm nicht nur in Deutschland, sondern auch von seinem Vater, der Experte auf dem Gebiet war, viel Lob eingebracht hatte. Bei den intensiven Versuchen mit Schlangengift war er besonders Lukas sehr nahegekommen. Für sein Alter verfügte der Junge schon über ein immenses Wissen auf diesem Gebiet. Linley wusste, dass Lukas sich irgendwo ein kleines eigenes Labor eingerichtet hatte, aber Lukas wollte nicht mit der Sprache herausrücken, wo es sich befand. Außerdem war Linley aufgefallen, dass Lukas sich immer mehr zurückzog, je mehr er sich bedrängt fühlte. Deshalb hatte er ihn weitestgehend in Ruhe gelassen und beschlossen, nach Beendigung des Experiments noch einmal zu versuchen, an ihn heranzukommen. Er schämte sich, wenn er mit Sybille schlief, während seine Gedanken bei Lukas waren und die sexuellen Gelüste mit ihm durchgingen. Sein Herz schmerzte bei dem Gedanken, Lukas nicht erobern zu können. Wie sollte er das Problem Sybille lösen? Erst Weihnachten hatte er sie seinen Eltern vorgestellt, und sie waren sehr angetan von ihr gewesen. Das erschwerte die Sache sehr. Wenn er jetzt daran zurückdachte, ärgerte er sich immer noch darüber, dass er Sybilles Wunsch mitzukommen nicht abgelehnt hatte. Aber sie hatte ihn immer wieder bedrängt und gefragt, warum sie denn nicht mitdürfe. Als sie dann auch noch zu heulen anfing und meinte, sie sei wohl nicht gut genug für die hohen Herrschaften, hatte er keinen Ausweg mehr gefunden, sie getröstet und ihr klargemacht, dass das nicht stimmte. So musste er Sybille mitnehmen, ob er wollte oder nicht.
***
Lukas saß in der zweiten Reihe des Hörsaals und hörte Linley aufmerksam zu. Ihm entging nicht, dass dieser immer wieder zu ihm hersah, und das behagte ihm gar nicht. Schon während der Versuche mit dem Gegengift war im aufgefallen, dass Linley ihn immer wieder verstohlen musterte. Manchmal hatte er sogar das Gefühl gehabt, dass er ihm immer so nahe kam, dass er ihn unwillkürlich berühren musste. Das war ihm sehr unangenehm, aber er war zu ehrgeizig, um es sich mit Linley zu verderben. Er musste diplomatisch damit umgehen, wenn er auch nicht genau wusste, wie das gehen sollte. Nachdem die Versuchsreihe abgeschlossen war, hatten Linley, Lukas und die anderen Studenten, die daran beteiligt waren, ihren Erfolg zusammen gefeiert. Linley sicherte sich gleich zu Anfang der Feier den Platz neben Lukas. Nachdem reichlich Bier geflossen war, rückte Linley immer näher an ihn heran und sagte, dass der Erfolg der Versuche zum großen Teil ihm, also Lukas zu verdanken wäre. Lukas war sehr stolz, hatte aber gleichzeitig ein mulmiges Gefühl, weil er Linleys Verhalten ihm gegenüber nicht richtig einordnen konnte. Seitdem war schon eine ganze Weile vergangen und Lukas dachte, dass sich alles wieder normalisiert hätte. Er hatte sich selbst gescholten und gefragt, was er sich überhaupt einbilde. Aber die Blicke von Linley heute und der Umstand, dass Linley ihn nach der Vorlesung zu sich in sein Büro bat, machten Lukas erneut stutzig.
Linley stand sofort auf, als Lukas sein Büro betrat. Er kam auf ihn zu und Lukas hatte das Gefühl, er wollte ihn umarmen. Augenblicklich versteifte er so, dass Linley zurückschreckte und ihm lediglich die Hand drückte.
„Hallo Lukas, schön, dass du gekommen bist. Ich wollte etwas mit dir besprechen. Setz dich doch!“
Lukas nahm vor dem Schreibtisch Platz und sah Linley erwartungsvoll an.
„Ich habe vor, unseren Erfolg nicht ruhen zu lassen, sondern an einer Ausschreibung beziehungsweise an einem Wettbewerb mitzumachen. Ich dachte, du würdest dich vielleicht freuen, daran teilzunehmen.“
Erleichtert atmete Lukas auf.
„Oh, danke! Was ist das denn für ein Wettbewerb?“
„Es geht praktisch um die Fortsetzung unserer Versuchsreihe, nur im Wettbewerb mit anderen Universitäten, und zwar zwischen England und Deutschland. Mein Vater hat da seine Hände im Spiel und er hat mich gebeten, hier zu klären, ob die Oldenburger Uni mitmachen würde. Was meinst du?“
Lukas vergaß seine Befürchtungen und dachte, dass ihm nichts Besseres passieren könnte, als sich auf diese Weise einen Namen zu machen. „Ich bin dabei“, antwortete er. „Wer soll noch mitmachen?“
Linley sah ihm in die Augen. „Es dürfen nur jeweils zwei, also immer Student und Dozent einer Uni, daran teilnehmen.“
War da schon wieder dieses merkwürdige Gefühl? Lukas rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
„Du musst dich nicht sofort entscheiden. Mach dir erst einmal ein schönes Wochenende und Montag sehen wir weiter.“
Linley war schon aufgestanden und Lukas sah das Gespräch als beendet an.
„Arbeitest du am Wochenende wieder in deinem Labor oder ist Relaxen angesagt?“, fragte Linley noch ganz nebenbei.
„Ich weiß noch nicht genau. Auf jeden Fall muss ich dort noch einiges aufräumen.“
„Aber erst isst du doch mit deiner