Ein gerissener Kerl. Edgar Wallace
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Читать онлайн книгу Ein gerissener Kerl - Edgar Wallace страница 10
Durch ein starkes Vergrößerungsglas betrachtete er sie und grinste, so daß seine unregelmäßigen, weißen Zähne sichtbar wurden. Dann packte er seinen Kauf ein und schloß ihn in einen kleinen Safe, der in einem Winkel des Zimmers stand. Darauf grübelte er lange Zeit vor sich hin, entnahm einer der Schubladen eine Mappe und legte ihren Inhalt so vor sich auf den Tisch, daß er ihn mit Muße betrachten konnte. Es waren Fotografien, die Rex Guelder mit viel Mühe und Scharfsinn erworben hatte; sie bedeuteten ihm viel mehr als nur eine Liebhaberei.
Julian Reef würde wohl verblüfft gewesen sein, und Ursula Frensham hätte es nicht für möglich gehalten, wenn sie diese Bilder gesehen hätte. Es waren nämlich Fotografien von – ihr.
Guelder lehnte sich weit in seinen Sessel zurück, faltete die Hände vor sich auf der Tischplatte und betrachtete die Bilder mit einem andächtigen, verzückten Ausdruck in seinen kleinen, runden Augen. Da schob Freda, die Magd, einen kleinen Teewagen herein. Sie sah die Bilder und kniff die alten Lippen zusammen.
»Das ist ja der größte Wahnsinn!« rief sie und brach ein vierzehntägiges Schweigen. »Wenn ich Sie so sehe, Mijnheer, tut mir das Herz weh. Haben Sie Amsterdam vergessen«, fragte sie bedeutungsvoll, »und Batavia?«
Er hob den Blick nicht von den Bildern.
»Das waren Bauernmädel, Freda, harmlose Vergnügungen eines großen Gelehrten. Willst du ihm diese kleine Freude mißgönnen, alte Vrouw?«
Freda schob einen Stuhl an den kleinen Tisch und zischte: »In Batavia nannten sie es Mord, aber keiner wußte, wer sie ertränkt hatte. In Amsterdam war es Selbstmord, bis der Arzt mit der Polizei sprach und auf die kleine, dünne Schnur an ihrem Hals wies.«
Guelder lächelte, als mache man ihm Komplimente.
»Ach, Freda, du hast ein unangenehmes Gedächtnis!«
Aber er war nicht etwa ärgerlich oder beunruhigt über die Erinnerungen der Magd. Er brauchte es auch nicht zu sein, denn es hatte nie eine Untersuchung, nie einen öffentlichen Skandal gegeben. Der Rektor der Universität, an der er über Chemie las, hatte ihn nur in sein Arbeitszimmer rufen lassen und ihm eröffnet, daß die Universität auf seine Mitwirkung verzichte. Er war ein großer, starker, sentimentaler Mann, der nur gesehen hatte, wie schön Maria selbst noch im Tode war. Er hatte keine Ahnung, welch eine peinliche Last sie hätte werden können.
Und was das batavische Abenteuer anlangte, so wunderte Guelder sich nur, daß überhaupt noch jemand daran dachte.
Die alte Frau war heute Abend ungewöhnlich redselig. Er vermutete, sie habe getrunken. Nur der Schnaps machte sie redselig.
»All diese Narretei, alle diese Räder und großen Gefäße und elektrischen Funken – wie soll das enden, Mijnheer Rex? Nichts werden Sie erfinden! Nie werden Sie etwas erfinden. Ewig geht das so weiter. Aber selbst, wenn Sie was entdeckten und Gott weiß wieviel Geld bekämen, es würde doch nur in die Taschen der Buchmacher fließen. Ach! Sie sind ein Narr und ich eine Närrin, leider!«
»Betrunken bist du«, stellte Rex gelassen fest, »ich gebe dir Nahrung und Obdach und das Geld, das du an diesen Taugenichts, deinen Studenten, schickst; denn ohne mich würdest du im Armenhaus verrecken.«
Sie brummte etwas zwischen ihren zahnlosen Kiefern und ging hinaus. Er wußte, jetzt würde sie wieder einen Monat lang schweigen. Im Grunde liebte er es, wenn die alte Freda bisweilen redete. Niemand außer ihr sprach holländisch mit ihm. Wohl gab es Hunderte und Tausende von Holländern in London, doch Rex mied sie, aus Angst, sie könnten ihn argwöhnisch ansehen und von Maria sprechen, die man einst tot im Kanal mit einer Schlinge um den Hals gefunden hatte, die sie, wie er nachwies, sich selbst geknüpft hatte.
Er sammelte die Bilder mit zärtlicher Hand ein, legte sie in die Mappe zurück und schloß sie fort. In ihrer augenblicklichen Stimmung konnte Freda sie leicht verbrennen. Er beendigte sein frugales Mahl, dann schloß er die purpurne Tür auf und trat in das Laboratorium. Es war ein langer Raum mit einem absonderlichen, schiefen Fußboden, der an der einen Seite anstieg und nach der anderen abfiel. Darüber sah man, als er das Licht angedreht hatte, die Balken und die Unterseite der roten Dachziegel. Licht gab es hier genug, denn er verfügte über Starkstrom, der die vielen großen und kleinen Maschinen trieb, mit denen der Arbeitsraum ausgestattet war. Die kleineren standen auf einer Bank, die an der Flußseite der Mauer entlanglief, merkwürdige Apparate, doch dem Elektriker und Physiker wohlvertrautes Handwerkszeug. Sausende Räder, grün umwickelte Drähte, spiralförmige Glastuben, die mit ihrer Quecksilberfüllung an gigantische Thermometer erinnerten. Am äußersten Ende des Zimmers stand auf einer niedrigen, sehr starken Plattform eine Maschine, die nur der Fachmann verstehen konnte. Hier drängte sich ein Chaos von Kondensatoren, Leitungen, seltsamen Glasröhren zusammen, die ein Druck auf einen Taster rot und blau aufglühen ließ. Unter einem keilförmigen Zeiger, der durch schwere Drähte mit verschiedenen Teilen des Apparates verbunden war, befand sich ein Behälter aus schwarzem Achat mit einer kleinen, untertassenförmigen Ausbuchtung in der Mitte.
Guelder zog einen Stuhl an die Bank, schaltete einige Hebel ein und zündete sich, während die Maschine brauste und pulste, gelassen eine Zigarette an. Dann drückte er die dicken Augengläser fester auf die Nase und wiederholte zum hundertsten Mal das große Experiment. Über den Gegenstand, den er in den Achatbehälter legte, schoß ein Strom knisternder Funken. Er zog einen anderen Hebel. Ein bleiches, grünes Licht blitzte aus einem fast unsichtbaren Schlitz in einem Stahlwürfel und fiel quer über den Achat.
Er rauchte und rauchte, bis das Zimmer wie in blauem Nebel lag. Dann und wann drehte er die Hebel ab, nahm den Gegenstand mit einer Pinzette hoch und prüfte ihn unter einem Mikroskop. Es war schon fast Mitternacht, als er sich reckte, aufstand und zwei grüne Augen aus dem Dunkel des Laboratoriums auf sich gerichtet sah. Er pfiff. Eine große, weiße Katze kam auf ihn zu, schmiegte sieh buckelnd an sein Bein und ließ sich kraulen. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, lag die zweite schon auf seinem Stuhl.
Er trank einen tüchtigen Schluck Wasser und ging schlafen. Die beiden weißen Katzen kauerten am Fußende seines Bettes und öffneten ihre leuchtenden, grünen Augen bei dem leisesten Geräusch und Geknister der verfaulenden Paneele des alten Zimmers.
6
Anthony Braid saß bei seinem einsamen Mahl. Der Tisch war mit einer Sorgfalt gedeckt, als erwarte er die erlauchtesten Gäste. Er saß am Kopfende des Tisches in tadellosem Gesellschaftsanzug, obwohl er nicht beabsichtigte auszugehen. Es war halb zehn Uhr. Er hatte seinen Trainer zu Tisch geladen, doch der hatte in Newmarket den Anschluß verpaßt und telefoniert. Jetzt kam er und stammelte Entschuldigungen. Er war ein sehniger Mann mit gebräuntem Gesicht, wie es Leute haben, die den größten Teil ihres Lebens in freier Luft zubringen.
»Ich haben den Zweijährigen gekauft«, begann er, während der Diener ihm den Stuhl zurechtrückte und ihm ein Glas Portwein eingoß. »Aber ich muß Ihnen sagen, Mr. Braid, daß ich nicht sonderlich begeistert bin. Er ist dreimal dieses Jahr gelaufen und, obwohl er in dem einen Rennen gezeigt hat, was er kann, schwört sein früherer Trainer, daß er ein Verbrecher ist.«
Braid lächelte.
»Alle Pferde sind Verbrecher, wenn man sie nicht versteht«, belehrte er. »Ich bin in meinem Leben nur zwei unverbesserlichen Sündern begegnet. Ich wette, was Sie wollen, ›Quintil‹ gehört nicht zu dieser Sorte.«
Mr. Sanford trainierte Braids Pferde in Berkshire, einige Meilen hinter Newbury. Nachdem der Diener sich entfernt hatte – dieser teilnehmende junge Mann wäre viel lieber im Zimmer geblieben